Das Gesundheitspersonal ist gefordert wie nie: mehr Fälle durch Maßnahmenlockerungen, Krankenstände und Schwurbler-Attacken.

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Aus österreichischen Spitälern kommen vermehrt dramatische Hilferufe aufgrund der aktuellen Omikron-Welle. "Wir sind jetzt genau in der Situation, die man vor zwei Jahren befürchtet hat", sagt Elisabeth Bräutigam, ärztliche Direktorin im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, "die Situation in Krankenhäusern ist so angespannt, wie sie es noch nie war. Wir sehen wirklich Probleme in der medizinischen Versorgung." Bräutigam betreibt mit ihrem Team drei Corona-Stationen, auf denen es mehr Personal als auf Normalstationen brauche – und Personal ist knapp. Die Situation verschlechtere sich laufend: Die Zahl der hospitalisierten Patientinnen und Patienten steigt, während intern stündlich mehr Krankenstände dazukommen: "Wir mussten Betten sperren, weil wir die Patienten schlichtweg nicht mehr betreuen können. Die Operationskapazität liegt aktuell bei nur noch 50 Prozent."

Ärztinnen und Pfleger seien an der Grenze der Belastbarkeit angekommen, so Bräutigam, die angesichts der weiter hohen Infektionszahlen besorgt in die nächsten Wochen und Monate blickt: "Wenn man drei Ärzte hat, die eine bestimme Operationstechnik können und alle drei krank sind, kann diese Leistung schlichtweg nicht mehr angeboten werden."

Sorge um Kinder

Personalengpässe sorgen auch Thomas Müller, Leiter der Kinderklinik der Med-Uni Innsbruck: "Der Bettenpool wird kleiner und die Belastung des Personals immer größer. Wir hatten schon vor der Pandemie einen Pflegenotstand", erzählt Müller am Donnerstag dem Standard. Von seinem 25-köpfigen Team, das rund um die Uhr bereitstehen soll, sind sieben im Krankenstand.

Aber auch bei den jüngsten Patientinnen und Patienten spitzt sich die Lage zu, da mehr Kinder im Krankenhaus behandelt werden müssen als bei der Delta-Variante: "Wir sehen eine deutliche Steigerung vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, die ein bis zwei Tage ins Spital müssen, weil sie mit Atemwegsinfekten zu kämpfen haben", sagt Müller. "Natürlich sind da auch Nebenbefunde dabei, also Kinder, die schon wegen Erbrechens oder Durchfalls gekommen sind, das haben wir schon mitberechnet. Es bleibt dabei: Es gibt mehr Hospitalisierungen von Kindern bei Omikron", betont der Kinderarzt.

Multisystemisches Entzündungssyndrom

Doch dann gebe es auch noch Kinder, die einige Wochen nach der Infektion MIS-C (Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern) bekommen. Die Hoffnung, dass diese schwere Erkrankung bei der Omikron-Variante nicht mehr auftreten würde, war umsonst: "In Innsbruck waren seit Pandemiebeginn 27 Kinder betroffen, schon sechs davon mit Omikron", sagt Müller. Nach den aktuellen Infektionsspitzen muss man auch hier in einigen Wochen mit einem Anstieg rechnen.

"In Niederösterreich gibt es regelrechte Knebelerlässe bis zur Androhung der fristlosen Kündigung", erzählt ein Arzt, der in einer großen niederösterreichischen Klinik in der Akutversorgung tätig ist, dem STANDARD. Er will nichts beschönigen: "Sie bekommen nicht mehr die bestmögliche Therapie, wir können die medizinische Versorgung auf dem gewohnten Niveau nicht mehr aufrechterhalten, weil das Personal selbst krank ist." Als Beispiel nennt der Arzt eine Schlaganfalltherapie, bei der eine Sonde ins Gehirn geführt wird. "Dazu brauchen sie ein Team. Und von diesem Team ist jetzt die Hälfte krank. Wir haben noch Betten, aber kein Personal, das wir hinstellen könnten." In diesem Krisenmodus seien schwere Entscheidungen zu treffen: "Triage ist ein schlechtes Wort, weil es aus dem Krieg kommt. Kollateralschaden auch. Aber ja, wir selektieren bereits", sagt der Arzt.

Fehler, die im Dauerkrisenmodus passieren, müssten aber letztlich Ärztinnen oder Pfleger ausbaden. "Wenn etwas bei systemimmanenten Problemen schiefläuft, ist noch nie eine Institution verurteilt worden, sondern es wird auf das einzelne Individuum heruntergebrochen", betont der Arzt, "und wir waren noch nie in einer Situation, wo wir auch selbst schwer erkranken und draußen von Narren angegriffen werden."

Zahlen steigen in Europa und Asien

Doch wie sah es in Ländern aus, in denen sich die Omikron-Welle früher durchsetzte? In Großbritannien gab es im Jänner massive Engpässe wegen Krankenständen des Gesundheitspersonals. Zwischenzeitlich hat sich die Lage dort beruhigt, doch jetzt steigen die Zahlen erneut, wie Daten von Our World in Data zeigen. Die Zahlen gehen weltweit nach oben, wie die WHO berichtet. In der Woche bis zum 13. März gab es insgesamt elf Millionen Fälle, das sind acht Prozent mehr als in der Vorwoche – global gesehen der erste Anstieg seit Jänner. Besonders betroffen ist Asien; in Südkorea, wo wie in Österreich zuletzt der Großteil der Maßnahmen aufgehoben wurde, gab es mehr als 400.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Und auch in Europa ziehen die Infektionen wieder an. In Deutschland gab es laut Robert-Koch-Institut am Donnerstag mit 300.000 Neuinfektionen einen neuen Höchststand. Die Zahlen steigen laut WHO vor allem in Mittel- und Westeuropa, etwa in Frankreich, Großbritannien und Italien. Grund dafür dürfte sein, dass die Maßnahmenlockerungen mit der BA.2-Variante und dem Nachlassen des Impfschutzes zusammentreffen.

Zwar liegt Österreich europaweit im Spitzenfeld der Hospitalisierungen, doch steigen die Spitalsbelegungen auch in Großbritannien, Irland, der Schweiz, Finnland und den Niederlanden teils massiv an. Auch in Israel scheint sich eine neue Welle anzukündigen.

Noch optimistisch in den USA

Optimistisch ist man dagegen jetzt noch in den USA. Die Spitalsbelegung ist – nach einem Allzeithoch am 19. Jänner – derzeit mit 57 pro Million so niedrig wie zuletzt im Juli 2021. Allerdings gibt es wieder erhöhte Corona-Werte in Abwasserproben, wie die "New York Times" berichtet – ein früher Indikator dafür, dass die Infektionszahlen erneut im Begriff sind, anzusteigen. (Pia Kruckenhauser, Magdalena Pötsch, Colette M. Schmidt, 17.3.2022)