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Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

"Raus, einfach nur noch raus, egal wohin." So beschreibt ein junger Arzt aus dem ukrainischen Charkiw den Moment, als er sich zur Flucht entschloss. Er hat eine Odyssee über die Slowakei und Tschechien hinter sich, jetzt steht er mit einem Koffer am Berliner Hauptbahnhof und muss sich erst einmal orientieren.

Seine Frau beobachtet den kleinen Sohn, der in der Kinderecke spielt. Diese ist eigens im Untergeschoß eingerichtet worden und am Vormittag schon gut besucht. Unzählige freiwillige Helfende verteilen Wasserflaschen. "Die Menschen sollen hier erst einmal in Ruhe ankommen und durchschnaufen", sagt einer der Helfer.

Doch alles läuft nicht so glatt in Berlin. Mehr als 160.000 Menschen aus der Ukraine wurden bisher in Deutschland als Geflüchtete registriert. Tatsächlich dürften aber noch sehr viele mehr gekommen sein. Es gibt an den meisten EU-Binnengrenzen keine Grenzkontrollen, Ukrainer und Ukrainerinnen dürfen zudem ohne Visum nach Deutschland einreisen.

Leere Kaserne als Notquartier

Vor allem Berlin ist bereits an sein Limit gelangt. Am vergangenen Wochenende kamen 4.000 Menschen, während der Woche täglich rund 1.000 – was das Bundesinnenministerium offensichtlich überrascht hat. "Der Ansturm an ukrainischen Flüchtlingen, den wir in den letzten Tagen erlebt haben, mit dem hatte man so nicht rechnen können", erklärte ein Sprecher am Montag.

In Windeseile wurden in der deutschen Hauptstadt nun am alten, unbenutzten Flughafen Tegel Notquartiere eingerichtet, auch die frühere britische Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau wird wieder reaktiviert. Schon 2015 war sie ein Notquartier.

Doch Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagt: "Das ist nicht nur eine Berliner Aufgabe, das ist eine nationale Aufgabe. Berlin kann das nicht alles allein regeln, sondern braucht mehr Unterstützung vom Bund." Daher hat Giffey bei Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Entsendung von 240 Soldaten und Soldatinnen angefordert. Diese sollen in Schichten zu je 80 Kräften eingesetzt werden.

Noch kein Katastrophenfall

Das Verteidigungsministerium prüft die Berliner Anfrage noch, doch laut Berichten mehrerer Medien wird es wohl keine Soldatinnen und Soldaten schicken. Zum einen weil Berlin keinen Katastrophenfall ausgerufen hat. Zum anderen weil die Bundeswehr die Nato Response Force verstärkt.

Doch Berlin soll nun auf andere Weise entlastet werden – durch den sogenannten Königsteiner Schlüssel. So nennt sich die Berechnungsmethode, mit der die Verteilung Geflüchteter auf die einzelnen Bundesländer – je nach Einwohnern und Wirtschaftskraft – vorgenommen wird. Sie war auch schon im Jahr 2015 angewandt worden.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte dies vor einer Woche noch als unnötig bezeichnet, schwenkte nun aber um. Mittlerweile gibt es auch Sonderzüge, die von der deutsch-polnischen Grenze nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Hannover fahren.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordert die Länder auf, freie Plätze für Geflüchtete zu schaffen und diese zu melden: "Jetzt ist es höchste Zeit, schneller zu werden, größere Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Die Menschen brauchen eine Versorgung." Und weiter: Im Idealfall "wäre es so, dass wir schon beim Beginn des Transports in Polen wissen, wo Aufnahmekapazitäten sind". Dann könnten die Züge direkt dort hinfahren.

Am Berliner Hauptbahnhof patrouilliert die Polizei nun auch verstärkt in Zivil. Sie berichtet von Personen, "die sich auffällig im Zusammenhang mit der Unterkunftsverteilung" verhalten, und warnt, allein reisende Frauen und Jugendliche auf private Übernachtungsangebote einzugehen, wenn Geld geboten wird. (Birgit Baumann aus Berlin, 16.3.2022)