Grigory Sokolov und sein Spiel, das mit fast religiöser Versenkung einhergeht.

Foto: Anna Flegontova

"Applaudieren Sie nicht mir, sondern ihm!", appellierte Konzerthaus-Intendant Matthias Naske vor dem Solorecital von Grigory Sokolov an das Publikum. In der "Woche der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine" wurden auch die Künstler um einen Beitrag gebeten – worauf der Pianist sein gesamtes Honorar zur Verfügung stellte.

Vielleicht hörten ihm manche im abgedunkelten Saal anschließend noch intensiver zu, vielleicht schien die fast religiöse Versenkung, mit der er sein Spiel zelebriert, noch etwas tiefer als sonst. Es hatte tatsächlich wieder etwas Magisches, wie er suggerierte, direkt in den Kern der Werke hineinzuleuchten und ihnen ein unerschöpfliches Farbspektrum zu entlocken.

Überblick und Taumel

Beethovens Eroica-Variationen waren (trotz einzelner falscher Noten) ein Kaleidoskop aus Stimmung und Ausdruck, mit pointierten Akzenten. Von unerbittlicher Schärfe die dissonanten kurzen Vorschläge in der 13. Variation – fast wie eine Schostakowitsch’sche Anklage–, eine Vereinigung von architektonischem Überblick und emotionalen Taumel die Schlussfuge.

Der Rest des Abends war geprägt von nahezu vollständiger Perfektion und kontrollierter Spontaneität: in den vergeistigten Drei Intermezzi op. 117 von Brahms, in Schumanns zwischen Vitalität, Schroffheit und Lyrismen zerrissenen und doch ein großes Ganzes ergebenden Kreisleriana. Sechs Zugaben von Chopin, Rachmaninoff, Skrjabin und schließlich Bachs Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ: wie ein weltentrücktes, weltzugewandtes Gebet. (Daniel Ender, 15.3.2022)