Eine Zugladung russischer Militärlastwagen am Bahnhof Ostryakovo in der Nähe der Krim-Hauptstadt Simferopol.

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Die Frauen- und die Friedensbewegung waren immer schon eng verknüpft. Feministische Außenpolitik pocht nun auf ein neues Verständnis von Sicherheit. Die Politikwissenschafterin Madita Standke-Erdmann im Interview über Militäretats und einzementierte Geschlechterverhältnisse.

STANDARD: Vergangenen Sonntag zog eine Demonstration für den Frieden in der Ukraine über die Wiener Ringstraße. "Die Waffen nieder!", so der Slogan. Eine naive Forderung angesichts des russischen Angriffskriegs?

Standke-Erdmann: Aus feministischer Perspektive ist das ein äußerst zweischneidiges Schwert. Der Angriff auf die Ukraine verursacht unglaubliches Leid. Wir sehen täglich die Bilder des Kriegs, Menschen fliehen Richtung Polen oder auch Österreich. Zugleich beobachten wir in vielen EU-Staaten bzw. Nato-Mitgliedsstaaten einen starken Fokus auf Verteidigungspolitik, auf Aufrüstung. Der Schutz der Zivilbevölkerung beinhaltet natürlich auch die Möglichkeit, sich mit Waffen verteidigen zu können. Aufrüstung und Waffenlieferungen bergen aber auch immer die Gefahr, dass sich Konflikte verlängern – und somit auch das Leid der Bevölkerung. Es muss also danach gefragt werden, um wessen Sicherheit es eigentlich geht. Ist es die nationalstaatliche Sicherheit, oder steht die Zivilbevölkerung im Fokus, die ja unmittelbar von den Entwicklungen betroffen ist.

Madita Standke-Erdmann: "Frauen werden vielerorts bereits vermehrt in die Streitkräfte miteinbezogen – dennoch sind die Geschlechterverhältnisse im Krieg nach wie vor patriarchal."
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STANDARD: Deutschland rüstet auf: 100 Milliarden Euro sollen in moderne Waffen für die Bundeswehr investiert werden. Laut ARD-Deutschlandtrend befürworten 65 Prozent der Bevölkerung diese Entscheidung.

Standke-Erdmann: In Deutschland war sehr gut zu beobachten, wie schnell sich die Debatte auf den militärischen Aspekt des Konflikts zugespitzt hat. Die Ereignisse haben sich Ende Februar überschlagen, Olaf Scholz hielt eine Rede in der Sondersitzung des Bundestags und kündigte die 100 Milliarden für die Bundeswehr an. Dieser Fokus schlug sich auch in der Berichterstattung nieder. Eine feministische Perspektive, die einer Aufrüstung kritisch gegenübersteht, hinterfragt hingegen unser gängiges Sicherheitsverständnis ganz grundsätzlich. Es gilt also genauer hinzuschauen: Wem nutzen diese Ausgaben für die Verteidigung bzw. das Militär? Wem bietet sie tatsächlich Sicherheit? Diese Debatte führen wir aktuell kaum. Hingegen forderten erst Montag Stimmen aus der CSU, die Bundeswehr müsse schon im nächsten Jahr voll einsatzfähig sein.

STANDARD: Sicherheit kann auch als soziale Sicherheit verstanden werden?

Standke-Erdmann: Investitionen in die Rüstung gehen oft auf Kosten anderer Bereiche, die ohnehin unterfinanziert sind – zum Beispiel im Sozialsystem oder der Klima- und Umweltpolitik.

Der Krieg gegen die Ukraine geht auch mit umweltpolitischen Fragen einher. EU-Mitgliedsstaaten haben sich jahrzehntelang auf fossile Energien und damit auch Staaten wie Russland verlassen und zu wenig in erneuerbare Energie investiert. Hier zeigen sich auch die Langzeitkonsequenzen einer kurzsichtigen Politik.

STANDARD: 2014 machte Schweden mit seiner feministischen Außenpolitik weltweit Schlagzeilen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Standke-Erdmann: Der Begriff hat seit ein paar Jahren Konjunktur. Feministische Außenpolitik legt grundsätzlich Wert auf nachhaltige Friedensprozesse. Kriege oder militärische Konflikte sind stark von patriarchalen, oft auch rassistischen Strukturen, von Ungleichheit geprägt. Feministische Außenpolitik will diese Strukturen aufbrechen. Sie wird nicht nur nationalstaatlich gedacht – also etwa an österreichischen oder französischen Interessen ausgerichtet –, sondern auch immer transnational und global. Friedensprozesse müssen außerdem auf Augenhöhe passieren und partizipativ gestaltet sein. Das bedeutet auch, dass beispielsweise historisch marginalisierte Gruppen teilhaben müssen. Denken wir nur an die Bilder von der Münchner Sicherheitskonferenz vor wenigen Wochen: Dort saßen lauter meist weiße Männer Mitte sechzig, die über die globale Sicherheitspolitik diskutierten. Diese Gruppe ist nicht repräsentativ dafür, wer eigentlich betroffen ist von den sicherheits- und außenpolitischen Entscheidungen.

STANDARD: Die Forderung nach Abrüstung und Friedenspolitik hat eine lange feministische Geschichte. Wie wirken sich Kriege auf Geschlechterverhältnisse aus?

Standke-Erdmann: Kriegerische Auseinandersetzungen haben einen ganz massiven Einfluss auf Geschlechterverhältnisse, das ist mittlerweile gut erforscht.

Wir sehen das aktuell auch bereits am Beispiel des Kriegs gegen die Ukraine: Es sind vor allem Frauen, die fliehen. Männer konnten das Land irgendwann nicht mehr verlassen, weil sie dazu verpflichtet sind, in der Ukraine zu bleiben und zu kämpfen. Männer haben also schlichtweg keine Wahl. Geschlechterverhältnisse werden so einzementiert. Frauen und Kinder, die immer in einem Atemzug genannt werden, werden oft als humanitärer Aspekt eines kriegerischen Konflikts wahrgenommen, Männer als militarisierter – sie müssen heroisch in den Kampf ziehen. Frauen werden vielerorts bereits vermehrt in die Streitkräfte miteinbezogen – dennoch sind die Geschlechterverhältnisse im Krieg nach wie vor patriarchal. (Brigitte Theißl, 16.3.2022)