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Ex-Premier Bojko Borissow ist wieder frei – der Generalstaatsanwalt, der von Borissow selbst ernannt wurde, hat keine Anklage erhoben.

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In Bulgarien erfordert die notwendige klare Haltung gegenüber dem Krieg Russlands gegen die Ukraine eigentlich ein grundlegendes Umdenken. Bisher versuchte man sich nämlich mit dem Regime im Kreml gut zu stellen. Es wurden Geschäfte gemacht und die Verbrechen in der Vergangenheit sowie die Kreml-Diktatur der Gegenwart beschwichtigt. Viele Bulgaren haben sich mental auch nie ganz von der sowjetischen Gewaltherrschaft distanziert.

Auch die neue Reformregierung tut sich schwer, obwohl man mit den alten korrupten Praktiken aufräumen will. Das hat damit zu tun, dass auch die Sozialisten Teil der Koalition sind und auch Präsident Rumen Radew diesen nahesteht.

Keine goldenen Pässe mehr für Russen

Das Parlament hat immerhin beschlossen, dass man sich die bulgarische Staatsbürgerschaft nicht mehr kaufen können soll, so wie das in der Vergangenheit viele russische Staatsbürger getan haben. Ein bulgarischer EU-Pass kostete bisher etwa eine halbe Million Euro, die man in Bulgarien investieren musste.

Am Montag wurden zudem zehn russische Diplomaten aus dem südosteuropäischen Staat ausgewiesen. Gegen sie besteht Spionageverdacht. Das russische Außenministerium reagierte wütend und bezeichnete das Vorgehen der Behörden als "eine Provokation". Die Beziehungen zu Russland würden zerstört werden, "ohne sich Gedanken über die Folgen und nationalen Interessen oder Bestrebungen des bulgarischen Volkes zu machen", hieß es in einer Erklärung. Man werde auf den unfreundlichen Akt reagieren, so Moskau.

Starke prorussische Kräfte

Die russische Botschafterin in Sofia Eleonora Mitrofanowa verweigerte sogar ein Treffen mit Premier Kiril Petkow. In Bulgarien gibt es – ähnlich wie in Serbien – starke prorussische Kräfte. Vor dem Krieg gegen die Ukraine war der russische Diktator Wladimir Putin in Bulgarien sehr beliebt. 55 Prozent der Bevölkerung zeigten Umfragen von Alpha Research zufolge Sympathien für ihn, nun sind es allerdings nur noch 32 Prozent. Doch das ist im europaweiten Vergleich trotzdem viel.

Ähnlich wie Österreich, wo es viele wirtschaftliche Verbindungen mit Russland gibt, will Bulgarien auch keine Waffen in die Ukraine schicken oder die Energieimporte aus Russland drosseln. Verteidigungsminister Stefan Janew musste Ende Februar als Minister zurücktreten, weil er nicht einmal in der Lage war, den Krieg gegen die Ukraine als solchen zu benennen. Janew hatte sich zunächst auch gegen die Stationierung einer Nato-Kampftruppe in Bulgarien ausgesprochen.

Aufräumen mit dem alten Regime

Die nunmehrige Ausweisung russischer Diplomaten hat aber auch eine innenpolitische Seite. Es geht darum, dass gerade mit dem alten Regime unter Ex-Premier Bojko Borissow aufgeräumt werden soll. Als der Generalstaatsanwalt Iwan Geschew vergangene Woche zwei russische Diplomaten ausgewiesen hatte, deuteten viele politische Beobachter dies als seinen Versuch, seine eigene Reputation zu retten. Tatsächlich hat Geschew derzeit viele Gründe, von sich selbst abzulenken, und will in der jetzigen Debatte über die Loyalitäten zur Ukraine vor allem bei den Institutionen der EU punkten.

Geschew sollte nämlich längst nicht mehr das Amt des Generalstaatsanwalts innehaben, bereits im Vorjahr forderte das Justizministerium seine Enthebung. Das Amt des Generalstaatsanwalts mit seiner Machtfülle wurde ursprünglich nach dem Modell der sowjetischen Prokuratura gebildet, erklärt die Justizexpertin Radosweta Wassilewa. Als der neue Premier Kiril Petkow vergangenen Dezember an die Macht gekommen war, machte er nochmals klar, dass auch Geschew – der von Ex-Premier Borissow installiert wurde – gehen müsse und auch die Institution des Generalstaatsanwalts insgesamt reformiert werden müsse. Doch um dies abzuwehren, stellt sich der Generalstaatsanwalt nun auch in Briefen an EU-Institutionen als Opfer dar. Er will nicht weichen.

Als Borissow vor einer Woche vorübergehend festgenommen worden war, zeigte Geschew nochmals seine Muskeln. Trotz der Verhaftung auf Aufforderung des Innenministers weigerte er sich eine Anklage gegen den Ex-Premier zu erheben. Borissow wurde wieder freigelassen, und seine Anhänger meinten sogar, er sei ein Opfer einer "Junta" geworden.

285 Millionen Euro

Ihm wird vorgeworfen, 285 Millionen Euro aus dem Staatsbudget entwendet zu haben. Die Agentur für die Inspektion von öffentlichen Finanzen – so etwas wie der Rechnungshof – hat dafür zahlreiche Beweise gesammelt.

Wassilewa argumentiert, dass die neue Regierung unter Petkow es bisher nicht geschafft habe, sich nicht in diesen "Krieg der Institutionen" hineinziehen zu lassen. Die Institutionen der Justiz wurden in den Borissow-Jahren (2009–2021) jedenfalls so stark von parteilichen Interessen unterlaufen, dass der bisher fast allmächtige Geschew sogar im Jahr 2020 im Büro des bulgarischen Präsidenten Rumen Radew eine Razzia durchführen lassen konnte. Geschew war in der Ära Borissow das Symbol dafür, dass es in Bulgarien keine Gewaltenteilung gab, er war aber auch der Beschützer der Interessen und des Vermächtnisses von Borissow und dessen Oligarchen.

Krieg der Institutionen

Der "Krieg der Institutionen" brach bereits im Vorjahr aus, nachdem Borissow aus dem Amt des Regierungschefs ausscheiden musste und Oligarchen, aber auch hochrangige Staatsbeamte, die von seines Gnaden in ihre Positionen gekommen waren, plötzlich auf neue und unklare Machtverhältnisse stießen. An dem Tag, an dem Borissow verhaftet wurde, war interessanterweise gerade die EU-Generalstaatsanwältin Laura Kövesi in Sofia zu Gast, um über 120 Fälle von Missbrauch und Korruption von EU-Geldern zu diskutieren. Borissow sagte, er sei beim Abendessen überrascht worden. "Beim nächsten Mal könnten die mich töten", meinte er über die Beamten, die ihn festnahmen.

Die Auseinandersetzung mit der Ära Borissow und dem Fehlen einer unabhängigen Justiz wird sicherlich noch viel Zeit brauchen. Wassilewa kritisiert: "Insgesamt sieht es so aus, als würde die Regierung etwas tun, aber wenn man sich ansieht, was sie tatsächlich tut, sieht man unerklärliche Verzögerungen und Mängel, die vermieden werden können, wenn Experten hinzugezogen werden, so Wassilewa zum STANDARD. (Adelheid Wölfl, 24.3.2022)