Keine Prüfungsangst: Die grüne Regierungspolitikerin Alma Zadić gibt sich trotz der Vorwürfe gelassen.

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Die Trefferquote ist beachtlich. Seit dem Wintersemester 2005/06 fanden an der Universität Wien 53 Verfahren statt, um wissenschaftliche Abschlussarbeiten auf den Verdacht des Plagiats hin zu überprüfen. 26-mal erkannte die Alma Mater als Konsequenz akademische Grade ab. Viele Beanstandungen waren also stichhaltig.

Nun liegt ein besonders brisanter Fall vor. Die Wiener Uni lässt jene Arbeit überprüfen, mit der Justizministerin Alma Zadić (Grüne) 2017 ihren Doktortitel errungen hat. Auslöser ist ein von einem anonymen "Recherchekonsortium" erstelltes Gutachten, das auf den 220 Seiten zum Thema "Transitional Justice in Former Yugoslavia" 73 Plagiatsfragmente entdeckt zu haben glaubt.

Überbracht hat die Dokumentation das Online-Boulevardmedium Exxpress, das beim Ausschlachten der Causa seinem Ruf der ÖVP- Schlagseite alle Ehre gemacht hat. Doch das bedeutet nicht, dass die Vorwürfe aus der Luft gegriffen sein müssen. Die Universität hält die Indizien zumindest für "überprüfungswürdig", wie eine Sprecherin sagt. Hätte es bloß vage Hinweise gegeben, wäre das Verfahren nicht in Gang gesetzt worden.

DER STANDARD hat das aufwendige Gutachten bereits im Februar unter die Lupe genommen und darüber berichtet. Die Bewertung unterliegt einigem Interpretationsspielraum. So legen die aufgelisteten Fälle etwa nahe, dass Zadić aus anderen Werken Gedankengänge samt der zugehörigen Fußnoten einfach abgekupfert habe. Genauso könnte man aber auch annehmen, dass die heutige Ministerin die gleichen Originalquellen benutzt hat und deshalb zu ähnlichen Schlüssen und Formulierungen gefunden hat.

Täuschungsabsicht ist Bedingung

Der bekannte "Plagiatsjäger" Stefan Weber, der laut Eigenaussage nicht zum Recherchekonsortium gehört, sieht drei Bereiche, die "eindeutig" als Plagiat zu werten seien: einen Teil der Gliederung, eine Forschungsfrage sowie eine Schlussfolgerung. An eine Aberkennung des Doktortitels glaubt er dennoch nicht. Denn dafür ist laut Universitätsgesetz nicht nur Voraussetzung, dass Inhalte "ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle" als eigene ausgegeben werden. Die betroffene Person muss auch in Täuschungsabsicht gehandelt haben.

Bei der Überprüfung gelte es deshalb, eines zu unterscheiden, sagt Peter Lieberzeit, Studienpräses der Uni Wien, im Gespräch mit der Austria Presse Agentur: "Wollte sich da jemand etwas erschleichen, oder war etwas ein ,honest error‘? Handelt es sich um Zitierfehler oder systematisches Übernehmen der Gedanken von anderen?"

Unabhängige Expertise gesucht

Die Genese im Fall der Justizministerin ist typisch: Meistens stehe am Beginn ein Hinweis von außen, im Zweifelsfall leite die Uni eher ein Verfahren ein, erläutert Lieberzeit. Die angezeigte Person bekommt Gelegenheit zur Stellungnahme, ehe geeignete Gutachterinnen und Gutachter ausgesucht werden. Da es in der akademischen Welt unterschiedliche Kulturen des wissenschaftlichen Arbeitens gibt, sollten die Überprüfer vom entsprechenden Fach – im Fall Zadić also Juristinnen und Juristen – sein. Ein Naheverhältnis soll weder zur betroffenen Person noch zur Betreuerin oder dem Betreuer bestehen – "und möglichst auch nicht zur Universität Wien".

Bei Fällen von öffentlichem Interesse sichere sich die Hochschule außerdem noch ab, indem man die Expertise der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) bei der Auswahl der Gutachterinnen und Gutachter miteinbeziehe, sagt Lieberzeit: "Damit es nicht heißt, die Uni sucht sich nur ihr genehme Personen aus."

Den Kritiker Weber überzeugt genau das allerdings nicht: Das Einschalten der ÖAWI habe bei vielen Fällen der vergangenen Jahre lediglich als Feigenblatt gedient.

Zahl der Plagiatsfälle nimmt ab

So oder so steht am Ende eine Alles-oder-nichts-Entscheidung: Entweder wird der Titel aberkannt oder nicht. Ein Kompromiss – etwa eine schlechtere Note – ist nicht vorgesehen.

Am liebsten würde sich die Uni aber nachträgliche Überprüfungen ersparen – was auch immer öfter gelinge. Mittlerweile gehöre eine Plagiatsprüfung per Software vor Beurteilung einer Arbeit zum Standard. Die Zahl der angezeigten Fälle nimmt jedenfalls ab: 40 der 53 Verfahren stammen aus der Zeit vor 2014.

Für Zadić heißt es nun warten, vermutlich bis nach dem Sommer. Die Ministerin gibt sich nach außen hin gelassen. "Wir begrüßen, dass die anonymen Vorwürfe damit objektiv überprüft und ausgeräumt werden können", lautet das Statement aus ihrem Büro. (Gerald John, 15.3.2022)