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Sophie Karmasin als Familienministerin mit der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Foto: Starpix/Picturedesk

Am Montag hatte Sophie Karmasin kurz Hoffnung schöpfen können: Der Haft- und Rechtsschutzrichter beraumte für die Mittagszeit überraschend eine Haftverhandlung vor Auslaufen der Frist am kommenden Freitag an. Das wurde durchaus als Signal dafür gesehen, dass die vielen Argumente von Karmasins Verteidigern Norbert Wess und Philipp Wolm auf fruchtbaren Boden fielen. Doch am frühen Nachmittag kam dann die Eilmeldung, dass Karmasin weiterhin in Untersuchungshaft bleiben muss. Zu schwerwiegend sind die vielgestaltigen Vorwürfe gegen die Meinungsforscherin, die laut Korruptionsstaatsanwaltschaft eine zentrale Rolle sowohl in der Causa Umfragen im Finanzministerium spielt, als auch bei Studien für das Sportministerium wettbewerbsbeschränkende Absprachen getätigt hat.

Seit ihrer Festnahme am 2. März stehen natürlich alle Studien und Aufträge im Fokus, die Karmasin in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet hat. Recherchen des STANDARD zeigen, dass mit Karmasin assoziierte Firmen seit dem Jahr 2006 Ministeriumsaufträge in der Höhe von mehr als 900.000 Euro erhalten haben.

Diese Summe ergibt sich aus Daten der Forschungsförderungsdatenbank, parlamentarischen Anfragebeantwortungen und anderen Dokumenten; aufgrund der teilweise unvollständigen Informationen lassen sich die Zahlen nicht präzise bestimmen.

Vor der Ministerschaft

In der überwältigenden Mehrheit der Fälle waren es ÖVP-geführte Ministerien, die Aufträge an Karmasin vergaben, wenngleich auch das Kanzleramt unter Werner Faymann (SPÖ) eine Studie zu "Gerechte Steuern" für rund 30.000 Euro bestellt hatte. Bei der ÖVP war es etwa das Außenministerium unter dem dem damaligen ÖVP-Chef Michael Spindelegger, das sich von Karmasin in den Jahren 2011 und 2012 für insgesamt 78.500 Euro zu "Kommunikation" beraten ließ. Das Finanzministerium zahlte 78.600 Euro für eine Studie zum "Wissensstand Glücksspiel", das Justizministerium in den Jahren 2011 und 2013 57.600 respektive 33.000 Euro für Studien und Umfragen zur "Neuen Justiz": Teils waren die Beträge aber auch viel geringer, für Karmasins Beiträge zum "Sicherheitsbarometer" zahlte das Innenministerium etwa jährlich 3.180 Euro.

Nicht immer ist die Zuordnung zu einzelnen Unternehmen so eindeutig. Das liegt daran, dass Karmasin ein breites Firmennetz bespielt hat. Am prominentesten ist wohl das Gallup-Institut Österreich, das sie im Jahr 2006 von ihren Eltern übernommen hatte. Parallel dazu gab es die Karmasin Motivforschung GmbH und die Sophie Karmasin Market Intelligence. Ihre Anteile am Gallup-Institut und an der Motivforschung verkaufte Karmasin, nachdem sie Ende 2013 zur Familienministerin wurde; die Market Intelligence wurde abgewickelt.

Rückkehr in die Branche

Im Jahr 2018 stieg Karmasin dann wieder in die Branche ein und kaufte dafür Anteile eines Unternehmens ihres Mannes, an das Karmasins frühere Assistentin Sabine B. laut deren Einvernahme in den Jahren zuvor "Provision" für Ministeriumsaufträge überwiesen haben soll. Deshalb wird von der WKStA auch wegen Geldwäsche ermittelt – es gilt die Unschuldsvermutung.

Das Unternehmen wurde im Juni 2018 jedenfalls in "Karmasin Research & Identity" umbenannt. Wieder folgten rasch Aufträge aus ÖVP-geführten Ministerium, diese machen etwa 345.000 Euro der insgesamt über 900.000 Euro aus, die Karmasins Unternehmen durch Ministerien erhielten. Rasch dabei war das Wirtschaftsministerium, das Karmasin mit der Erstellung eines Leitbilds beauftragte. Für 125.920 Euro lieferte ihr Unternehmen 32 Seiten, die angeblich keinen Niederschlag gefunden hatten – nun prüft die interne Revision, die FPÖ forderte Ministerin Margarete Schramböck (ÖVP) zum Rücktritt auf.

Auch grüne Ministerien betroffen

Aber auch für das Sportministerium war Karmasin wie berichtet aktiv. Um zwei Studienaufträge zu erhalten, soll sie Sabine B. und eine weitere Meinungsforscherin gebeten haben, Scheinaufträge zu stellen, um als Bestbieterin zu erscheinen. Das klappte auch: Um 63.600 Euro respektive 76.680 Euro lieferte sie Studien, zuletzt auch an Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler. Auch im Umfeld eines anderen grünen Ministeriums war Karmasin aktiv: Im Sommer 2021 präsentierte sie gemeinsam mit Umweltministerin Leonore Gewessler eine Studie, die der Klima- und Energiefonds mit 41.370 Euro netto bezahlt hatte. Den Verdacht auf Scheinangebote gibt es hier nicht.

Auch im Umfeld grüner Ministerien forschte Karmasin.
Foto: Bargad/Energiefonds

"Frau Karmasin war durch ihre thematisch ähnlich gelagerten Studien (zum Beispiel Motivstudie Österreichurlaub 2021 der Österreich Werbung) eine anerkannte Expertin in diesem Themenbereich und wurde daher mit der Durchführung der Studie beauftragt", sagt eine Sprecherin des Klimafonds. Bezüglich der erwähnten Motivstudie gab es übrigens auch Auftritte mit Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Arbeitsminister Martin Kocher (beide ÖVP). Kocher hatte zuvor schon am Institut für Höhere Studien (IHS) mit Karmasin zusammengearbeitet. Dort hatte Karmasin im Auftrag des VOR eine Studie zum 1-2-3-Klimaticket durchgeführt.

Auftraggeber in Niederösterreich

Besonders häufig ist Karmasin auch von der niederösterreichischen Landesregierung mit Studien beauftragt worden, das zeigen Presseaussendungen. Geforscht wurde zu "Jugend und Klima", zum Konjunkturprogramm, zum Wolf und zur "Attraktivierung" von Zu-Fuß-Gehen und Radfahren. Der STANDARD bat um eine vollständige Auflistung; die Landesregierung antwortete, "dass eine Rechtsgrundlage, welche eine allgemeine Veröffentlichung von Studien zulässt, nicht ersichtlich ist". Und: "Im Übrigen greift in diesem Zusammenhang regelmäßig das Grundrecht auf Datenschutz, welches eben nicht nur für natürliche, sondern auch für juristische Personen gilt. Gerade bei privatrechtlich eingerichteten juristischen Personen, die marktwirtschaftliche Leistungen erbringen, bestehen grundsätzlich überwiegende Geheimhaltungsinteressen."

Die Sammlung zeigt jedenfalls, dass Karmasin gut im Geschäft war; das bestätigen auch die Bilanzen der Karmasin Research & Identity. Am 6. Oktober 2021 folgte dann das mutmaßliche Aus für ihre Karriere als Demoskopin: In der Causa Umfragen wurde ihr Haus durchsucht; nach umfassenden Geständnissen ihrer früheren Mitarbeiterin Sabine B. erfolgte dann im März 2022 die Festnahme und Untersuchungshaft von Sophie Karmasin. Diese gab bei ihrer Haftverhandlung an, sich beruflich schon umorientiert und eine Ausbildung zur Psychotherapeutin begonnen zu haben. Die Geschäftsführung bei ihrer Firma hat sie bereits abgegeben.

Vor ihrer Haftverhandlung am Montag sei sie laut "Kurier" zu zahlreichen Zugeständnissen an das Gericht bereit gewesen: Überwachung per Fußfessel; Dokumentation aller E-Mails, Anrufe und Chats sowie das Gelöbnis, keinen Kontakt zu Zeuginnen und anderen Beschuldigten zu haben. Für den Richter war die U-Haft jedoch nicht substituierbar; Karmasin bleibt nun der Gang zur nächsten Instanz. Es gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 15.3.2022)