Wider: Michael Völker

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Seien wir einmal ehrlich: Was soll das? Und was soll das sein? Ein Porsche? Mit vier Türen? Schlimm genug sind die fetten Angeber-SUVs. Aber jetzt auch noch Kombi? Das Auto ist ein einziger Widerspruch. Dass er über einen Elektroantrieb verfügt, macht die Sache nicht wesentlich besser.

Ein Elektroauto mit vier Türen, es steht Porsche drauf, muss wohl Porsche drin sein. Nur, woran merken wir das? Immerhin, 571 PS im Overboost.
Foto: Stockinger

Halten wir fest: ein Allrad-Kombi als Porsche mit Elektroantrieb. Was, außer dem Logo, ist da noch Porsche? Das Ganze nennt sich Taycan Cross Turismo, kann aber nicht verbergen, dass ein Porsche mit vier Türen kaum als Sportwagen durchgeht. Und Porsche hat immer noch den Anspruch und den Ruf, eine halbwegs exklusive und elitäre Sportwagenmanufaktur zu sein, wenn auch Massenproduktion. Diesen guten Ruf nimmt Porsche mit Produkten wie dem Taycan Cross Turismo Stück für Stück auseinander. Das kommt davon, wenn man alles sein und anbieten will, Hauptsache, die Stückzahlen stimmen. Immerhin, das muss man Porsche zugestehen: Die Qualität passt – immer.

Grafik: Der Standard

Also schauen wir uns den Taycan näher an. Steigen wir ein. Verdammt eng hier drin. Das soll Sportwagenfeeling verbreiten, ist aber: ungemütlich. Praktisch soll er sein, der Cross Turismo, ist aber: unpraktisch. Da braucht man zum Einsteigen einen Schuhlöffel, und zwar vorn wie hinten.

Und wer will in einem Sportwagen hinten sitzen? Das war eigentlich keine Frage. Da können wir gleich die Speibsackerln verteilen. Wenn vorn der Spaß um sich zu greifen beginnt, regieren hinten längst Angst und Schrecken – und ein schreckliches Unwohlsein. Kann mir keiner erzählen, dass das hinten Spaß macht, wenn ich vorn so fahre, wie es lustig ist.

Damit kommen wir zum Kern der Sache. Was uns hier als praktisch, sinnvoll und vernünftig verkauft wird, vier Türen, Allrad und Elektroantrieb und doch so etwas wie ein Kofferraum, das hat im schlimmsten Moment – mit Overboost – 571 PS. Fünfhunderteinundsiebzig. Wenn Sie jetzt Kleinkind sind, werden Sie das nicht ganz verstehen, außer viel, und wenn Sie in der Pubertät steckengeblieben sind, werden Sie sagen, boah, urgeil. Aber einmal ehrlich: Brauchen wir das? Wer braucht das? Und wo kann man das ansatzweise fahren? Selbst wenn man wollte: Mit diesem Wagen stößt man so schnell an alle Grenzen, diese Beschleunigung und dieses Drehmoment können wir niemals ausspielen – außer auf der Rennstrecke. Überall anders wird man uns den Vogel oder anderes zeigen, und zwar zu Recht.

Foto: Stockinger

Ich hatte beim Testen eine zeitliche Überschneidung mit dem Volvo C40, ebenfalls Elektro und immerhin 408 PS; auch das weit jenseits des Vernünftigen. Aber was ich im Volvo nicht ausfahren kann, kann ich im Porsche erst recht nicht ausfahren. Da kann ich nur meinen Freunden erzählen, boah, 490 PS, und wenn ich wirklich draufbleibe, dann sogar 571 PS. Wtf. Und damit führ ich vier Sitze spazieren? Da speiben sich die Kinder bei der ersten Ausfahrt an – von oben bis unten. Und wer soll sich da sonst reinzwängen? Wenn schon Sportwagen, dann 911. Oder halt was noch Ärgeres – aber nicht dieses Will-und-kann-alles. Jetzt werfen Sie noch einen prüfenden Blick darauf: Schaut doch aus wie ein plattgedrückter VW Beetle, oder? Und der Preis! Mit ein bisschen Schnickschnack fast 150.000 Euro.

Mein Kollege sieht das ganz anders, ich kann Ihnen dazu aber keine zweite Meinung anbieten: Der Kollege ist nicht greifbar, er hüpft vor lauter Begeisterung immer noch vor der Garage auf und ab. Und ja, doch, die Pubertät hat er schon hinter sich gelassen.


Für: Andreas Stockinger

Audiatur et altera pars. Die alten Römer waren kluge Leute. Mit einem Rechtsempfinden, das man – die Sache läuft weltgeschichtlich zyklisch – heute wieder im Schwinden sieht. Gerechtigkeit für den Taycan Cross Turismo: Braucht der das? Eh nicht, da steht er drüber, schon das G’riss auch um diese Version des fulminant gestarteten ersten E-Porsches zeigt, dass die wohl was richtig gemacht haben.

Allerdings: "Mein Kollege sieht das ganz anders, ich kann Ihnen dazu aber keine zweite Meinung anbieten: Er ist nicht greifbar, hüpft vor lauter Begeisterung immer noch vor der Garage auf und ab", hatte der geschätzte Kollege Michael in seinem Verriss angefügt. Damit war – auf Rückfrage bestätigt – meine Wenigkeit gemeint, inzwischen bin ich ganz gut warmgehüpft, geschmeidig in den Gelenken, und hier ist, in aller Kürze, meine zweite Meinung.

Foto: Stockinger

Eine Doppelconférence lebt vom Dialog, nehmen wir die erste Wuchtel auf. "Was soll das sein? Ein Porsche? Mit vier Türen? Schlimm genug sind die fetten Angeber-SUVs. Aber jetzt auch noch Kombi? Das Auto ist ein einziger Widerspruch."

Grafik: Der Standard

Klar, kann man so sehen, Michael, aber auch anders. Porsches mit mehr als zwei Türen gibt es schon länger, ich sage nur: Panamera (2009), Cayenne (2010), seither ist noch was dazugekommen. Mit der viertürigen (fünf eigentlich, wegen Heckklappe) Limousine und dem SUV versuchte die Konzernführung damals, es ist die Ära Wendelin Wiedeking, die gefährlichen Nachfrageschwankungen bei Sportwagen (911, Boxster, Cayman) auszugleichen. Es waren die Garanten dafür, dass die legendäre Sportwagenschmiede als solche überhaupt noch existiert und weiterhin Sportwagen bauen kann.

"Das Ganze nennt sich Taycan Cross Turismo, kann aber nicht verbergen, dass ein Porsche mit vier Türen kaum als Sportwagen durch-geht", notierte Michael. Wenn heute der größte Teil der globalen Klientel zu Panamera, Cayenne, Macan und neuerdings auch Taycan greift, liegt das in einem erheblichen Ausmaß auch daran, dass jedes Auto mit Porsche-Wappen drauf sich eben wie ein Porsche fährt und im jeweiligen Konkurrenzumfeld glaubhaft entsprechende Duftnoten setzt. Gilt auch für den Taycan Cross Turismo.

2021 lieferte Porsche 301.915 Autos aus, mehr als je zuvor. Man kann den Schritt zum "Massenhersteller" durchaus kritisch sehen, selbst eingefleischte Porscheanerinnen und Porscheaner tun dies. Immerhin hat man es aber bisher geschafft, die Strahlkraft der Marke nicht überzustrapazieren, hohe Kunst auch das.

Ansichtssache praktisch

Nimmt man den Taycan für sich, so ist denen mit einem Paukenschlag der Schritt in die E-Mobilität geglückt, mit dem Cross Turismo eben in einer Variante mit erhöhtem Alltagsnutzen hintennach. "Praktisch soll er sein, er ist aber: unpraktisch", meinte Michael. Klar, es gibt praktischere Autos, jeder Lieferwagen, jeder normale Kombi. Diese Kategorie hier nennt sich Shooting Brake und Lifestyle-Kombi und lebt davon, schlicht mehr zu können als die Basisversion, in dem Fall mit 446 bis 1212 Liter Kofferraum. Notfalls könnte man sich noch eine Hochgeschwindigkeits-Dachbox oben raufschnallen und einen Fahrradträger hinten montieren.

Foto: Stockinger

Design? Geschmackssache, immer. Selbst der seinerzeit arg verrissene, in der Tat gewöhnungsbedürftige BMW-"Turnschuh" (Z3 Coupé), dem der Cross Turismo seitlich in der Silhouette ähnelt, hat heute seine Fangemeinde. Einen "plattgedrückten Beetle" finde ich jedenfalls nicht, und das "speiben sich die Kinder bei der ersten Ausfahrt an" lasse ich unkommentiert, werde aber gelegentlich Mika dazu befragen.

Und dass man die Leistung – im 4S mit Overboost 571 PS – niemals ausspielen kann: Gute Güte, bei welchem Porsche kann man das, aber auch:_bei welchem Elektrofahrzeug, Tesla etwa? Die sind doch alle stark wie eine Herde Kaffernbüffel. Dauerbolzen kann gar nicht Leitgedanke bei solchen Autos sein, sondern in dem Fall Fortbewegung in einem Porsche, der sich wie einer anfühlt und fährt, egal ob flott oder Schleichtempo. Ach ja, Schuhlöffel zum Einsteigen brauch’ ich auch keinen, doch das ist womöglich eine Sache der persönlichen Disposition.

Bei der Preiskritik aber, da gebe ich Dir recht, Michael: "Mit ein bisschen Schnickschnack fast 150.000 Euro." Das ist unanständig. Ich bin für die Streichung einer Null hinten und für Porsches für alle. Doppelconférence Ende, der Platz ist aus. (Michael Völker, Andreas Stockinger, 22.3.2022)