Simon Stone in der Wohnung von Alban Berg.

Foto: Peter M. Mayr

Die Vorgänge um den Frauenmörder Wozzeck spielen sich bei Alban Berg in einer Garnisonstadt ab. Dennoch würde Simon Stone heute, im Bewusstsein des Krieges gegen die Ukraine, dieser Oper keine andere Deutung verpassen. Wozzeck würde bei ihm auch aus heutiger Sicht keine Kriegsoper: "Wozzeck erzählt nichts über Krieg." Für Stone, auch mit Netflix-Produktionen befasster Star unter den Theater- und Opernregisseuren, geht es in den 15 Szenen vor allem um soziale Verwahrlosung. "Ich behandle die Ungleichheit."

Sie ist eine Ursache der tragischen Vorgänge. Sie führt zur "Dehumanisierung der Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Es geht bei mir um den sozioökonomischen Rahmen, in dem mentale Instabilität eskaliert". Die andere Sache: "Wenn man diese Oper in Österreich inszeniert, wo Femizide in die Höhe geschnellt sind, kann man Wozzeck nicht zu einem Helden formen, weil er ja Marie tötet. Diese Vorgänge sind in unserer Welt zu real, zu präsent."

In unser Leben

Damit sich dem Publikum ab 21. März in der Staatsoper Dringlichkeit und Aktualität der Themen offenbaren, verortet Stone seine Arbeit am Inszenierungsort selbst, also in Wien. Wozzeck wird man nicht beim Würstelstand treffen, aber Marie mit dem Kind, wenn sie den Tambourmajor trifft. Diesen Ansatz legitimiert Stone so: Die universellen Opern würden die Möglichkeit beinhalten, in jene Sphäre verlegt zu werden, "in der wir leben". Zuschauer sollten "nicht in die Lage versetzt werden, zu sagen: ,Wie schön, dass das in einer anderen Welt als der meinen stattfindet. Heute haben wir es besser.‘"

Der Punkt sei: "Wir sind als Menschen nicht besser geworden. Wir töten weiter. Es gibt Kriege. Frauen müssen immer noch darum kämpfen, respektvoll behandelt zu werden, und wir haben ähnliche Ausmaße an Armut in der Welt."

Der Kampf in uns

Ist der Mensch also unheilbar böse? "Wir hatten in uns immer die Kapazität zu großer Gewalt und zur Vergebung. Diese Schlacht tobt in uns immer noch, jeder Versuch, das zu verstecken, ist eine Verdrängung", reflektiert Stone und kommt wieder zum gekränkten Wozzeck: "Wir sind mit einer Idee von Mannsein aufgewachsen, in dem Sinn, dass ein Mann Würde verdient, nur weil er ein Mann ist. Ehre und Würde zu verlieren wird zum Schlimmsten, das einem widerfahren kann."

Hier kann man dem 1984 in Basel geborenen australisch-schweizerischen Künstler natürlich jene Frage nicht ersparen, die auch der Wissenschaft Kopfzerbrechen bereitet, nämlich jene nach der Prägung durch Umwelt und Veranlagung. Was ist stärker? Nicht jeder gekränkte Herr der Erschöpfung reagiert mit exzessiver Gewalt. Auch Stone ist vielleicht schon verlassen worden, ohne dass er, soweit bekannt, einen Mord begangen hätte.

Umwelt stärker?

"Ich habe es immer verdient, verlassen zu werden! Man muss auch akzeptieren, wenn man schwierig ist ... Im Ernst: Exakt werden wir das nie lösen können. Ich glaube schon, dass die Gesellschaft Wozzeck geformt hat, dass die Umwelt stärker ist als das, mit dem du geboren wurdest." Aber: "Frauenmörder rechtfertigen ihre Taten auch mit erlittenen Demütigungen, damit, betrogen worden zu sein."

Er sehe jedenfalls eine Gefahr, zu viel "Empathie für Wozzeck hineinzulegen. Denn was bekommt auch Marie von ihm? Nichts, während Wozzeck immer mehr von ihr verlangt. Ich glaube, Wozzeck versteht nicht, wie er mit Menschen umgehen soll. In unserer Produktion denken wir, dass das Kind gar nicht von ihm ist."

Gergiev und Netrebko

Stichwort Umgang mit Menschen: Hier drängt sich die Frage auf, was von Künstlern wie Valery Gergiev und Anna Netrebko zu erwarten wäre. Sie glänzten ja an Wladimir Putins Seite. "Wenn man seine Karriere an Politiker gebunden hat, durch die Beziehung zu ihnen profitiert hat, muss man mit den Folgen leben, wenn der Politiker schlimme Dinge tut."

Wenn er "bei Donald Trumps Geburtstagsparty etwas inszeniert hätte, wäre das ein Statement. Es wüsste jeder, wo ich stehe. Wenn man sich von Politik ferngehalten hat, sollte man allerdings nicht gezwungen werden, seine Meinung zu deklarieren. Mir hat Putin immer Angst gemacht."

Angst hat Stone auch sein Erfolg beschert, er hat eine Menge Arbeit nach sich gezogen. Der Nestroy-Preis-Träger wird bald an der Met und in München inszenieren. Auch mit Netflix gibt es – nach dem Melodram Die Ausgrabung – Projekte. Eher viele ...

Viel Stress

Er habe "im letzten Jahr auch eine Krise durchlebt samt Panikattacken. Ich hatte sieben Produktionen während der Pandemie, die nicht rauskamen, dann kamen alle auf einmal. Ich begriff, dass sich in mir seit zehn Jahren Spannung und Stress aufgebaut hatten und dass ich darüber nachdenken muss, wie ich mein Leben lebe. Jeder mag es, gefragt zu sein. Ich mag meine Arbeit wohl etwas zu sehr. Aber manchmal muss man sagen: Schluss, es ist Wochenende!"(Ljubiša Tošic, 17.3.2022)