Wer Zwiebeln schneidet, leidet. Isoalliin heißt das Teufelszeug, das die Zwiebel gegen Fressfeinde in ihren Membranen bereithält und das beim Zerstören ebendieser frei wird. Angesichts Millionen Tonnen Zwiebeln, welche die Menschheit Jahr für Jahr verspeist, kann dieser Abwehrkampf der Zwiebel als gescheitert angesehen werden. Durian, Fugu und Co sind der Beweis dafür, dass uns Menschen nichts zu stinkig oder giftig ist, um nicht noch etwas Essbares daraus zu fabrizieren.

Doch beim Zwiebelschnippeln werden wir immer noch daran erinnert, welch gemeines Gemüse die Zwiebel ursprünglich ist. Der Kampf gegen die Tränen ist seit jeher ein Allrounder in Haushaltsbüchern und Kochforen: Die Tipps reichen von scharfen Messern, die weniger auf die Membranen und daher weniger auf die Tränendrüse drücken sollen, über Kerzen neben dem Schneidbrett, welche die Schwefeldämpfe unschädlich machen sollen, bis hin zu eigens angefertigten Zwiebelschnittbrillen.

Die Zwiebeln unter dem Markennamen Sunions sollen nicht mehr in den Augen brennen.
Foto: BASF

Keine Gentechnik involviert

Diese Tricks und Hilfsmittel könnten bald überflüssig sein: Denn Forschern ist es gelungen, die Zwiebel zu überlisten und sie dazu zu bringen, keine augenreizenden Stoffe mehr zu produzieren. Sunions nennt der Chemieriese BASF seine Kreation. Besonders mild, süß, vor allem aber garantiert tränenfrei sollen die Sunions sein, die inzwischen in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, verkauft werden. Konkrete Pläne, die Sonnenzwiebel nach Österreich zu bringen, gibt es nicht, heißt es von BASF auf STANDARD-Nachfrage.

24 Jahre Entwicklungszeit und fünf Millionen US-Dollar waren dem Konzern die tränenlose Zwiebel wert. So sanft sie auch zu den Augen ist, so saftig ist deshalb auch ihr Preis: Mit 60 Cent pro Stück kostet sie rund viermal so viel wie das aggressive Original – und verlagert den Schmerz damit von den Schleimhäuten in die Geldbörse. Gentechnik soll bei der Entwicklung nicht zum Einsatz gekommen sein, versichert BASF. Die Zwiebel wurde allein durch Kreuzung von besonders milden Sorten erschaffen.

Hoffnung Gen-Schere

Schon seit Jahrtausenden werden Pflanzen schlechte Eigenschaften weg- und wünschenswerte herbeigekreuzt. Die Urvarianten von Bananen und Zitronen haben etwa so große Kerne, dass vom Fruchtfleisch kaum etwas übrigbleibt. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Entwicklung allerdings beschleunigt, auch dank Gentechnik.

In den USA sind unter der Marke Arctic Apples etwa bereits Apfelsorten zugelassen, bei denen bestimmte Gene ausgeschaltet wurden, die aufgeschnittene Äpfel braun werden lassen. Auch die Erdäpfelsorte Russet, die beim Frittieren weniger vom krebserregenden Acrylamid produziert, ist in nordamerikanischen Burgerketten bereits Standard für die Pommesbeilage.

Noch schneller soll es in Zukunft mit der sogenannten Gen-Schere gehen. Crispr-Cas9 gilt als geradezu revolutionäre Technik, die es ermöglicht, so schnell und günstig wie noch nie am Erbgut herumzuschnippeln.

Das erste mit Crispr veränderte Lebensmittel ist seit rund einem Jahr in Japan zugelassen: Bei der Tomatensorte Sicilian Rouge wurden Gene so modifiziert, dass sie mehr Gamma-Aminobuttersäure (GABA) produzieren, ein wichtiger Neurotransmitter.

EU sieht Crispr kritisch

Etliche Start-ups weltweit stehen bereits in den Startlöchern für die selbstausgerufene Genomrevolution. Was nicht gefällt, soll wegeditiert werden: Da wäre etwa Grünkohl, der zwar reich an Vitaminen, aber leider bitter und fasrig ist. Ohne diese Eigenschaften könnte er bei mehr Menschen öfter auf dem Teller landen. Konkrete Pläne haben auch zwei US-amerikanische Unternehmen, die Erdbeeren so modifizieren wollen, dass sie weniger schnell matschig werden. Das soll Lebensmittelmüll verhindern.

In Europa, wo viele Menschen Gentechnik kritisch gegenüberstehen, gelten für Crispr derzeit allerdings gleich strenge Regeln wie für konventionelle Gentechnik, wie der Europäische Gerichtshof 2018 feststellte. Während sich Umwelt-NGOs bestätigt fühlen, kritisieren viele Forschende die Entscheidung als unwissenschaftlich. Mit Crispr könne man viel genauer und sicherer schneiden als etwa mit Bestrahlung, sagte etwa die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vergangenes Jahr im Podcast Edition Zukunft.

Offen bleibt die Frage, ob bei all der Optimierung nicht der Geschmack auf der Strecke bleibt. Erste Testschneider und -esser bestätigen zwar, dass sich die Sunions zwar tränenlos hacken lassen. So emotionslos wie ihre Verarbeitung ist angeblich aber auch ihr Geschmack. Die Zwiebeltränen werden vorerst keinen Freudentränen weichen. (Philip Pramer, 15.3.2022)