STANDARD: Was für ein Gefühl ist es, das eigene Buch gedruckt in den Buchhandlungen zu sehen?

Jamalzadeh und Hepp: zuerst Freunde, jetzt Koautoren eines tollen Buchprojekts.
Foto: Peach Productions / Mira Rumpel

Elyas Jamalzadeh: Es ist unbeschreiblich schön, meine eigene Geschichte gedruckt in einem Buch zu sehen. Auch das Gefühl, dass das ein paar junge Leute lesen und etwas lernen und ein anderes Bild bekommen von Leuten, die sonst oft Menschen zweiter Klasse sind. Das macht mich stolz. Das erste Buch haben meine Eltern bekommen, und meinen Schwestern in Wien habe ich es auch geschickt.

STANDARD: Von diesem Wohnzimmer, in dem wir jetzt in Linz sitzen, um dieses Gespräch zu führen, war im Buch auch immer wieder die Rede. Da gab es eine Einladung an die Leser und Leserinnen, sich mit dir einen Film anzuschauen, der leider noch nicht auf Deutsch synchronisiert ist.

Jamalzadeh: In diesem Film geht es um den Konflikt zwischen Afghanistan und dem Iran. Ich habe einen afghanischen Jungen gespielt, der als Straßenkind für seine geflüchtete Familie Geld verdienen muss, während die iranischen Kinder einfach auf der Straße spielen und Kinder sein können. Es geht um eine Beinprothese für meine Schwester, um das Thema Flüchtlinge und Vorurteile und darum, dass die über vier Millionen Afghanen noch immer keine Rechte im Iran haben, die Erwachsenen dürfen nichts arbeiten und wir Kinder nicht in die Schule gehen. Das war auch problematisch für mich: Ich war ja ein Kind, das tatsächlich auf der Straße gearbeitet hat, und plötzlich haben mich die Leute erkannt, weil sie mich im Fernsehen gesehen haben.

STANDARD: Im Iran sind Sie durch einen Film bekannt geworden, und hier in Österreich passiert das jetzt wieder mit einem Buch. Wann wurde das Buchprojekt beschlossen?

Andreas Hepp: Wir beide haben uns 2016 bei einem Gottesdienst kennengelernt und sind ins Reden gekommen. Der Austausch mit Elyas war immer spannend. Wenn wir uns getroffen haben, hat er immer Geschichten erzählt, und daraus ist dann im Sommer 2020 die Idee zum Buch entstanden. Im zweiten Lockdown hatte ich dann auch viel Zeit zum Schreiben, und wir sind eben viel in so einer Wohnzimmeratmosphäre zusammengesessen, und die wollten wir beiden dann auch in das Buch transportieren.

STANDARD: Das Buch erzählt eine unglaubliche Lebens- und Fluchtgeschichte. Man leidet beim Lesen mit, wegen der vielen Gefahren, Hürden und Rückschläge, die es immer wieder gibt. Was hat für dich aus heutiger Sicht und sicherer Distanz am meisten Mut gebraucht?

Jamalzadeh: Auf diese Frage würde ich immer antworten: das Mittelmeer. Auf dem Meer hatte ich Angst zu sterben, und acht Jahre später war ich mit meiner Frau in Kreta auf Hochzeitsreise, habe dort den Sonnenuntergang genossen, so wie die Menschen, die acht Jahre zuvor den Sonnenuntergang genossen hatten und nicht bemerkt hatten, dass Flüchtlinge zur selben Zeit um ihr Leben kämpfen. Auf einer Flucht ist aber jede Station gefährlich: Du setzt immer dein Geld, dein Leben und deine Zukunft ein. Es ist wie im Kasino. Von den Schleppern ist einer immer mit dir unterwegs, den anderen bekommst du nie zu Gesicht. Das sind deine beiden Pokerkarten. Wenn beide gut sind, dann kommst du weiter. Wenn du das Mittelmeer überquerst, kann deine Familie oder können deine Freunde vor deinen Augen sterben oder du auch. Oder es kann sein, dass du das Meer überlebst, aber dir ein Schlepper in Griechenland alles wegnimmt. Wenn ich hier auf meiner Couch mit einem Kaffee in der Hand sitze, dann denke ich mir: Wow, das war echt kompliziert, Gott sei Dank habe ich das geschafft. Ich bin dankbar, dass ich als Kind auf der Straße gearbeitet habe. Dass ich einen Schlepper erpresst habe, um unser Geld wiederzubekommen, darauf wäre ich nie gekommen, wenn ich vor meiner Flucht nur in die Schule gegangen wäre. Ich konnte mit den Schleppern sehr erwachsen reden, obwohl ich damals nur ein Teenager war.

STANDARD: Andreas, hat die Zusammenarbeit mit Elyas für dieses Buch deine Sicht auf die Welt verändert?

Hepp: Ich schätze im Moment sehr das Konzept der Europäischen Union und der offenen Grenzen innerhalb der Union und dass sich die EU, siehe auch am traurigen Beispiel der Ukraine, für andere Nationen einsetzt. Da sehe ich jetzt schon eine große Bereitschaft, ukrainische Bürger und Bürgerinnen aufzunehmen, zu beherbergen.

Jamalzadeh: Viele, die aus der Ukraine jetzt flüchten müssen, haben im Gegensatz zu mir und meinen Eltern damals sehr viel zu verlieren. Nur kann jetzt jeder diesen Krieg online auf Instagram, auf Tiktok miterleben. Das finde ich schwierig, weil es noch mehr Angst macht. Krieg ist für viele Menschen zum Kino geworden.

STANDARD: Du hast mehrere Episoden der Flucht hinter dir. Österreichische Asylbehörden werden im Buch schlichtweg "Die Allmächtigen" genannt. Was würdest du verändern, wenn du die Integrationspolitik in Österreich mitgestalten könntest?

Jamalzadeh: Vieles, was für das Asylverfahren wichtig wäre, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Zum Beispiel: Ich hatte alles gesammelt, was ich von 2015 bis 2018 gemacht hatte. Andere sind in der Zeit nur herumgesessen und haben am Computer gespielt. Manche bekommen Asylstatus ohne Sprachqualifikation, mein Freund wartet jetzt schon acht Jahre auf einen positiven Bescheid. Viele verlieren die Motivation und sind überzeugt, es lohnt sich nicht, wenn sie Deutsch lernen, arbeiten oder Steuern zahlen, weil andere ohne das alles auch den Asylstatus bekommen. Ich würde genau drauf schauen, ob es ein Bemühen gibt. Konnte jemand Sprachkenntnisse erwerben? Hat jemand Freundschaften geschlossen? Oder Probleme mit der Polizei? Werden Menschen- und Frauenrechte akzeptiert?

STANDARD: Das Buch erzählt viel über deine Zeit als Kind und Jugendlicher. In welcher Hinsicht hast du dich am meisten verändert?

Jamalzadeh: Österreich hat mich tatsächlich komplett verändert. 2015 habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Ausweis bekommen, auf dem mein Name draufgestanden ist, mit einem Foto von mir. Hier habe ich zum ersten Mal Rechte bekommen. Ich bin hier kein Mensch zweiter Klasse. Ich habe das Recht bekommen, in eine Schule zu gehen, eine Ausbildung zu machen. Niemand hatte Angst vor mir, weil ich Afghane bin. Im Polytechnischen Lehrgang hatte ich kein Geld für eine Projektwoche, und meine Mitschüler haben für mich bezahlt. Österreich hat mir unglaublich viele Möglichkeiten eröffnet.

STANDARD: Das ist schön zu hören. In Österreich gibt es dennoch leider jede Menge Ausländerfeindlichkeit und oft auch Skepsis gegenüber Asylwerbenden. Hast du tatsächlich nie schlechte Erfahrungen mit Mitmenschen, Heimleitern oder Behörden gemacht?

Jamalzadeh: Das Buch ist keine Schönfärberei. Ich denke, das hat viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Ich bin jemand, der nicht alles so wichtig nimmt. Wenn ein Arzt im Krankenhaus sagt: Elyas Dingsbums und meinen Namen nicht ausspricht, bin ich nicht beleidigt, sondern denk mir: Ein Oberarzt mit so einer Ausbildung kann ein paar Buchstaben nicht lesen. Die Frage, ob das jetzt rassistisch gemeint ist oder er Jamalzadeh einfach nicht aussprechen kann, lasse ich nicht groß werden. Im Persischen sagen wir: Alles, was du säst, erntest du. Wie du in den Wald hineinrufst, kommt es zurück. Die Heimleiterin in Bad Goisern war oft nicht nett zu mir, aber aus heutiger Sicht muss ich sagen, sie war zwar streng, aber sie hat sich wirklich engagiert. Sie hat uns Mülltrennung beigebracht und Kurse angeboten und jede Menge Veranstaltungen organisiert. Es gab auch Kunden bei meinem Friseur, die sich von mir nicht den Kopf waschen lassen wollten, aber meine Chefin hat nur gemeint: Das ist Elyas, der macht das bei uns. Und dann war ich vielleicht bei meiner sonst berühmten Kopfmassage nicht sehr sanft. Solche Sachen gab es sicher auch.

STANDARD: Andreas, wie hast du als derjenige, der diese Geschichte aufgeschrieben hat, entschieden, was rein- und was rauskommt?

Hepp: Dass Elyas so viele Einblicke in sein Leben gegeben hat, lag sicher daran, dass wir schon zuvor gut befreundet gewesen waren. Es gab schon viele Diskussionsprozesse, auch mit Elyas’ Frau Tabea oder mit der Lektorin, auf welche Themen wir uns mehr oder weniger fokussieren. Aber es haben wirklich viele Themen Platz gefunden in dieser großartigen Biografie: die Migration, die Integration, die Konversion, das Deutschlernen, eine Ehrenmorddrohung, eine Krankheitsgeschichte und eine Liebesgeschichte. Ich habe versucht, den persönlichen Erzählstil von Elyas ins Buch zu schreiben, deswegen auch die Ansprache der Leser und Leserinnen mit du.

STANDARD: Elyas, du hast schon viel erreicht. Wohin willst du noch im Leben?

Jamalzadeh: Mein nächster Traum ist es, mit dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen einen Kaffee zu trinken. Der Verlag hat tatsächlich schon einen Brief geschrieben. Jetzt warten wir auf Antwort. Mit meiner Traumfrau bin ich schon verheiratet. Wir werden in diesem Jahr noch anfangen, ein Haus zu bauen. Für meine Mutter war es immer der größte Traum, dass ihre Kinder eine Bildung bekommen. Jetzt habe ich, zusammen mit Andreas, dieses Buch geschafft. Mit Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten geht es uns am meisten um die Hilfe für flüchtende Menschen. Wenn viele Leute das Buch kaufen, werden viele, die auf der Flucht sind, unterstützt. (Mia Eidlhuber, ALBUM, 12.3.2022)