Die Auseinandersetzung mit sich selbst, die Verarbeitung von Abweisungen, Kränkungen und Tragödien ließen Arnold Schönberg mitunter auch zum Maler werden.

Foto: Schönberg Center

Die Augen sind weit aufgerissen und mit roter Farbe unterlaufen. Das Gesicht ist eingefallen, die Haut fahl, der Blick erstarrt vor Todesangst. Arnold Schönberg malte das Bild 1910, nachdem er zuvor einen Vortag von Karl Kraus in Wien besucht hatte. In Diechinesische Mauer befasste sich Kraus mit dem Tod der evangelischen Missionarin Elsi Siegel. Sie war von ihrem chinesischen Liebhaber im New Yorker Chinatown ermordet worden. Das tragische Ereignis führte zu weltweiten rassistischen Ausschreitungen – bis nach Budapest und Wien. Siegels Leiche war in einem Koffer gefunden worden – "die Knie durch Stricke unter das Kinn gezogen, das Gesicht mit ungelöschtem Kalk beworfen."

Der Blick hängt gleich zu Beginn der Ausstellung Mit Schönberg in die Seele blicken und zeigt, gemeinsam mit 80 weiteren Exponaten, das Seelenwerk des Komponisten. Neben dem Gemalten finden sich in der Ausstellung auch Briefe, Postkarten, Fotografien, Aphorismen, animierte Musikstücke und Partituren: darunter das Klavierstück op. 19/6 als Hommage in neun Takten an den verstorbenen Freund Gustav Mahler oder die Seelenwanderungen im Oratorium Die Jakobsleiter.

Schönbergs Selbstbildnisse sind auch ein zentraler Aspekt der Schau. "Viele von diesen Bildern entstanden infolge von kulturgeschichtlichen Ereignissen", erzählt die Kuratorin Therese Muxeneder. "Sie zeigen aber auch ganz persönliche Einblicke in Schönbergs Seele".

Wie er sich ausdrückte

Tatsächlich hat es der Avantgardist mit der Malerei genauso gehalten wie mit der Musik, vertraute er 1949 seinem amerikanischen Kollegen Halsey Stevens an. "Malen war ein Weg, mich auszudrücken, meine Gefühle zu zeigen. So kann man vielleicht am besten diese Gemälde verstehen." Sein erstes Selbstporträt entstand im Dezember 1908, wenige Tage nach der Uraufführung des Zweiten Streichquartetts op. 10, das zu Tumulten im Publikum und vernichtenden Kritiken geführt hatte. Auf dem Bild ist Schönberg erst 34 und wirkt mit dem ernsten, dem Zuschauer abgewandten Blick um vieles älter.

Auch die Bekanntgabe der Arisierungen, seinen und den Ausschluss jüdischer Lehrkräfte aus der Akademie der Bildenden Künste in Berlin hält er in Selbstporträts fest. Da ist aber auch ein Aquarell vom 30. Dezember 1935, das Schönberg im US-Exil malte, als er vom Tod seines Schülers Alban Berg erfuhr. Es zeigt ihn im Profil, den Blick nach oben gerichtet. Über das Gesicht rinnt schwarze Tusche. Bis 1944 entstanden weitere Selbstbildnisse als eine Art Tagebuch, die Schönbergs Seelenzustände in Bildern bewahrten.

"Ich habe niemals Gesichter gesehen, sondern nur Blicke", schrieb er 1938. "Ein Maler erfasst mit einem Blick den ganzen Menschen – ich nur seine Seele." Nun lassen sich die Horizonte des Innenlebens vor Ort und digital erkunden: Bis zum 28. Mai wird auf der Homepage des Schönberg Center täglich ein neues Objekt präsentiert und erklärt. (Miriam Damev, 16.3.2022)