In der Relativitätstheorie ticken Uhren mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, abhängig von ihrem Bezugssystem. Das klingt gewöhnungsbedürftig, aktuelle physikalische Theorien sind aber noch erstaunlicher.

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Vielleicht ist Ihnen in den vergangenen Tagen das eine oder andere Mal in den Sinn gekommen, dass es wahrlich schon erbaulichere Zeiten gegeben hat. Und mit ziemlicher Sicherheit auch wieder geben wird. Wäre es nicht schön, wenn wir durch die Zeit reisen könnten mit einer ebenso großen Selbstverständlichkeit, wie wir uns durch den Raum bewegen? Fürwahr zu schön, um wahr zu sein – und dann auch wieder nicht. Tatsächlich zeigt die moderne Physik einige Optionen auf, die Zeitreisen möglich machen.

Disclaimer: Die moderne Physik ermöglicht uns nicht, Tote wiederzuerwecken, Verbrechen ungeschehen zu machen oder mit Fleisch und Blut in eine ferne, sorgenfreie Zukunft zu reisen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass aktuelle physikalische Theorien unser Verständnis von Raum und Zeit in dramatischer Weise verändern – mit überraschenden Folgen und praktischen Anwendungen.

Ultimatives Uhrwerk

Der britische Naturforscher Isaac Newton (1643–1727), der die Grundlagen der klassischen Physik schuf, hielt sich nicht lange mit einer Analyse des Wesens der Zeit auf: "Zeit, Ort und Bewegung definiere ich nicht, da sie allen wohlbekannt sind", schrieb er in seinem Opus magnum "Principia Mathematica". Für Newton war die Zeit eine absolute Größe, die mit stets derselben Geschwindigkeit vergeht. Sie ging zwar als Parameter in seine Bewegungsgleichungen ein, war aber nicht selbst Gegenstand seiner Untersuchungen.

Zwar wird oft behauptet, dass Albert Einsteins Relativitätstheorie Newton widerlegte, doch das ist nur bedingt der Fall. Vielmehr zeigte Einstein auf, wo die Grenzen von Newtons Beschreibung liegen – nämlich dort, wo sehr große Massen und enorme Geschwindigkeiten im Spiel sind. Für die meisten Bewegungen unseres alltäglichen Lebens liefern Newton und Einstein dasselbe Ergebnis. Allerdings war die Relativitätstheorie der Sargnagel für Newtons absolute Zeit. Denn Einstein gelangte zu der Erkenntnis, dass die Annahme, wonach die Zeit absolut und unveränderlich sei, falsch ist.

Kein GPS ohne Einstein

Folgt man Albert Einsteins Relativitätstheorie, kann sich die Zeit dehnen, biegen und umkehren. Das ist nicht nur theoretisch interessant, sondern ermöglicht auch praktische Anwendungen. Der Experimentalphysiker Richard A. Muller, Professor an der Universität Kalifornien in Berkeley, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Diese Effekte sind so stark, dass sie bei der Konstruktion der heutigen GPS-Satelliten berücksichtigt werden. Wäre das GPS-System nicht so eingestellt, wie es Einsteins Entdeckungen entspricht, es würde uns kilometerweit in die Irre führen."

Die Erkenntnis, dass die Zeit relativ ist, ist ein starkes Stück. Noch schwieriger zu verdauen ist allerdings die Konsequenz, dass es so etwas wie eine absolute Gleichzeitigkeit nicht gibt. Dahinter steht der Gedanke, dass Licht oder andere Signale nicht mit unendlicher Geschwindigkeit übertragen werden können, sondern maximal mit Lichtgeschwindigkeit, die rund 300.000 Kilometer pro Sekunde beträgt. In unserem herkömmlichen Verständnis finden zwei Ereignisse dann gleichzeitig statt, wenn ihre Signale zur selben Zeit bei der Beobachterin eintreffen. Doch je nach Aufenthaltsort der Beobachtenden erscheint für die eine gleichzeitig, was sich für den anderen als ein zeitliches Nacheinander darstellt. Mit anderen Worten: Die Zeit, zu der ein Ereignis stattfindet, hängt vom Bezugssystem ab, in dem sich seine Beobachterin befindet.

Falsche Vorstellungen

Zwei Ereignisse, die sich an unterschiedlichen Orten gleichzeitig abspielen, finden in einem anderen Bezugssystem nicht mehr gleichzeitig statt, sondern dann geht ein Ereignis dem anderen voraus. Welches der beiden sich zuerst ereignet, ist wiederum vom Bezugssystem abhängig. In diesem Sinne kann sich die Zeit in der Relativitätstheorie umkehren.

Zu dieser Einsicht kam Einstein bereits in seiner Speziellen Relativitätstheorie, die er 1905 vorlegte. Die Schwierigkeit, mit der diese Arbeit sowohl Einsteins Zeitgenossen wie auch uns heute konfrontiert, ist nicht ihre komplizierte Mathematik (die Theorie kommt mit elementarer Algebra aus), sondern dass sie entlarvt, welche falschen Vorstellungen wir gemeinhin von Raum und Zeit haben.

"Wir wissen eine Menge über die Zeit, und ihr Verhalten ist nicht einfach, aber gut bekannt. Wie schnell sie läuft, hängt von den lokalen Bedingungen der Geschwindigkeit und Gravitation ab, und selbst die Reihenfolge von Ereignissen – die Frage, welches Ereignis sich zuerst abgespielt hat – ist keine allgemeingültige Wahrheit", fasst Muller den Sachverhalt zusammen, der mit "Jetzt" (Fischer, 2018) ein Buch über die Physik der Zeit vorgelegt hat.

Länger leben durch Flugreisen?

Gewöhnungsbedürftig ist in der Relativitätstheorie auch, dass die Zeit je nach Bezugssystem mit unterschiedlicher Geschwindigkeit abläuft. Bei geringen Geschwindigkeiten ist der Effekt gering. Aber wenn man sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegt, kommen erstaunliche Zeitdifferenzen zustande. Würde sich ein Raumschiff mit 97 Prozent der Lichtgeschwindigkeit relativ zur Erde bewegen, würde ein Jahr im Raumschiff ungefähr so lange sein wie vier Jahre auf der Erde.

Doch selbst beim Flug mit einem normalen Passagierflugzeug konnte gemessen werden, dass die Zeit im Flugzeug langsamer vergeht als auf der Erde. So gesehen lebt man länger, wenn man sich schnell in einem Flugzeug bewegt – allerdings nur um ein paar Nanosekunden. Und das auch nur im Bezugssystem der Erde, der Fluggast erlebt nicht mehr Zeit – bloß seine Uhr läuft langsamer, sein Puls verlangsamt sich und seine Alterung.

Zurück in die Zukunft

Genau dieses Phänomen ermöglicht uns, wenigstens winzige Zeitreisen zu unternehmen – in die Zukunft. Und das geht so: Sie verlassen morgens die Wohnung, zurück bleibt Ihr Partner, Ihr Hund, Ihre Zimmerpflanzen. Sie bewegen sich durch die Stadt, vielleicht bewegen Sie sich sogar um die Welt. Nach einer gewissen Zeit kehren Sie wieder in Ihre Wohnung zurück. Je nachdem, wie lange Ihre Reise gedauert hat, werden Sie etwas gealtert sein. Und je nachdem, wie schnell Sie gereist sind, sind Ihr Partner, Ihr Hund und Ihre ganze Wohnung umso mehr gealtert. In diesem Sinne haben Sie eine Zeitreise in die Zukunft genommen – vielleicht keine Jahre, aber womöglich Nanosekunden.

Demnach liefert die Relativitätstheorie laut Muller "ein einfaches Mittel für Zeitreisen in die Zukunft. Man braucht sich nur ausreichend schnell zu bewegen, dann verlangsamt sich das eigene Ruhesystem, und in einer Minute unserer Zeit können wir uns 100 Jahre in die Zukunft begeben." Leider hat die Angelegenheit aber mehrere Haken. So müssten wir etwa gewährleisten, dass wir während unserer Reise nicht mit etwas zusammenstoßen, "denn das hätte bei der hohen Geschwindigkeit katastrophale Folgen".

Schneller als Lichtgeschwindigkeit

Weiters gelte es, an den richtigen Ort zurückzukehren – keine einfache Aufgabe angesichts dessen, dass sich die Erde in hundert Jahren ein gutes Stück weiterbewegt hat. Die größte Einschränkung besteht aber darin, dass wir, "einmal in der Zukunft angelangt, über keinen ähnlichen Mechanismus verfügen, mit dem wir wieder zurückkehren könnten". Interessanterweise ist in der Relativitätstheorie die Zeitreise in die Zukunft ein alltägliches Phänomen (wann immer man sich relativ zu etwas Ruhendem bewegt), wohingegen die Zeitreise in die Vergangenheit eine kaum bewerkstelligbare Angelegenheit ist.

Eine Möglichkeit wäre, sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit zu bewegen – doch das wird von der Relativitätstheorie für Körper mit Masse ausgeschlossen. Eine andere Möglichkeit könnte ein äußerst ausgefallenes kosmologisches Objekt sein – ein sogenanntes Wurmloch, das entfernte Orte der Raumzeit wie eine Abkürzung miteinander verbindet. Derzeit ist jedoch alles andere als klar, dass Wurmlöcher tatsächlich existieren, und selbst wenn sie existieren würden, darf eher ausgeschlossen werden, dass wir sie körperlich unversehrt ohne weiteres durchqueren könnten.

Wider die Kausalität

Auch die andere große Säule der modernen Physik, die Quantenphysik, wartet mit erstaunlichen Konsequenzen für unser Zeitverständnis auf. "Aus der Quantenphysik ergibt sich unter Umständen die höchst beunruhigende – oder vielleicht auch befreiende – Folgerung, dass die Vergangenheit nicht mehr über die Zukunft bestimmt, oder jedenfalls nicht vollständig", betont Muller.

Für den Philosophen Hanoch Ben-Yami von der Central European University in Wien ist dabei wichtig, dass die Frage, inwiefern das Zeitverständnis in der Quantenphysik klassischen Vorstellungen von Kausalität zuwiderläuft, "sehr stark abhängig ist von der jeweiligen Interpretation der Quantenphysik". Phänomene wie die quantenmechanische Verschränkung, durch die instantane Korrelationen von zwei oder mehren Objekten auch über weite Entfernungen beschrieben werden, stellen zwar eine gewisse Herausforderung für klassische Vorstellungen von Kausalität dar. "In vielen quantenmechanischen Experimenten gibt es aber gar kein Problem mit der Kausalität", sagt Ben-Yami.

Dass bislang kein Durchbruch bei der Zusammenführung von Quantenphysik und Relativitätstheorie gelungen ist, dürfte auch daran liegen, dass diese beiden Theorien auf vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen von Raum und Zeit beruhen.

Theorie von allem

Es gibt mit der Stringtheorie oder der Quantenschleifengravitation zwar vielversprechende Ansätze, Quantenphysik und Relativitätstheorie zu vereinheitlichen. Bisher konnte aber noch keiner dieser möglichen Kandidaten für eine sogenannten "Theorie von allem" experimentell bestätigt werden. Theorie von allem soll übrigens nicht suggerieren, dass es eine physikalische Theorie geben könnte, die sämtliche Aspekte des Lebens beschreibt. Theorie von allem meint hier "nur" eine Theorie, die sämtliche bekannten physikalischen Grundkräfte zusammenfasst.

Interessanterweise hat sich zuletzt gezeigt, dass sowohl die Stringtheorie wie auch die Quantenschleifengravitation zu ähnlichen Aussagen kommen, was das Wesen der Zeit angeht. Als wäre es nicht schon schwer genug zu fassen, was die Zeit ist, setzen die Versuche, Quantenphysik und Relativitätstheorie unter einen Hut zu bringen, sogar noch eines drauf und stellen die Existenz der Zeit als fundamentale Größe gleich ganz infrage. "Und wenn es die Zeit nicht gäbe?", lautete Carlo Rovellis provokante Frage in seinem gleichnamigen Buch zum Zeitverständnis in der Quantenschleifengravitation, die der italienische Physiker maßgeblich mitentwickelt hat.

Ist die Zeit nur Illusion?

Aus diesen neueren Einsichten der zeitgenössischen Physik zu schließen, dass die Zeit Illusion sei, hält Ben-Yami für eine falsche Interpretation: "Von verschiedenen Eigenschaften der Zeit im sehr Schnellen, sehr Entfernten oder sehr Kleinen auf unsere gewöhnlichen Umstände zu projizieren und dann zu behaupten, ‚Die Zeit ist eine Illusion‘, wäre ein Missverständnis."

Indem die zeitgenössische Physik präzise technische Anwendungen ermöglicht und doch keine allgemeingültigen Aussagen über das Wesen der Zeit erlaubt, trifft sie sich in gewisser Weise damit, was der spätantike Denker Augustinus in seinen Bekenntnissen zu Papier brachte: "Was ist Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es; wenn ich es erklären möchte, weiß ich es nicht." (Tanja Traxler, 26.3.2022)