STANDARD: Sie twittern über Schüler-VZ, vegane Schnitzel, Selfcare. Verstehen Ihre Eltern, was Sie tun?

Sebastian Hotz twittert als El Hotzo.
Foto: Diana Pfammatter

Sebastian Hotz: Ich behaupte mal, dass meine Eltern nicht genau wissen, was Twitter ist. Das ist verständlich: Wenn das nicht meine Lebensrealität wäre, würde ich mich auch nicht dafür interessieren. Insgeheim denken meine Eltern wohl: Der soll mal seine rebellischen Teenagersachen machen. Der kommt schon noch raus aus der Phase.

STANDARD: Mit Instagram geht es ihnen sicher nicht anders …

Hotz: Die Plattform ist meinen Eltern näher. Bilder lassen sich leichter konsumieren als Textschnipsel. Am meisten stört sie wahrscheinlich, dass ich in unvollständigen Sätzen schreibe.

STANDARD: Und ohne Punkt und Komma!

Hotz: Ganz genau – was soll das? Den haben wir doch ins Gymnasium geschickt, warum kann der das nicht?

STANDARD: Haben Sie ihnen schon Gags erklären müssen?

Hotz: Klar, sie verstehen geschätzt sechzig, siebzig Prozent der Posts. Das heißt aber nichts: Es sind auch schon Menschen, die nur 15 Jahre älter sind, mit erhobenen Augenbrauen vor mir gegessen. Das betrifft aber gerade mal einen einstelligen Prozentsatz der Posts.

STANDARD: Muss man jung sein, um Ihre Schmähs zu verstehen?

Hotz: Jung vielleicht, aber gar nicht so jung, wie man denkt. Mir folgen vor allem Leute zwischen 25 und 30. Mein Humor ist also kein Gen-Z-, sondern ein Millennial-Ding. Twitter und Instagram sind schließlich Millennial-Medien. Eigentlich ist das ziemlich peinlich, Millennials sind uncoole Harry-Potter-Fans.

STANDARD: Warum sind Sie nicht auf Tiktok aktiv?

Hotz: Dafür bin ich nicht schön genug – und ich kann nicht tanzen. Außerdem fehlt mir die Zeit für hochaufwendige Videos. Ich mache meine Inhalte nebenbei, im Supermarkt, beim Sport, bei meiner eigentlichen Arbeit, das ginge bei Tiktoks nicht.

STANDARD: Ihnen folgen auf Twitter fast 340.000, auf Instagram eine Million Menschen. Was wissen Sie über die?

Hotz: Ich kann mir mal auf Instagram die Altersstruktur ansehen (holt das Handy raus): 8,7 Prozent meiner Follower:innen kommen aus Berlin, Wien ist übrigens mit 3,3 Prozent der drittgrößte Standort des Franchise-Unternehmens El Hotzo. Ansonsten folgen mir zu zwei Dritteln Frauen. Die Hälfte meiner Fans sind Menschen zwischen 25 und 34, nur ganz wenige zwischen 13 und 17.

STANDARD: Interessieren Sie solche Statistiken?

Hotz: Vor eineinhalb Jahren war ich beeindruckt von der Explosion meiner Followerzahlen. Mittlerweile stellt sich der Luxus der Größe ein: Who the hell cares? Ehrlicherweise fehlt mir die Vorstellungskraft, wie viele Menschen El Hotzo folgen. Dass das 1,5 Millionen Accounts sind, fühlt sich gruselig an.

STANDARD: Muss man ein Nachrichtenjunkie sein, um gute Gags zu machen?

Hotz: Nicht unbedingt. Ich konsumiere auf Twitter viele Nachrichten passiv. Meine Beiträge lege ich so an, dass möglichst viele sie verstehen. Tendenziell aber habe ich ein informiertes Publikum. Ich befürchte, es ist dasselbe wie das der Heute-Show und des ZDF Magazin Royale.

STANDARD: Sollen wir Sie jetzt bedauern?

Hotz: Eigentlich wäre ich gern nischiger, als ich bin. Auch wenn ich weiß, dass das Ablehnen des Mainstreams, zu dem ich längst gehöre, kindisch ist. Mir ist der klassische Werdegang jeder Band widerfahren: Irgendwie hält man sich für cooler als das Publikum, das man hat. Aber ohne das wäre man nicht da, wo man nun ist. Letztlich bin ich das perfekte Abbild meiner Follower: Irgendein studierter Typ Mitte 20 ohne größere Probleme macht sich über alles lustig.

STANDARD: Wann ist ein Tweet erfolgreich?

Hotz: Das kommt auf die Laune im Internet an. Ab 6000 Likes auf Twitter würde ich sagen: Läuft gut. Auf Instagram passt’s bei 100.000 Likes. Aber ich könnte meine Posting-Frequenz viel schlauer angehen. Social-Media-Manager schütteln wahrscheinlich den Kopf über meinen textlastigen Content. Meist haue ich abends um sechs was raus. Ansonsten mache ich mir wenige Gedanken darum. Das ist das letzte Stück Magie, was bleibt.

STANDARD: Sind Sie süchtig nach Likes?

Hotz: Ich bin davon abhängig! Und ich freue mich auf den Tag, an dem das nicht mehr so ist. Mir macht das alles unheimlich viel Spaß. Ich weiß aber, dass die Abhängigkeit von Likes ungesund ist.

STANDARD: Wird im Internet anders gelacht als auf der Kleinkunstbühne?

Hotz: Vor der Kleinkunstbühne versammeln sich Menschen, weil sie lachen wollen. Da braucht es nicht so viel, um das herauszukitzeln. Ich bezweifle, dass jemals über einen Tweet von mir laut gelacht wurde. Dafür ist mein Publikum schnell beim Liken.

STANDARD: Gibt’s einen Unterschied zwischen Applaus und Likes?

Hotz: Der Applaus findet in der physischen Welt statt, jemand muss sich Zeit nehmen, zu dir zu kommen. Am Anfang der Corona-Pandemie haben kleinere Kultureinrichtungen Livestreams gemacht und waren fix und fertig, weil 400 Menschen zugeschaut haben. Im echten Leben wäre das schließlich ein doppelt ausverkaufter Saal gewesen. Im Internet sind 400 Leute aber nichts! Es bedeutet wenig, jemandem zu folgen. Ein Like passiert im Vorbeigehen, ein Like ist so wenig wert.

STANDARD: Das klingt geradezu kulturpessimistisch …

Hotz: Gar nicht. So sehr Instagram und Twitter verteufelt werden, mir haben diese Plattformen viele coole Menschen ins Leben gespült. Jeden Tag entdecke ich etwas Neues, kreativ-bescheuert Wunderbares. Ich glaube bloß, dass wir das Internet richtig einordnen sollten – als wichtige Plattform, die zu relativieren ist. Vor 50 Leuten ein Gedicht vorzutragen verlangt viel mehr ab, als es auf Tiktok zu posten.

STANDARD: Sie sind 1996 geboren. Mit welcher Satire sind Sie groß geworden?

Hotz: Schwierig zu sagen, mit Harald Schmidt jedenfalls nicht. Ich erinnere mich aber noch an die Aufregung meines Vaters, als er eine Late-Night-Show auf dem Videorekorder aufnehmen wollte. Ich habe als Kind eine Comedy-CD dieses seltsamen bayerischen Liedermachers namens Georg Ringsgwandl rauf und runter gehört. Auch gut fand ich die Sendung Metzgerei Boggnsagg auf Antenne Bayern. Meine humoristische Sozialisation fand aber im Internet oder auf illegalen Streamingplattformen statt, wo ich mir alle Folgen von den Simpsons reingezogen habe. Auf Pro Sieben kam die Sendung immer um 18.10 Uhr. Schlechter Zeitpunkt, um 18 Uhr wurde bei uns natürlich zu Abend gegessen.

STANDARD: Über wen lachen Sie im Internet?

Hotz: Über die Godfathers des deutschen Gag-Internets: Creamspeak, Dax Werner, Hermann Dose. Die haben das deutschsprachige Twitter zu dem gemacht, was es heute ist. Das wird leider nicht oft genug gesagt.

STANDARD: Sie sind im bayerischen Forchheim aufgewachsen, heute leben Sie in Berlin. Wäre die Twitter-Karriere auch in der Kleinstadt möglich gewesen?

Hotz: Es ist scheißegal, wo ich wohne. Meine Internetkarriere begann in Erlangen und wurde dann in Bielefeld fortgeführt.

STANDARD: Aber mit Ihrem Leben haben sich doch Ihre Tweets verändert, oder?

Hotz: Natürlich. Ich kann keine geilen Großraumbüro-Gags mehr schreiben, weil ich nicht mehr da arbeite. Stattdessen bin ich heute genau der Berliner Medienmensch, über den ich mich immer lustig mache. Irgendwann würde man mir dieses "Ich bin so ein antriebsloser Loser" nicht mehr abkaufen. Ich mache mich ja auch immer lustig über Autor:innen, die in den letzten Jahren drei Bücher herausgebracht haben, aber über Schreibblockaden klagen.

STANDARD: Haben Sie Angst davor, dass die junge Generation Sie irgendwann nicht mehr witzig findet? Dass Sie zum Thomas Gottschalk der Nation werden?

Hotz: Jede Generation wird von einem Comedian begleitet. In Deutschland ist Jan Böhmermann der Millennial-Comedian. Die Klammer zwischen Millennials und der Generation X nimmt wohl Oliver Welke ein, darüber kommen dann irgendwann die Gottschalks.

STANDARD: Alles Männer!

Hotz: Ja, das bringt mich in eine unkomfortable Situation. Man redet sich ein, dass jeder moderne Mann Feminist ist. Doch die Strukturen, in denen ich Geld verdiene, sind sexistisch. Im Internet macht es unser aller erbarmungsloses Verhalten Frauen schwer, lustig zu sein. Ich kann mich frei von Todes- und Gewaltdrohungen im Internet bewegen. Wenn eine weiblich gelesene Person Gags im Internet veröffentlicht, dann ist der Anteil der menschenverachtenden Nachrichten in kürzester Zeit riesig. Das macht viel kaputt.

STANDARD: Auf Twitter und Instagram macht man sich über den Boomer-Humor lustig. Was zeichnet den aus?

Hotz: Ein klassisches Beispiel für Boomer-Humor: Männer witzeln darüber, wie beschissen die eigene Ehe ist. Mir fallen 30 Stand-up-Comedians ein, die genau das machen – darunter auch einige aus der jungen Generation. Dass die Frau, die man liebt, zu einer Pointe wird, lässt tief blicken. Ob der Millennial-Humor, der sich darüber beschwert, dass das Leben so schwer ist, innovativer ist? Ich weiß es nicht.

STANDARD: Die Jungen lachen also anders als die Alten?

Hotz: Man neigt dazu, Generationen voneinander abgrenzen zu wollen. Ich glaube aber, dass der Boomer-Humor auch in meiner Generation noch weit verbreitet ist. Sonst wären die üblichen Comedians nicht so erfolgreich. Es gibt auch Nachwuchs, der solche Witze auf Tiktok macht.

STANDARD: Wie sieht es aus mit gut gealterten Comedians?

Hotz: Im letzten Jahr habe ich zum ersten Mal Kein Pardon mit Hape Kerkeling aus dem Jahr 1993 gesehen. Das ist ein gut gealterter, lustiger Film, mit Ausnahme der komischen heterosexuellen Liebesgeschichte vielleicht. Außerdem wusste Hape Kerkeling, ab welchem Zeitpunkt man die Schnauze halten sollte. Das ist eine gute Eigenschaft.

STANDARD: Eine ältere Generation beklagt, dass über vieles nicht mehr gelacht werden darf. Was sagen Sie dazu?

Hotz: Die Cancel-Culture-Diskussion ist müßig, weil niemand gecancelt wird. So beschissen ich rassistische und sexistische Witze finde, niemand wird sie verhindern. Erfolgreich sind sie noch immer. Aber jetzt gibt es eine Gegenrede im Internet. Daran sollte man sich gewöhnen, wenn man solche Jokes machen will.

STANDARD: Warum twittern Sie nicht auf Englisch?

Hotz: Das Angebot an lustigen Menschen im englischsprachigen Raum ist so viel gigantischer, kreativer und avantgardistischer als in Deutschland. Wahrscheinlich wäre ich nicht funny genug. Mein politischer Anspruch lässt sich auch nicht so einfach nach England oder in die USA übertragen.

STANDARD: Wie deutsch sind Ihre Gags?

Hotz: Sie können nichts anderes sein, weil ich sehr, sehr deutsch bin. Über Österreich mache ich gerne weirde "Was ist das für ein Land"-Gags.

STANDARD: Österreich bietet ordentliche Vorlagen …

Hotz: Absolut. Vieles, was in den letzten Jahren in Österreich passiert ist, ist eine Feedline, zu der man nur noch eine Punchline schreiben muss. Ehrlicherweise aber hinken die Entwicklungen der deutschen Politik der österreichischen nur fünf bis zehn Jahre hinterher.

STANDARD: Löschen Sie Tweets?

Hotz: Regelmäßig. Warum sollte ich etwas stehen lassen, was nicht gut formuliert war, was im Nachhinein verletzend oder böse war?

STANDARD: Haben Witze ein Ablaufdatum?

Hotz: Nicht unbedingt, aber sie spiegeln den Zeitgeist wider. Im Internet gibt’s zum Beispiel Meme-Perioden. Manche kommen wieder, manche werden vergessen. Einige Gags aus dem letzten Jahr könnte ich problemlos wieder posten.

STANDARD: Welche Themen klammern Sie auf Twitter aus?

Hotz: Ich habe früher Witze über Suizid und Selbstverletzung gemacht. Vor einem großen Publikum mache ich das nicht mehr. So macht man tragische Schicksale und Menschen zu einer Punchline. Ich habe mir in der Vergangenheit auch eine gewisse Deutungshoheit über Rassismusdiskurse herausgenommen. Die möchte ich mir als Nichtbetroffener nicht mehr anmaßen, nur weil mir eine geile Pointe dazu einfällt.

STANDARD: Ist Ihnen in letzter Zeit das Lachen im Hals stecken geblieben?

Hotz: Tausendmal. Natürlich fragt man sich, ob man momentan überhaupt Unterhaltung machen kann. Ich bin für mich wieder mal zu dem Schluss gekommen: Kann man, aber es ist nicht alles eine Pointe. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 31.3.2022)