Wenn auf dem Tandem nicht beide das gleiche Ziel haben, ist es vielleicht besser, das Projekt gar nicht erst zu starten.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Perspektive 1 von Guido Gluschitsch

Ich verrat Ihnen jetzt ein Geheimnis. Ich bin ein fauler Hund. Wirklich. Und ich bin inzwischen in einem Alter, in dem ich mich langsam etwas mehr bewegen sollte. Die Betonung liegt dabei auf mehr und nicht auf langsam. Mit dem Fahrrad fahr ich eigentlich recht gern. Bis auf ein kleines Problem.

Das Navigieren, das Suchen nach einer Route oder einem Ziel, das ist nicht so meine Leidenschaft. Darum findet man mich für gewöhnlich auf der immergleichen Strecke. Da kann ich den Flow, der sich bei mir schon nach wenigen Minuten Radln einstellt, voll genießen. Die Eintönigkeit indes nervt mitunter ziemlich. Und mit anderen zu radeln ist auch immer so eine Sache. Der eine fährt schneller, der andere langsamer als ich, den ganz anderen stellt es immer auf – oft sogar auf der immergleichen Stelle. So wirklich lässig ist das jedenfalls nie.

Und so kam ich auf das Tandem. Man ist zu zweit unterwegs, im gleichen Tempo, und wenn ich hinten sitz, brauch ich mich nicht ums Navigieren kümmern. Ich weiß das, denn meine Eltern haben sich vor mehr als 30 Jahren so ein Zweisitzerradl gekauft. Als Buben haben mein Bruder und ich damit die Deppen aus der Nachbarschaft geärgert, wenn wir sie und ihre g’machten Mopeds überholt haben. Ich schwatzte das Fahrrad also meinen Eltern ab und revitalisierte es. Sehr zur Begeisterung meiner Frau. Sie schätzt die Zeiten, in denen ich mich abseits von ihr halbwegs still beschäftige. Doch die Begeisterung nahm bald ein Ende.

Als ich ihr erzählte, dass ich mit ihr auf dem Tandem fahren möchte, hat sie angefangen aufzuzählen, was sie alles gern möchte. Tandemfahren war da nicht dabei. Nicht einmal ansatzweise. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Und so lange hat es gar nicht gedauert, bis ich eine Lösung gefunden habe. Franziska Zoidl!

Sie ist nicht nur eine Kollegin, sie ist ein Kraftwerk. Durchtrainiert, zielstrebig und hat gern das Kommando. Sie würde also sicher nur allzu gern die Routenwahl übernehmen und meine körperliche Schwäche – sind wir sich uns ehrlich, ich bin nimmer der Jüngste – mehr als nur kompensieren. Ich musste sie also begeistern, wollte ich meinen Plan antreten (sic!).

Ton in Ton

Also zwängte ich meinen ausufernden Körper in einen Trainingsanzug, der ebenso alt ist wie das Tandem – man will ja innerhalb der möglichen Grenzen gut aussehen –, und fuhr der Kollegin zu einem ausgemachten Treffpunkt entgegen. Allein Tandem zu fahren ist mühsam, kann ich sagen. Da hätt ich den Gegenwind nicht gebraucht. Aber die Hoffnung, bald nur mehr wenig – oder in schwachen Momenten gar nicht mehr – treten zu müssen, ließ mich durchhalten. Und dann Trick 17.

Ich tat kurz erst so, als tät ich auf keinen Fall hinten sitzen wollen. Das hat die Franziska – eh klar – nur umso mehr darin bestärkt, dass sie das Ruder in der Hand haben will. Also mimte ich den Generösen und versuchte mich hinten gemütlich einzurichten.

Möglicherweise hat die Franziska so wild in die Pedale getreten, dass das Hinterrad versucht hat, das vordere zu überholen, oder hat sich der Rahmen des Radels unter meinem Gewicht gewunden wie ein Stückl Draht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur mehr, ich hab mit meinem Leben abgeschlossen, als wir bergab schossen. Das Radl hat sich verbogen, es wandelte uns links und rechts und links.

Zuerst hab ich noch mit lockerer Lippe versucht den Ehrgeiz meiner Kollegin zu steigern. Das nahm sie mir schon übel. Mein panisches Geschrei auf dem Tandem – gut möglich, dass ich ausfallend wurde, während ich mit dem Leben abschloss ... Jedenfalls ist es ein Wunder, dass mir die Franziska zum übereilten Abschied nicht das Radl um den Hals gewickelt hat. Soundso steh ich jetzt wieder allein da. Aber ich hab was draus gelernt.

Ich fahr nur mehr mit Menschen auf dem Tandem, die ich nie wieder sehen will. Da ist zudem die Auswahl größer als an Freunden.

Perspektive 2 von Franziska Zoidl

Ich verrat Ihnen jetzt ein Geheimnis. So lustig, wie’s der Herr da nebenan schildert, war unsere Tandemausfahrt erst im Rückblick. Weniger lustig war’s, als wir beim Bahnhof Pottendorf-Landegg die Bahnunterführung hinuntersausten, der Rahmen des Scheiß-Tandems (sorry, das ist der Fachausdruck für Retrotandems der Marke Sch(n)auff) so flatterte, dass es mir fast den Lenker aus der Hand riss, und ich mir nicht mehr sicher war, ob ich mich oder Guido da gerade so ohrenbetäubend schreien hörte.

Für die, ähm, Freundlichkeiten, die ich ihm danach an den Kopf warf, möchte ich mich an dieser Stelle in aller Form entschuldigen. Der "nasse Sack" (und anderes) war unangebracht.

Ich hätte meine Wut auf den Fotografen richten sollen. Immerhin war es seine Idee gewesen, uns die einzige Bergabfahrt im sonst brettlebenen Ort anzutun – immer und immer wieder. Und nein, es wurde nicht mit jedem Mal einfacher. Aber er hatte eine fotografische Vision. Ich hatte auch eine Vision: Ich sah nämlich hinter meinen fest zusammengepressten Augen mein viel zu kurzes Leben an mir vorbeisausen. Immerhin gibt’s gute Fotos für den Unfallbericht, war der letzte Gedanke, bevor wir die Talsohle der Unterführung erreicht hatten und holprig auf dem dort angesammelten Rollsplit zum Stehen kamen.

Fürs koordinierte Bergauftreten fehlte uns nach den ersten paar Anläufen die Energie. Noch nie war ich so froh um meinen Marienkäfer-Radhelm gewesen. Wenn Sie sich fragen, wo die Fotos aus der Unterführung geblieben sind: Die werden gut unter Verschluss gehalten.

Ja, ich geb’s zu: Ich übertreibe. Unfall gab es ja glücklicherweise keinen. Dafür bin ich jetzt froh über die Fotos. Denn nach eingehender Analyse des Bildmaterials weiß ich endlich, warum ich mich beim Radeln so plagen musste. Ja, es lag auch an der steifen Brise, von der wir irgendwie immer die volle Breitseite abbekamen. Und ja, ein Problem war auch meine falsche Erwartungshaltung an den Ausflug gewesen.

Immerhin hatte mir der Kollege sein lausiges Tandem im Vorfeld als wesentlich bedienungsfreundlicher verkauft, als es letztendlich war. Nur so viel: Guidos Jogginganzug war noch nicht einmal auf der Welt, sah dieses wackelige Rad schon alt aus.

Andererseits: selber schuld. Immerhin hatte mir Guido ehrlich gesagt, dass seine Frau nicht mehr mit ihm Tandem fahren geht. Da hätte ich stutzig werden sollen. Denn ich kenne Gabriele. Sie fährt gekonnt und völlig furchtlos mit den wildesten Karossen. Nur aufs Tandem steigt sie nicht? Kluge Frau.

Außer Sichtweite

Der Hauptgrund, warum es so zach war, war aber wohl, dass Guido – seltsamerweise ohne große Widerrede – hinter mir Platz nahm und damit außerhalb meiner Sichtweite war. Seine sportlichen Ambitionen waren damit offenbar auch zu Ende, und ich musste für uns beide reintreten. Dafür sieht er auf den Fotos jetzt halt gut aus, und ich angfressen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Guido und ich sind uns im Alltag in sehr vielen Dingen sehr einig. Darum machen wir nur leider immer wieder denselben Fehler: Wir schreiben gemeinsam Artikel.

Seltsamerweise liefen die bisher alle wie unsere Tandemfahrt: Es fing lustig an, bis es krachend bergab ging. Jedes Mal dauerte es Monate, bis sich unsere kollegiale Beziehung von solchen Artikeln erholt hatte. Über Veganismus und Weihnachtsmenüs schreiben wir darum nicht mehr gemeinsam. Sollen wir Tandemfahren in die Liste aufnehmen?

Ich sage: Nein! Immerhin haben wir das koordinierte Treten auf der Ebene am Schluss schon ganz gut hingekriegt. Nur beim missglückten Abbiegen versperrten wir den Autos mit unserem XXL-Drahtesel kurz die Kreuzung. Aber auf dem autofixierten Land darf das ruhig öfter passieren. Ich sage: Guido, probieren wir es noch einmal! Diesmal aber ohne Fotograf. (RONDO, 20.3.2022)