Es war ein bezeichnender Beginn der Pressekonferenz. Der Erste Kanal, Russlands halbstaatlicher und populärster Fernsehsender, hätte am Donnerstagvormittag die erste Frage stellen dürfen. Kreml-Chefdiplomat Sergej Lawrow hatte soeben sein kurzes Eingangsstatement zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine beendet. Aus russischer Sicht gab es aber keine Fragen.

DER STANDARD

Die im türkischen Antalya versammelte Presse hatte nach dem erfolglosen ersten hochrangigen Treffen Lawrows mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba dagegen umso mehr Fragen. Sie wurden nicht weniger, je länger Lawrow mit wilden Spekulationen über angebliche US-amerikanische Biowaffenlabore im kompletten postsowjetischen Raum um sich schlug und den russischen Angriff auf die Ukraine schlichtweg nicht als solchen akzeptieren wollte. Andere Länder müssten sich nicht vor Russland sorgen, so Lawrow, man habe schließlich die Ukraine auch nicht angegriffen.

Kiew eine Festung

Für Kiew ist der Angriff Russlands weiterhin sehr real, weshalb Bürgermeister Witali Klitschko davon sprach, dass die Stadt mittlerweile "in eine Festung verwandelt wurde". Aber Lawrow sprach am Donnerstag ohnedies lieber über die "neonazistischen" Strukturen in der Ukraine, welche die "militärische Sonderoperation" – wie Lawrow es nennt – im Nachbarland unausweichlich gemacht hätten.

Indes geht auch China bei den sprachlichen Verrenkungsübungen Moskaus nicht mehr mit. Dessen Außenminister Wang Yi spricht neuerdings auch von einem Krieg und fordert Friedensbemühungen. Appelle wie diese könnten nach der erneut gescheiterten Evakuierung Mariupols, wo am Mittwoch eine Geburtenstation beschossen wurde und mindestens drei Menschen starben, international noch deutlicher werden. Lawrow sprach nur von Fake News. Die neonazistische Asow-Miliz habe sich dort aufgehalten. Beweise dafür legte er nicht vor. Bilder in sozialen Medien belegen eher die ukrainische Sicht. Kanadas Premier Justin Trudeau warf Russland deshalb vor, gezielt Zivilistinnen ins Visier zu nehmen.

Fortschritte an anderer Stelle?

Lawrow warnte die westlichen Staaten auch erneut, dass sie sich für ihre "gefährlichen Waffenlieferungen" werden verantworten müssen. Auch weil diese ein langfristiges Sicherheitsrisiko für Russland darstellen würden, müsse es zu einer Entmilitarisierung der Ukraine kommen, forderte der seit 2004 im Amt befindliche Außenminister. Lawrow, der keinen Hehl daraus machte, dass er die Gespräche in Antalya nicht allzu wertschätzte und wenig Befugnisse seines Chefs aus Moskau dafür mitbrachte, verwies mehrmals auf die laufenden Gespräche in Belarus. Laut israelischen Offiziellen, denen dort eine Vermittlerrolle zukommt, könnte eine allgemeine Waffenruhe sogar näher rücken. Teil eines Deals könnte sein, dass Moskau nur auf die Entmilitarisierung des Donbass pocht, während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj klarere Worte gegen einen Nato-Beitritt anschlagen könnte, berichtet "Axios".

Zumindest erstmals seit Konfliktbeginn an einem gemeinsamen Tisch: die Außenminister der Ukraine und Russlands.
Foto: Imago Images / Turkish Foreign Ministry

Der ukrainische Außenminister Kuleba zeigte trotz des erfolglosen Treffens Bereitschaft, die Gespräche auf Außenministerebene fortzusetzen. Dass es noch eine Ebene höher geht, sodass sich Selenskyj und Wladimir Putin treffen, wollte in Antalya zumindest niemand ausschließen. Zuvor aber treffen am Freitag Putin und der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko zusammen.

Dieser wird wohl weniger an Putins Gewissen appellieren, als es am Donnerstag erneut Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands Kanzler Olaf Scholz telefonisch versuchten. Auch der heftig kritisierte deutsche Ex-Kanzler und Rosneft-Aufsichtsrat Gerhard Schröder reiste angeblich am Donnerstag – offenbar auf Wunsch der Ukraine – in friedenssuchender Mission zu Putin. (Fabian Sommavilla, 10.3.2022)