Nur vier Tage nachdem Putin seine Truppen in die Ukraine geschickt hatte, starteten in Paris die Prêt-à-porter-Schauen und stellten die Unternehmen vor ein grundlegendes Problem: Wie kann man sich auf angemessene Art mit Mode beschäftigen, während nur wenige Flugstunden entfernt ein Land blutig um seine Freiheit kämpfen muss?

Ralph Toledano, Präsident der Fédération de la Haute Couture et de la Mode, bat vorab in einem Pressekommuniqué um die nötige Ernsthaftigkeit. Von vielen Labels wurde das Thema Krieg in diesen zehn Tagen jedoch schlichtweg ausgeblendet. Es waren normale Fashion-Shows wie sonst auch – so viele physische übrigens wie seit Beginn der Covid-Krise nicht mehr. Bei den Präsentationen wurde Champagner serviert und die Mode gefeiert. Nun kann man argumentieren, das sei legitim. Immerhin haben viele Menschen lange an der Entwicklung der neuen Kollektionen gearbeitet. Dennoch warteten viele auf ein Statement, eine Message oder zumindest irgendein Zeichen.

Balenciaga
Foto: Balenciaga
Balenciaga
Foto: Balenciaga

Das niederländische Designerduo Botter war eines der wenigen Labels, das Looks in den Farben der ukrainischen Flagge auf den Laufsteg schickte, um damit Stellung zu beziehen.

Botter
Foto: Luca Tombolini/ Botter

Ein noch deutlicheres Zeichen setzte wenige Tage später Demna Gvasalia, Kreativdirektor von Balenciaga. "Der Krieg in der Ukraine hat in mir den Schmerz eines vergangenen Traumas wachgerufen, das ich seit 1993 in mir trage, als das Gleiche in meinem Heimatland passierte und ich für immer zum Flüchtling wurde", schrieb der Georgier in seinen Shownotizen. "In einer Zeit wie dieser verliert Mode ihre Relevanz und ihre eigentliche Existenzberechtigung. Die Fashion Week fühlt sich irgendwie absurd an." Doch statt seine Show zu canceln, wie er es ursprünglich vorhatte, machte Gvasalia sie zu einem emotionalen Anti-Kriegs-Statement und traf damit genau den richtigen Ton. Umgeben von einer Glaskugel mussten die Models auf dem Laufsteg Sturm und Schnee entgegentreten, während die Gäste von den Fenstern geschützt dahinter saßen und zusahen – so wie viele von uns derzeit machtlos auf die Geschehnisse in der Ukraine schauen.

In eine ungewisse Zukunft

Flüchtlingen gleich trugen die Models gefüllte Plastikmüllsäcke und kämpften sich so buchstäblich ihren Weg durch die unwirtliche Landschaft, einer ungewissen Zukunft entgegen. Beendet wurde die Show mit zwei unifarbenen Looks in den Farben der ukrainischen Flagge, erst Gelb, dann Blau. Viele Zuschauer verließen die Veranstaltung auf dem Flughafengelände Le Bourget mit Tränen in den Augen, aber auch mit dem versöhnlichen Gedanken, dass Modenschauen durchaus relevant sein können.

Dior
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Maria Grazia Chiuri, Kreativchefin von Dior, sendete bei ihrer Show zwar keine direkte Botschaft, ihre neuen, von Funktions- und Schutzkleidung inspirierten Entwürfe bekamen in Zeiten wie diesen jedoch einen aktuellen Bezug. Airbags, die zusammen mit einem italienischen Start-up entwickelt wurden, das Ausrüstungen für Motorradfahrer herstellt, wurden als Korsett oder Weste getragen, manche Kleider erinnerten an Rüstungen, und die Schultern und Knöchel der Models waren teilweise von Protektoren bedeckt.

Schönheit und Schutz

"Man macht sich Gedanken darüber, wie man in diesen schwierigen Zeiten Schönheit, Ästhetik und Schutz miteinander verbinden kann", sagte Chiuri im Anschluss an die Show der Agentur AFP. "Kleidung an sich stellt eine Idee des Schutzes dar, sie ist unser erstes Zuhause, sie gibt uns Sicherheit." Die Ideen zu den Entwürfen hatte die Italienerin natürlich lange vor Ausbruch des Krieges. "Aber die Welt war bereits im Krieg, Covid war auf gewisse Weise ein anderer Krieg, wir haben extrem schwierige Monate erlebt." Ihre feministischen Anliegen verlor Chiuri auch diesmal nicht aus den Augen, sondern ließ sie durch die Installation der Künstlerin Mariella Bettineschi in Szene setzen. Wie in einem Museum hingen Hunderte von Gemälden an den dunkelroten Wänden der Show-Location im Jardin des Tuileries. Darauf waren historische Frauenporträts zu sehen, deren Besonderheit die zweigeteilten, doppelten Augen waren.

Dries Van Noten
Foto: Casper Sejersen für Dries Van Noten

Wie eine Art Museumsbesuch war auch die Präsentation von Dries Van Noten konzipiert. Der belgische Designer verzichtet bereits seit Anfang der Covid-Krise auf Shows. Diesmal lud er seine Gäste zu Privatführungen in ein leerstehendes Stadtpalais, in dem seine von italienischem Glamour der 1960er- und 1970er-Jahre inspirierten Entwürfe auf Puppen ausgestellt waren. Neben den extravaganten Kleidern, für die Van Noten unterschiedliche Tierdrucke miteinander kombinierte, präsentierte der Designer auch seine neue Lippenstift- und Parfumkollektion.

Chanel
Foto: EPA/IAN LANGSDON

Chanel zeigt seine Show seit einigen Saisonen in den Räumen des Grand Palais Éphémère. Die Wände des temporären Ausstellungsgebäudes am Champ de Mars waren von oben bis unten mit Tweed-Stoff ausgelegt und gaben den Ton der Kollektion an, die wie eine wahre Parade anmutete. Unzählige Variationen des legendären Stoffes waren zu sehen, den Gabrielle Chanel in den 1920er-Jahren bei einer Reise nach Schottland entdeckte. Klassische Kostüme, Blazer in verschiedenen Längen, Bermudahosen und Strickjacken. Auffällig waren schenkelhohe Fischerboots und Gummistiefel mit verschlungenem C-Logo, mit ihnen verpasste Viard den damenhaften Looks einen schönen Bruch.

Die Show bestach durch respektvolle Zurückhaltung, ein echtes Statement zum Krieg in der Ukraine gab es wie bei den meisten anderen Häusern nicht. So bleibt ein schaler Nachgeschmack. Auch wenn immer mehr Unternehmen ihre Geschäfte in Russland schließen lassen, wäre eine Stellungnahme, gerade in einem Moment, in dem so viele Augen auf die Mode gerichtet sind, wichtig und richtig gewesen. (Estelle Marandon, 9.3.2022)

Louis Vuitton
Foto: JULIEN DE ROSA / AFP

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Hermès
Foto: REUTERS/Sarah Meyssonnier
Miu Miu
Foto: JULIEN DE ROSA / AFP