Brian Molko (links) und Stefan Olsdal zählen als Placebo zu den letzten großen Indie-Bands der 1990er-Jahre.

Foto: Mads Perch

Placebo kommt aus dem Lateinischen. Der Begriff steht nicht nur für Medikamente, die keinen Wirkstoff gegen Krankheiten und Beschwerden enthalten, sondern rein auf die suggestive therapeutische Wirkung der Produkte, den sogenannten Placeboeffekt, setzen. Ein Placebo ist eine pharmazeutische Klangschale. Man muss daran glauben. Placebo steht allerdings ursprünglich für erste Person Singular Futur: "Ich werde gefallen".

Die in London beheimatete Band Placebo erfüllt diese Kriterien seit einem Vierteljahrhundert vollinhaltlich. Neben Brian Molkos nasaler, auch die kälteste Butter locker schneidender Kopfstimme eignet der Band eine gute Hand für schmissige Melodien, nicht allzu ruppige Arrangements und eine souveräne Handhabung des musikalischen Setzkastens, auf dem Alternative Mainstream steht.

PLACEBO

Insgesamt drei Schlagzeuger hat die Band mittlerweile verschlissen, aber US-Sänger Brian Molko und der aus Schweden kommende Stefan Olsdal füllen nach wie vor die großen Hallen. Außerdem zählen sie zu den wenigen, mittlerweile handverlesenen Bands, die im Zwei- oder Dreijahresrhythmus dazu taugen, die Massen bei Festivals wie Frequency oder Nova Rock anzuziehen.

Das letzte Studioalbum, Loud Like Love, wurde vor auch schon wieder neun Jahren veröffentlicht. Dazwischen betrieb man Repertoirepflege live. Für das neue Album Never Let Me Go findet die Band allerdings doch zeitgenössischere elektronische Zugänge, ohne dabei das gesetzte Stammpublikum mit Loops kreischender U-Bahn-Bremsen oder dem Schleudergang einer Waschmaschine unnötig zu verstören.

Mit ihrer offensiven wie offensichtlichen Queerness setzten Placebo in den 1990er-Jahren mit Songs wie Nancy Boy dem muffigen heteronormativen Pub-Proletentum des "Britpop" von Oasis zumindest vom Image und den Songinhalten her Entscheidendes entgegen. Heute ist das State of the Art. Und auch die musikalischen Einflüsse Placebos erfüllen 2022 vielleicht nach 25 Jahren wieder (oder noch immer) die Vorgaben für coole Musik mit der Betonung auf Pathos, Melancholie und amerikanische Rockgitarre.

Die Brille der Paranoia

Der alte Mentor David Bowie, The Cure, New Order und Depeche Mode, also Stoff, der nicht völlig unbekannt auch für junge Ohren ist, kommt nach wie vor zum Einsatz. Thematisch geht es um das übliche Zeug wie Vereinzelung, mitunter nicht ganz kaputte Liebesbeziehungen (Leading James) – oder in Happy Birthday in the Sky um das richtig gute Zeug, das uns kaputtmacht: "I want my medicine!" Es gibt nicht so Zwingendes wie den Sad White Reggae zu hören oder eine zukünftige Hymne für vergatschte Open-Air-Gelände:Try Better Next Time.

PLACEBO

Die hübsche Single Surrounded By Spies dreht sich ebenfalls um ein immergrünes Thema. Molko in einem Interview: "Es ist eine wahre Geschichte, die durch die Brille der Paranoia, der Abscheu vor den Werten der modernen Gesellschaft und der Vergötterung des Überwachungskapitalismus erzählt wird."

Das ergibt insgesamt einen tollen Placeboeffekt. Das Album Never Let Me Go erscheint am 25. März. Live in Österreich gastieren Placebo am 2. November in der Wiener Stadthalle. (Christian Schachinger, 18.3.2022)