Verteidiger Ernst Schillhammer (li.) und Staatsanwalt Martin Ortner (im Hintergrund) ziehen beim Prozess gegen zwei Maßnahmengegner ihre rhetorischen Register.

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Wien – Herr K. und Herr B. sind besorgte Bürger. Da sie nicht gegen Covid-19 geimpft sind. Deshalb fühlte der 50-jährige Angestellte K. "sich einfach diskriminiert", der 34 Jahre alte Mitangeklagte B. sagt, er habe sich "unterdrückt gefühlt". Was für beide der Grund war, am 11. September bei einer Demonstration gegen die Verordnungen der Bundesregierung zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie mitzugehen. Mit gelben Davidsternen auf der Oberbekleidung, auf denen "Ungeimpft" stand. Was sie nun wegen "gröblicher Verharmlosung" von Völkermord und nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein Geschworenengericht unter Vorsitz von Ulrich Nachtlberger gebracht hat.

Die beiden Unbescholtenen bekennen sich nicht schuldig, ihre Verteidiger Florian Höllwarth und Ernst Schillhammer erklären in den Eröffnungsplädoyers, warum. "Mein Mandant war mehrmals im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen", beginnt Höllwarth zu argumentieren, dass K. über die NS-Verbrechen Bescheid weiß und nichts mit dieser Ideologie am Hut habe. Aber: "Er hatte Angst, er hatte Sorgen, welche beruflichen und privaten Auswirkungen die Corona-Regelungen für ihn haben." Der Grund dafür sei in der Politik zu suchen, ist Höllwarth überzeugt: Die habe "das moralische Verbrechen" begangen, "die Gesellschaft so zu spalten".

Verwirrende Quellenangabe

Der Verteidiger sieht aber auch eine rechtliche Schwachstelle in der von Staatsanwalt Martin Ortner flammend vorgetragenen Anklage: das Wort "gröblich". Höllwarth sieht das nicht erfüllt und behauptet, er habe im "Cambridge Dictionary" die Bedeutung von "gröblich" nachgelesen. Was überraschend ist, schließlich ist das Wörterbuch auf Englisch, und einen Umlaut wie "ö" gibt es in dieser Sprache gar nicht.

Sein Kollege Schillhammer geht es subtiler an, er schildert, dass sein Mandant B. "kein Literaturnobelpreisträger" sei und gar nicht wusste, dass er mit der Aktion gegen das Verbotsgesetz verstoßen habe. Er habe mit dem 34-Jährigen bei der Vorbereitung die neben dem Landesgericht liegende Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte besucht, wo auf Steintafeln die Namen von 64.435 jüdischen Österreicherinnen und Österreichern eingetragen sind, die Opfer des NS-Terrorregimes wurden. Dabei sei B. das Ausmaß der Verbrechen gewusst geworden, und er habe verstanden, dass sich Nachkommen der Getöteten durch einen gelben Stern beleidigt fühlen könnten.

Nur zwei Sterne wegen Materialmangels

Zweitangeklagter B. war es, der die Abzeichen gebastelt hat. Er hatte sich mit K. und zwei weiteren Bekannten für die Demo verabredet, vor seinem Aufbruch plünderte er die Bastelutensilien seiner Tochter und schnitt aus gelbem Filz zwei Davidsterne, die er dann noch beschriftete. "Warum nur zwei?", fragt Beisitzerin Eva Brandstetter. "Weil nicht mehr so viel Filz da war", antwortet der Zweitangeklagte.

"Was haben Sie gewusst über den gelben Stern?", interessiert den Vorsitzenden. "Eigentlich nicht viel, außer dass ihn die Juden tragen mussten", bleibt B. vage. Betont aber neuerlich, er habe damals als Ungeimpfter "Existenzängste" gehabt. Und mit seinem Mitangeklagten habe er sich kurz davor über die Einführung von gelben Bändern für Geimpfte unterhalten, deshalb habe er die Farbe gewählt, versucht er sich herauszureden.

"Das war ein paar Tage vorher in der Zeitung", sagt B. zunächst, um sich zu korrigieren, es sei "im Internet" gestanden. "Da wissen wir schon, woher das kommt", merkt Nachtlberger dazu an, ehe B. noch konkreter wird: "Auf diesen 'Heute'-Seiten." – "Ich habe auch im Internet nachgeschaut, und die gelben Bänder haben nur einmal eine Rolle gespielt, als sie der Kärntner Landeshauptmann vorgeschlagen hat. Das war im Februar und nicht im September", entkräftet Beisitzerin Brandstetter das Argument.

Beispiele der Judenverfolgung

Auch der Vorsitzende hat sich informiert und konfrontiert B. mit mehreren Fragen. "Wann wurde eine Kennzeichnung für Ungeimpfte in Österreich eingeführt?", will Nachtlberger wissen. "Weiß ich nicht", antwortet B. "Gibt es die überhaupt?", fragt der Vorsitzende nach. "Ich glaube nicht", lautet die Antwort. Punkt um Punkt geht der Vorsitzende so die Unrechtsgesetzgebung der Nationalsozialisten durch: Ob Ungeimpfte keinen Geschlechtsverkehr mit Geimpften haben dürfen, ob sich Juden gegen die "Nürnberger Rassengesetze" vor einem Verfassungsgerichtshof wehren konnten, ob sie dagegen demonstrieren durften.

B. bleibt dennoch dabei: "Ich wollte nicht provozieren, ich wollte aufzeigen, dass ich unterdrückt werde." Brandstetter platzt der Kragen: "Was soll so ein Stern anderes heißen als: 'Ich werde unterdrückt wie die Juden?'", stellt sie in den Raum.

Der ältere Erstangeklagte sagt, die Sache sei "unbedacht" gewesen. Er habe sich "nichts Bösartiges dabei gedacht". Bei der Polizei hatte K. noch gesagt: "Die Juden wurden damals genauso behandelt wie wir Ungeimpften heute." Ein ja auch unter ehemaligen FPÖ-Politikern beliebter Vergleich. Der Senat will auch noch ergründen, warum K. mit dem Symbol demonstriert hat, obwohl er eingestandenermaßen aus den Medien wusste, dass auch Rechtsextreme daran teilnehmen. "Ich kann das nicht beeinflussen, ob Rechtsextreme dabei sind", entschuldigt der Erstangeklagte sich.

Kahlenberg und Mount Everest

Im Schlussvortrag stellt Staatsanwalt Ortner für die Laienrichterinnen und Laienrichter die Rechtslage noch einmal allgemein verständlich klar: "Für den Paragrafen 3h des Verbotsgesetzes muss der Täter kein Nazi sein." Er erklärt auch den "bedingten Vorsatz" recht volksnah: "Es muss ihm wurscht gewesen sein." Auf das Argument der Verteidiger, dass die gelben Sterne keine "gröbliche" Verharmlosung seien, erinnert der Ankläger an Nachtlbergers Beispiele – Ortner sieht in der Behandlung von Ungeimpften in Österreich und der von Juden im Nationalsozialismus einen Unterschied wie zwischen "dem Kahlenberg und dem Mount Everest".

Auch die mangelnden rhetorischen Fähigkeiten des Zweitangeklagten lässt der Staatsanwalt nicht gelten. "Ich sehe da zwar einige Journalisten, die durchaus einen gepflegten Schreibstil haben, aber ich sehe im ganzen Raum keinen Literaturnobelpreisträger", zerstört er wohl die geheimen Träume der Vertreter von "Heute", "Presse" und STANDARD, während die anwesenden Journalistinnen weiter hoffen dürfen.

Die Geschworenen brauchen nicht lange, um zu zwei einstimmigen Schuldsprüchen zu kommen. Beide Angeklagten werden zu jeweils 15 Monaten bedingt verurteilt, da weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft eine Erklärung abgeben, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 10.3.2022)