Bild nicht mehr verfügbar.

Galina Timtschenko, Chefin und Gründerin des Onlinemediums "Meduza".

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Wien – Aus dem Krieg gegen Medien ist ein realer Krieg geworden. Zerstörte Städte in der Ukraine gehen Hand in Hand mit einer ruinierten Medienindustrie in Russland. Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die für nationale und internationale Medien in Russland gearbeitet haben, mussten das Land bereits verlassen, sagt Galina Timtschenko, Chefin und Gründerin des führenden unabhängigen Onlinemediums "Meduza". Der Grund für den Exodus ist Russlands Gesetz gegen "Fake News" über die russische Armee. Es verbietet ihnen, den Ukraine-Krieg als Krieg oder als Invasion zu bezeichnen. Die möglichen Strafen sind drakonisch: Es drohen 15 Jahre Haft.

Für "Meduza" ist die harte Gangart von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen Medien nichts Neues. "Wenn ich einen Krieg führen will, mache ich zuvor kritische Stimmen mundtot", sagte Timtschenko am Donnerstag in einem vom Presseclub Concordia und forum journalismus und medien (fjum) organisierten Online-Pressegespräch. Putin ließ bereits vor einigen Monaten reihenweise unabhängige Medien wie "Meduza" und kritische Journalistinnen und Journalisten zu ausländischen Agenten erklären, um ihnen auch die finanzielle Grundlage zu entziehen.

Die Concordia-Veranstaltung zum Nachsehen

Presseclub Concordia

Viele Plattformen

Timtschenkos Portal steht aufgrund der kritischen Berichterstattung bereits seit längerer Zeit im Visier des Kreml und musste seinen Sitz nach Riga in Lettland verlegen, um weiterarbeiten zu können. Neu ist allerdings, dass "Medusa" in Russland blockiert wurde und die Seite nicht mehr erreichbar ist. Aufgeben war für Timtschenko allerdings noch nie eine Option, ganz im Gegenteil. Auch jetzt nicht: "Wir machen auf allen möglichen Plattformen weiter." Dazu gehören E-Mails, Newsletter, Social Media, Podcasts und Youtube.

"Meduza" schreibt und sendet auf Russisch und Englisch und versammelte vor Kriegsbeginn rund zwei Millionen Unique User auf der Webseite. Jetzt, nach der Blockade, erreiche das Medium nicht viel weniger, sagt Timtschenko. Alleine über den Telegram-Kanal seien es eine Million Leute, dazu kämen noch einmal eine Million über mobile Kanäle. Über die Homepage selbst sind es noch rund 500.000 Unique User pro Tag. "Wir wussten, dass sie uns blockieren würden", sagt Timtschenko. Darauf hätten sie sich vorbereitet. "Medusa" berichtet derzeit mit drei Reportern aus der Ukraine. Einige wenige seien auch noch in Russland aktiv. Um sie nicht in Gefahr zu bringen, möchte sie das nicht konkretisieren. "Alle sind in Gefahr. 'Medusa' ist seit Jahren in Gefahr."

Gesperrte Bankkonten und Kreditkarten

Schwarze Listen mit unliebsamen Journalistinnen und Journalisten würden erstellt, die Repression werde weiter zunehmen, befürchtet sie. Ein großes Problem für "Medusa" und andere Medien sei etwa, dass Unternehmen wie Mastercard ihre Aktivitäten im Zuge der Sanktionen gegen Russland eingestellt haben, was den Geldtransfer erschwere: "Einige unserer Mitarbeiter sind in anderen Ländern – ohne Geld und ohne Visa-Unterstützung."

In Gefahr sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des russischen Mediums "Nowaja Gaseta". Gegründet Anfang der 1990er-Jahre, gehört "Nowaja Gaseta" zu den wenigen verbliebenen unabhängigen Medien in Russland. Acht Journalisten der Zeitung wurden seit dem Jahr 2000 schwer verletzt oder umgebracht, darunter die Investigativjournalistin Anna Politkowskaja, die 2006 getötet wurde, weil sie während des Tschetschenien-Kriegs Verbrechen der russischen Armee aufgedeckt hatte.

Keine Kriegsberichte mehr

Die meisten Leserinnen und Leser erreicht "Nowaja Gaseta" mit rund zwei Millionen pro Tag online, erklärte Kirill Martynow am Donnerstag und erzählte von der Arbeitsweise der Redaktion mit Sitz in Moskau. "Nowaja Gaseta" thematisierte kürzlich die Zensur mit einem Titelblatt, das im Hintergrund eine Atombombenexplosion zeigt, während im Vordergrund Balletttänzerinnen den berühmten "Schwanensee" tanzen. Über den Krieg selbst könnten sie aufgrund der Gesetzeslage nicht schreiben, sondern nur darüber, was in Russland passiert. Etwa über die humanitäre Krise. "Wir sind in großer Gefahr, wollen aber kämpfen und unter diesen Umständen so kritisch wie möglich berichten."

Hoffnung Youtube

Dass so viele ausländische Medien abgezogen sind, kann Martynow nachvollziehen. Das Risiko für Journalistinnen und Journalisten sei enorm. Zu den Inseln im Informationsvakuum gehört für ihn noch Youtube. Die Videoplattform komme auf rund 45 Millionen tägliche Userinnen und User. Russlands Autoritäten fürchten sich vor den gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn sie Youtube blockieren, so Martynow: "Viele Leute nutzen es nicht als politische Plattform, sondern zum Zweck der Unterhaltung." Eine Blockade könne zu sozialen Problemen führen.

Sollte Moskau keine Sperre über digitale Medien verhängen, würden "immer mehr Russen erfahren, was in der Ukraine passiert", und das Misstrauen in die staatliche Propaganda steigen, so Martynow. Sollten jedoch auch Dienste wie Youtube oder Telegram eingestellt werden, käme es zu einem "digitalen Eisernen Vorhang". Und dennoch: "Russland hat den Informationskrieg bereits verloren", sagt Galina Timtschenko. Die Lügen hätten keinen Bezug mehr zur Realität.

Dass etwa der Messengerdienst Telegram noch verfügbar ist, macht sowohl Timtschenko als auch Martynow stutzig. "Es wirkt so, als ob es einen Vertrag mit Putin gibt", sagt Martynow über den 2013 von den Brüdern Nikolaj und Pawel Durow gegründeten Dienst. "Die Zensur ist sehr streng, sie könnten Telegram blockieren, machen das aber nicht, und wir fragen uns, warum." (Oliver Mark, 10.3.2022)