STANDARD: Haben Sie heute schon gelacht?

Rainer Stollmann: Gelächelt schon, gelacht nicht. Meine Frau ist morgens früh auf, ich bin eher ein Morgenmuffel. Wir wissen ja von Loriot, dass Männer und Frauen nicht zusammenpassen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Erst die aufgeklärten Idealisten wie Voltaire, Kant oder Hegel machten die Maxime populär, dass Lachen gesund sei. Davor galt es weitgehend als verpönt.
Foto: Getty Images

STANDARD: Wie lange sind Sie verheiratet?

Stollmann: Dieses Jahr werden es 50 Jahre. Meine Frau und ich passen eben sehr gut nicht zusammen.

STANDARD: Sind Sie ein polternder Lacher?

Stollmann: Meine Frau sagt mir manchmal, dass ich viel am Telefon lache. Offenbar benutze ich Lachen als eine Art kommunikatives Schmiermittel. Polternd lache ich nicht.

STANDARD: Warum lachen manche Menschen hysterisch laut, manchen schießen die Tränen ein und anderen sieht man das Lachen nur an, hört aber keinen Laut?

Stollmann: Das kann am Charakter des einzelnen Menschen oder am Anlass des Lachens liegen. Das schönste Lachen ist jedenfalls das Lachen mit Tränen, sozusagen die Anarchie des Körpers, die vom Zwerchfell ausgeht. Danach setzt sich die Seele ein klein wenig anders wieder zusammen. Goethe sagt allerdings: "Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist." Er hat nicht gesagt: "Sage mir, wie du lachst", obwohl das, besonders wenn es deutlich in eine Richtung geht, auch Rückschlüsse zulässt.

STANDARD: Was sagt die Wissenschaft dazu?

Stollmann: Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen Lachsprache, genauer "Parasprache des Lachens", und "gros rire", also fettem Gelächter, bei dem man die Kontrolle über den Körper verliert. Dagegen ist die "Lachsprache" ein Lachen im Korsett und erreicht kaum das Zwerchfell. Mit der Lachsprache, zu der unter anderem Lächeln, Grinsen, Spielgesicht oder Zähne zeigen gehören, also Gesichtsmimik und Mundgeräusche, können Sie fast alles ausdrücken, was man auch sprachlich ausdrücken kann: Herzlichkeit, Höflichkeit, Spott, es gibt sogar ein ängstliches Lachen, also eine Maskierung der eigenen Angst. Das Einzige, was sich durch Lachen nicht ausdrücken lässt, ist vielleicht Sehnsucht. Es mag ein "sehnsüchtiges Lächeln" geben, ein sehnsüchtiges Lachen aber nicht.

STANDARD: Wie definieren Sie Humor?

Stollmann: Sigmund Freud begreift Humor als "Ersparnis von Gefühlen". Manche Menschen verstecken Gefühle hinter Humor. Ich möchte aber eine Ausnahme ergänzen, nämlich das Kitzelgefühl. Es sind nämlich alle Sinne, nicht nur die menschliche Haut, kitzelfähig. Wir sprechen zum Beispiel von Gaumen- oder Nervenkitzel, das 18. Jahrhundert kannte sogar den Ohrenkitzel.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Die Bananenschale ist die Rache der Kolonien an den kapitalistischen Zentren." Rainer Stollmann
Foto: privat

STANDARD: Den Ohrenkitzel?

Stollmann: Denken Sie auch an die Gattungsbezeichnung "Scherzo" in der klassischen Musik. Wenn der Schlusschor der Neunten Sinfonie von Beethoven das Hysterische streift, was leicht passiert, dann kippt das Erhabene ins Komische.

STANDARD: Wie sieht es mit Galgenhumor aus?

Stollmann: Freud erzählte folgenden Witz: "Der Priester, der den Delinquenten bei sehr schlechtem Wetter zum Galgen begleitet, sagt: Du hast es gut, du musst nicht zurück." Galgenhumor ist eine weitere Form von Gefühlsersparnis.

STANDARD: Es gibt da diesen Ausdruck "zum Lachen in den Keller gehen". Was denken Sie über Menschen, denen das nachgesagt wird?

Stollmann: Besser im Keller lachen als gar nicht. Es gibt Berichte über Menschen, die 1944 im Luftschutzkeller sitzen und Witze reißen. Der Humor stirbt noch später als die Hoffnung.

STANDARD: Es heißt, dass Lachen gesund sei. Stimmt das?

Stollmann: Natürlich, vor allem das "Sich-Totlachen". Aber Lachen wird erst im 18. Jahrhundert gesund, vorher war es offiziell eine Eigenschaft des Teufels. Es gab auch ernsthafte Warnungen vor dem Sich-Totlachen. Dagegen machen die aufgeklärten Idealisten wie Voltaire, Kant oder Hegel die Maxime populär, dass Lachen gesund sei, was die heutige Medizin vollkommen bestätigt.

STANDARD: Angeblich lachen Kinder einige hundert Mal am Tag, Erwachsene lediglich 15-mal. Warum?

Stollmann: Ich habe einen Zweijährigen unbändig lachen sehen, als er zum ersten Mal einen Ball die Treppe herunterhüpfen sah. Das kann man von Messi oder Lewandowski auf dem Platz nicht erwarten. Sie beherrschen den Ball. Das Kind wundert sich darüber, dass der Ball "lebt". Es kann in seinem halbanimistischen Zustand nicht recht zwischen dem echten Leben und einem toten Ding unterscheiden. Mit anderen Worten: Für das Kind ist jeden Tag so vieles neu und überraschend, so vieles "kitzlig", und das quittiert es mit Lachen, um keine Angst vor all diesem Unerwartetem zu bekommen. Der Weg vom Kind zum Erwachsenen ist jener vom Lust- zum Realitätsprinzip. Der Erwachsene ist vom Gesichtspunkt des Lachens eine Fehlkonstruktion. Am besten lachen Kinder und alte Leute, die sich wieder außerhalb des Realitätsprinzips befinden, wenn sie von diesem nicht zu sehr verbittert wurden. Der lachende Tod ist ein schönes mittelalterliches Sinnbild für das ewige Leben des Lustprinzips.

STANDARD: Wie sieht es eigentlich mit Schadenfreude aus? Warum lachen sich manche Menschen halb tot, wenn sie sehen, dass jemand auf einer Bananenschale ausrutscht?

Stollmann: Ob Sie es glauben oder nicht: Die Bananenschale ist die Rache der Kolonien an den kapitalistischen Zentren. All die feinen Herren rutschen so auf der Bananenschale aus, wie der Imperialismus des Westens im 20. Jahrhundert mit seinem barbarischen Kolonialismus scheitert. Es gäbe viele andere Möglichkeiten auszurutschen: Hering, Schmierseife, Gurken- oder andere Obstschalen. Aber die vollkommene Dominanz der Banane in der Komik des Hinfallens hat mit Weltpolitik und historischen Erfahrungen zu tun.

STANDARD: Das heißt, Humor ist offensichtlich von politischen und gesellschaftlichen Zuständen betroffen. Wie veränderte er sich über die Epochen?

Stollmann: Ein Mensch vor dem 18. Jahrhundert hätte einen Witz nicht verstanden, sondern Sie verständnislos angeschaut, wenn sie ihm einen erzählen. Vor dem 18. Jahrhundert gibt es im engeren Sinne keinen Witz, keinen Humor und keine Komik. Das alles kann erst existieren, wenn die Rationalität, die Aufklärung einmal über die Menschen hinweg- oder durch sie hindurchgegangen ist.

STANDARD: Das Lachen war lange Zeit überhaupt verboten.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Das Lachen wird den Frauen und Kindern überlassen."
Foto: Getty Images

Stollmann: Ja, und das begann schon sehr früh. Man sagt ja: "Ein Indianer lacht nicht." Und das stimmt. Winnetou lacht nicht. Das Lachen wird den Frauen und Kindern überlassen. Plato verbot in seinem Idealstaat die Kunst und besonders das Lachen. Wenn die Stadtwächter lachen, kann das für die Stadt gefährlich sein. Noch heute verziehen die Wächter vor dem Buckingham-Palast unter ihren hohen Fellmützen keine Miene, wenn Touristen sie fotografieren. Zu diesem Bild hat übrigens Mr. Bean einen herrlichen Sketch gemacht. Wenn Lachen für einen Kontroll- und Herrschaftsverlust des eigenen Körpers steht, dann kann sich das ein Herrscher schlecht erlauben. Besser funktioniert’s, wenn er einen Hofnarren zwischen sich und den Hofstaat schiebt, wie es in der Renaissance üblich wurde. Nur die besseren Fürsten waren humorvoll, zum Beispiel Friedrich der Große. Richtig drastisch wurde das Verbot im christlichen Mittelalter. Jesus hat in der Bibel nicht gelacht, also war Lachen des Teufels. Es ging aber in Wahrheit nicht um die Bibel, sondern um die Bekämpfung des heidnischen Karnevals. Der Karneval ist das älteste Fest der Menschheit. Es ist kein Zufall, dass die christlichen Feste von Weihnachten bis Ostern alle in dieser Zeit des Jahres liegen. Sie sollten das sich besonders im Karneval äußernde Heidentum verdrängen. Das hat aber alles nichts genützt, im Mittelalter war das Lachen das, was heute die Vernunft sein will: Mittel der Emanzipation. Einmal im Jahr eine limitierte Lachrevolution, das verändert die Gesellschaft anschließend ein bisschen. Der Karneval hat als institutionalisierte Revolution den Feudalismus über Jahrhunderte stabilisiert. Die Mönche und kleinen Priester haben trotz Verbots gelacht, und manche Päpste auch.

STANDARD: Mögen Sie Witze?

Stollmann: Ja. Aber Brecht und Helge Schneider, die ich beide sehr schätze, mögen sie nicht. Bei Loriot und Hader, große Komiker, gibt’s auch keine Witze. Brecht forderte im Theater Humor, aber "bloß keine Pointen", und Helge Schneider umgeht aufs Pedantischste jede Pointe, die vor ihm auf dem Wege liegt. Der Grund dafür ist, dass der Witz eben oft genau dort einen Schlusspunkt setzt und man sich lachend zurücklehnen kann, wo die Probleme in der Wirklichkeit erst anfangen.

STANDARD: Was sind das für Menschen, die Witze erfinden?

Stollmann: Mit der Realität Unzufriedene, jene, die jammern und zetern, aber auch Gewalt für sinnlos halten. Deshalb sind die AfD und alle anderen Rechtsaußen so humorlos.

STANDARD: Herr Stollmann, als Lachforscher müssten Sie auch schon mal etwas vom "Wiener Schmäh" gehört haben, oder?

Stollmann: Meine junge Mutter sprach bisweilen mit glänzenden Augen vom Wiener Schmäh, sodass ich schon als kleiner Junge ahnte, dass es sich nicht nur um Schimpfen handeln konnte. Ich glaube, sie dachte dabei an etwas zwischen Hans Moser und Zigeunerbaron. Alle großen Städte entwickeln ja, als ob sie Riesenindividuen wären, spezielle Charakterzüge. Aber nur in Wien besteht diese Charaktereigenschaft in etwas völlig Undefinierbarem: derb, charmant, zynisch, höflich, spöttisch, sentimental usw. Es wundert einen nicht, dass "Der Mann ohne Eigenschaften", was ja gleichzeitig heißt, dass er über alle Eigenschaften verfügt, in dieser Stadt zu Hause ist. Mit Musils Ironie können sich übrigens nur noch Marcel Proust und Thomas Mann messen. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 8.4.2022)