Schichtarbeit raubt nicht nur den Schlaf. Gegen die innere Uhr zu arbeiten kann der körperlichen und psychischen Gesundheit schwer schaden.

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Vier Uhr früh, der Wecker klingelt. Zeit, den Arbeitstag zu beginnen. Einige Tage später verschiebt sich der Arbeitsbeginn auf den frühen Nachmittag, bevor der Wecker wenige Tage später kurz vor Mitternacht zur Arbeit ruft. Rund 700.000 Menschen arbeiten in Österreich im Schichtbetrieb oder in der Nachtarbeit und damit vielfach zu Zeiten, wenn andere schlafen.

Für Betroffene in Industriebetrieben, im medizinischen Sektor, in Blaulichtorganisationen oder der Gastronomie bedeuten solche Diensträder nicht nur eine Verkürzung der Nachtruhe. Wie die Forschung inzwischen vielfach belegt hat, gehen mit dem Arbeiten gegen die innere Uhr erhebliche Gesundheitsrisiken einher. Schichtarbeit begünstigt demnach kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, chronische Gastritis, Übergewicht, Schlafstörungen und durch ein beeinträchtigtes Sozialleben auch Isolation und Depressionen.

Verflochtene Systeme

Die geistige Leistungsfähigkeit leidet ebenso, zehn Jahre Schichtarbeit lassen das Gehirn um zusätzliche 6,5 Jahre altern. Nicht zuletzt stuft das internationale Krebsforschungszentrum der WHO die Arbeit in Dissonanz zu zirkadianen Rhythmen (siehe Wissen) als wahrscheinlich krebserregend ein, internationale Studien formulieren deutlichere Schlüsse: Schichtarbeit erhöhe das Risiko für Krebserkrankungen um bis zu 30 Prozent, das Brustkrebsrisiko teils gar um 58 Prozent.

Die Chronobiologin Margit Egg beschäftigt sich an der Universität Innsbruck mit zirkadianen Rhythmen und deren zellulären Mechanismen. "Die innere Uhr existiert im Tier- und Pflanzenreich, und auch alle Zellen des menschlichen Körpers besitzen ihr jeweils eigenes Uhrwerk", sagt Egg. Sowohl das Immunsystem und der Stoffwechsel wie auch sämtliche Organe und alle hormonell und zellulär ablaufenden Prozesse haben einen inneren Tag-Nacht-Rhythmus und dadurch optimale Zeitpunkte für Ruhe und Aktivität. "Wie im globalen Wirtschaftssystem ist im Körper alles mit allem verbunden, und je stärker ein Element aus dem Takt gerät, desto massiver sind die Folgen", erklärt Egg.

Die Wurzel des Übels

Fand die innere Uhr in der Medizin lange Zeit kaum Beachtung, begann der Biologe Jürgen Aschoff in den 1960er-Jahren deren Erforschung. Der heute als Pionier der Chronobiologie geltende Wissenschafter untersuchte unter anderem, wie die Regulation der Körpertemperatur von Tieren an den Tag-Nacht-Wechsel angepasst ist. Mit weiteren Experimenten bewies er, dass die inneren Taktgeber nicht von äußeren, sondern von genetischen Faktoren bestimmt werden und auch Menschen solche inneren Uhren besitzen.

Die Nacht zum Tag zu machen kann sich bitter rächen. Ob aus freien Stücken oder berufsbedingt, je länger die Störung der zirkadianen Rhythmen dauert, desto schwerer wirkt sie sich aus.
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Werden diese evolutionär geprägten Abläufe etwa durch jahrelange Schichtarbeit ausgelenkt, führt dies wiederum zur zeitlichen Entkoppelung von zellulären Signalwegen. Ein solcher zellulärer Regelkreis, der durch Schichtarbeit stark beeinträchtigt wird, ist der Sauerstoffmangel- oder Hypoxie-Signalweg, wie Egg durch die Untersuchung von Zebrafischlarven feststellen konnte. Wurden deren Tagesphasen stark verlängert und dann wieder verkürzt, wie es auch bei der Schichtarbeit typisch ist, führte das zu einer erhöhten Zahl roter Blutkörperchen (Erythrozyten).

Gleichzeitig bildeten die Zebrafischlarven mit gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus weniger neue rote Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport zuständig sind. "Die alten Erythrozyten transportieren weniger Sauerstoff, verklumpen leichter und bleiben an den Wänden der Blutgefäße haften", sagt Egg. In einem weiteren Experiment wurden Zebrafischzellen zwei Stunden lang einem Sauerstoffmangel ausgesetzt, woraufhin sich der normalerweise tagsüber stattfindende Glukose-Stoffwechsel in die Nachtstunden verschob. Also in jene Zeit, in der Zellen ebenso wie tagaktive Organismen eigentlich ruhen und sich regenerieren sollten.

Die enge Wechselwirkung zwischen zellulären Uhren und dem Hypoxie-Signalweg haben Egg, Viktoria Thöni und David Mauracher nun auch in Hinblick auf mögliche therapeutische Ansätze erforscht. Das Team konzentrierte sich dabei auf die Wirkung schwacher elektromagnetischer Felder auf die zirkadianen Rhythmen von Zellen und Geweben. Dafür nutzte das Trio keine gewöhnliche Kernspinresonanz, sondern eine stark abgeschwächte Therapieform, die von der im deutschen Wetzlar ansässigen Firma Medtec entwickelt wurde und seit mehr als 15 Jahren in der Behandlung von Arthrose und Osteoporose zum Einsatz kommt. Die Forschenden konnten zeigen, dass sich damit die innere Uhr von Zellen und der Hypoxie-Signalweg ansteuern lässt. In Zukunft könnte sich daraus eine Reihe weiterer neuer Therapien, etwa in der Onkologie, ergeben, die relativ frei von Nebenwirkungen sind.

Schichtarbeit wird immer anstrengend bleiben, von Unternehmensseite kann sie allerdings so gestaltet werden, dass sich gesundheitliche Folge verringern lassen.
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Chronotypen beachten

Doch wie bringt man Schichtarbeit und Gesundheit unter einen Hut? In Hinblick auf deren schädliche Auswirkungen müsse man Egg zufolge differenzieren. Eine Umstellung der Arbeitsschicht alle drei Tage sei etwa wesentlich zehrender als eine Umstellung in größeren Intervallen, wobei junge Menschen dies meist noch einfacher wegstecken.

Ein Weg, Schichtarbeit gesundheitsfreundlich zu gestalten, sei die Berücksichtigung der individuellen Chronotypen, also zu beachten, ob jemand zu den Eulen oder Lerchen zählt. Menschen ab 40 Jahren sollte man Schichtarbeit nicht mehr antun, sagt Egg: "Denn das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmendem Alter, da auch die innere Uhr im Alter einen schwächeren Rhythmus aufweist." (Marlene Erhart, 27.2.2022)