Der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer schreibt im Gastblog über einen zentralen Aspekt in der Mediation: Gefühle.

Dazu muss man doch in der Lage sein, sich an einen Tisch zu setzen, meinte eine Userin kürzlich anlässlich des Beitrags zur Doppelresidenz, bezogen auf die Voraussetzungen einer Mediation. Ja, hier hatte sie vollkommen recht! Ich verstehe es so: Sie meint damit, dass sich eben viele Parteien nicht auf eine gleichberechtigte, ergebnisoffene Diskussion auf Augenhöhe, in einem wertschätzenden Ton einlassen wollen. Im idealen Setting sollten auch Vorwürfe und Untergriffe außen vor gelassen und die gebrachten Argumente vertraulich behandelt werden. Doch Emotionen werden oftmals zum Spielverderber der Theorie.

Phasen der Trauer

Angelehnt an die Forschung der sonst als "Sterbeforscherin" bekannten Elisabeth Kübler-Ross kann man ja auch die Trauerarbeit nach einer Trennung in vergleichbare Stufen teilen.

Phase 1: Das Leugnen

Die unmittelbar erste Reaktion auf eine derartige negative Nachricht, sei es nun die Kenntnisnahme einer Trennung oder auch Scheidung oder einer anderen als massiv negativ erlebten Nachricht, besteht in der Regel darin, diese Tatsache nicht wahrhaben zu wollen. Man glaubt, es handle es sich um ein Missverständnis oder einen Fehler. Oftmals wird auch versucht, die Nachricht zu verdrängen.

Phase 2: Der Zorn

Der Akzeptanz der Nachricht folgt die Wut und die Fragen: "Warum ich, warum wir?" Auch Neid auf jene, die es scheinbar besser haben, kommt hier ins Spiel. Bei Trennungen wird der Frust oft in Form von Wut auf den Partner oder die Partnerin projiziert, der oder die sich trennen möchte.

Phase 3: Das Verhandeln

Dies ist in der Regel die kürzeste Phase. Kurz keimt die Hoffnung auf, man könne durch eigene Verhaltensänderungen die Beziehung noch retten ("Ich werde mich ändern, ich verspreche es, ich mache alles, was du willst").

Phase 4: Die Depression

Verzweiflung, Reue und innere Leere begleiten die quälende Frage, was man falsch gemacht hat. "Was hätte ich anders machen können? Wie soll es nun weitergehen? Das geht doch gar nicht ohne sie oder ihn." Diese Phase ist häufig von Rückzug und Einsamkeit geprägt.

Phase 5: Die Akzeptanz

Jetzt hat man es geschafft, die Wut, Verletzung und Trauer hinter sich zu lassen und der Trennung mit weniger Emotionen zu begegnen. Oft fehlt zwar noch die Kraft für andere wichtige Punkte, doch beginnt jetzt auch die Zeit für eine nachhaltige und zukunftsweisende Vereinbarung. Das Wissen um diese Phasen hilft sowohl Betroffenen als auch Familie und Freunden. Man ist zwar in der Trauer alleine und muss sich diesen Gefühlen stellen, doch kann bereits die Kenntnis der Abfolge Aussicht auf Besserung der Gemütslage geben.1

Wie oft entspricht es der Lebensrealität, dass in einem Trennungskonflikt beide Parteien auf der exakt gleichen Stufe dieser Leiter stehen? Daher gilt es zu beachten, dass die Emotionen des verletzten, trauernden und wütenden Partners oder Partnerin nicht per se als bösartige Offenbarung einer aggressiven Persönlichkeit zu deuten sind, sondern schlicht einem anerkannten Modell der Trauerarbeit folgen, wobei natürlich Grenzen zu ziehen sind, um keinesfalls in den Bereich der Gewalt zu kommen.

Mediation heißt oft auch, die eigene Gefühlswelt aufzuarbeiten.
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Unterstützung bei der Verarbeitung

Bereits im Rahmen meiner Arbeit in der Familienberatung waren Emotionen ein wesentlicher, wenn nicht der zentrale Aspekt der Beratungsarbeit, selbst im juristischen Bereich. Umso mehr gilt es nun im Rahmen der Tätigkeit bei der Männerberatung, die Klienten auch in ihrer Verzweiflung zu verstehen und als Berater nicht jedes Wort auf die Waagschale zu legen. Im Zusammenspiel mit den psychosozialen Kollegen besteht die Möglichkeit, in so manchem Fall deeskalierend einzuwirken und der Verletzung des Klienten Zeit und Raum zu geben. So kann der Druck entweichen, und dadurch wird in weiterer Folge auch ein deeskalierender Dialog mit der Partnerin oder dem Partner erst möglich.

Wichtig ist zu betonen, dass dieser Prozess der Trauerarbeit seine Zeit braucht. Oftmals denkt man, schon über den Partner oder die Partnerin hinweg zu sein, doch solange eine Nachricht, ein Bild oder Vergleichbares noch ein schmerzendes Gefühl in der Magengrube, einen zornroten Kopf oder eine geballte Faust bewirkt, macht die Einlassung in ein Mediationssetting wenig Sinn.

Das Wissen um diesen Mechanismus kann auch ohne die Inanspruchnahme einer Beratung oder Begleitung hilfreich sein. Weiß man um den psychischen Mechanismus der Trauerbewältigung und dessen Ablauf, so schmerzen der Verlust und die Kränkung zwar nicht weniger, doch der Schmerz kann verständlich werden, und ebendieses Verständnis kann die eine oder andere Eskalation verhindern.

Schweiß und Tränen

Mediation bedeutet die Einlassung in einen Prozess, der eben im Gegensatz zum reinen juristischen Prozessakt weit tiefer geht. Selbst wenn am Ende ein rechtskräftiger Ausspruch steht, so windet sich der Weg der Mediation durch ein Dickicht von Emotionen, Kränkungen, Wut und Hilflosigkeit. Doch gibt es eben die Aussicht auf eine Zukunft, in der sich die erarbeitete Lösung als Fundament beweist. Lassen wir uns nicht von gefühlsbetonten Ausbrüchen einschüchtern, diese folgen oftmals dem beschriebenen Modell der Trauerbewältigung und sind im Rahmen des Verträglichen auch wichtig für den Trennungsprozess. (Ulrich Wanderer, 21.3.2022)