Das Skelett eines Mannes, der mit 35 bis 50 Jahren verstarb. Vor allem am Schädel sind deutliche Zinnoberspuren zu erkennen.
Foto: Marco Milella

Bei bunten Flecken an menschlichen Knochen denken Archäologinnen und Archäologen meistens zuerst an eines: Schmuck. Metalle hinterlassen oft grünliche Spuren und zeigen, an welchen Stellen Verstorbene Ringe, Ketten und Kopfschmuck trugen – selbst dann, wenn die Kostbarkeiten lange nach der Bestattung gestohlen wurden.

In der heutigen Türkei stieß ein Forschungsteam allerdings auf Skelette, die absichtlich bemalt wurden. Über die faszinierenden Funde aus der Steinzeit berichtet die internationale Forschungsgruppe im Fachjournal "Scientific Reports". Die Knochen wurden offenbar mehrmals bestattet und ausgegraben – und eben auch mit Farbe versehen. Damit liefern die menschlichen Überreste interessante Erkenntnisse über die damaligen Totenriten.

Ein Videoschwenk über die steinzeitliche Fundstätte und mit Handabdrücken versehene Wände.

Rote Österreicher und Stadtpläne

Bei der Fundstätte handelt es sich um Çatalhöyük im anatolischen Hochland, das zu den ältesten Städten der Welt zählt. Die Siedlung wurde bisherigen Analysen zufolge vor 9.000 bis 8.000 Jahren bewohnt, in der Jungsteinzeit. Dass Pigmente bei Bestattungen verwendet wurden, ist auch von einer noch älteren Fundstätte in Österreich bekannt: Die Zwillinge vom Wachtberg wurden vor etwa 31.000 Jahren unter einem Mammut-Schulterblatt bestattet und mit Rötel versehen. Die Besonderheit in Çatalhöyük ist: Auch an der Architektur der Stadt sind bemerkenswerte Farbspuren erkennbar.

In einem Gebäude wurden geometrische Muster an die Wand gemalt.
Foto: Jason Quinlan / Çatalhöyük Research Project

So wurde ein geometrisches Muster mit roter Farbe an eine Wand gezeichnet – gut möglich, dass es sich dabei um einen Stadtplan handelt. Die Siedlung ist etwa 13 Hektar groß und besteht aus etlichen Lehmziegelbauten. Auch an den Wänden finden sich rote Handabdrücke, die Bestattungsräume sind farbverziert und sogar mit den Paletten ausgestattet, mit denen die Farbe angebracht wurde (entsprechende Fotos sind der Studie beigefügt).

Von Ocker bis Blaugrün

"Wir zeigen erstmals Zusammenhänge zwischen Bestattungsritualen, Wohnbereichen und der Verwendung von Farbstoffen in dieser faszinierenden Gesellschaft", fasst der Hauptautor und Anthropologe Marco Milella von der Universität Bern die Studie zusammen. Nur manche Individuen wurden mit Pigmenten versehen, dies scheint prinzipiell aber nicht mit Geschlecht und Alter der Toten zusammenzuhängen. Generell waren die Totenriten größtenteils unabhängig von diesen beiden Merkmalen.

Ein roter Handabdruck an einer Wand.
Foto: Jason Quinlan / Çatalhöyük Research Project

Am häufigsten benutzte die Bevölkerung der Stadt roten Ocker als Farbstoff. Er wurde an den Skeletten einiger Erwachsener und Kinder entdeckt. Allerdings ist es möglich, dass auch andere Farben eine wichtige Rolle spielten, die nicht so gut erhalten sind. Mit weiteren Farben, die bis heute erkennbar sind – Zinnoberrot sowie blaue und grüne Pigmente –, wurden offenbar eher die Knochen von Erwachsenen und älteren Jugendlichen versehen.

Die Rolle des Geschlechts

Einige Tendenzen in Sachen Geschlechterunterschiede konnte das Team allerdings dokumentieren. Zinnober schmückte öfter die Knochen von Männern, insbesondere im Kopfbereich, wobei es dem Forschungsteam zufolge möglich ist, dass der Farbstoff zunächst Teil eines Kopfbands war – also doch zu einer Art Schmuck gehörte. Die auf diese Weise dekorierten Männer waren wahrscheinlich nicht miteinander verwandt.

Der Anthropologe Marco Milella bei der Arbeit. In der Grube sind Skelettreste zu erkennen, an den Wänden rote Farbe.
Foto: Jason Quinlan / Çatalhöyük Research Project

Für Frauen und Jugendliche hingegen scheinen blaugrüne Farben reserviert gewesen zu sein. Da die Stichproben aber jeweils relativ klein sind, sind diese Muster mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Anderen Studien zufolge ist es möglich, dass es in der Bevölkerung der Stadt Çatalhöyük eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gab: Manche Darstellungen deuten an, dass sich Frauen womöglich eher um Getreidewirtschaft kümmerten, während Männer eher diejenigen waren, die jagen gingen.

Weitere Indizien könnten auch dafür sprechen, dass die Geschlechter relativ gleichberechtigt behandelt wurden. Manche interpretieren einige Fundstücke sogar als Hinweis dafür, dass Herrschaft weiblich geprägt war, es sich also um ein Matriarchat gehandelt haben könnte. So wurde etwa eine Figur mit Brüsten entdeckt, die ein Kind gebiert und auf einem "Löwenthron" sitzt.

Tote als Teil der Gesellschaft

Der in der neuen Studie erwähnte "Zusammenhang" zwischen Skelett- und Wandbemalung ist in einem Gebäude sogar so zu verstehen, dass die Anzahl der Bestattungen mit den Schichten der Wandmalereien zusammenpasst. "Das heißt: Bei jeder Bestattung wurden auch die Wände des Hauses bemalt", sagt Milella. Einiges spreche auch dafür, dass manche Verstorbene weiterhin als Teil der Gemeinschaft betrachtet und "hervorgeholt" wurden. Ihre Überreste wurden ausgegraben, entnommen und irgendwann neu bestattet. Auch mehrmalige Bestattungen wurden der Forschungsgruppe zufolge in Çatalhöyük mit Farbe an der Wand dokumentiert.

Dies passt zu dem, was man bereits über Bestattungsriten in Anatolien und Umgebung ab der Hälfte des neunten Jahrtausends vor Christus weiß. Was die symbolischen Handlungen genau bedeuten, bleibt mysteriös, aber es gibt Hinweise darauf, dass Tote auch an anderen Orten bestattet, ausgegraben und wieder bestattet wurden, man ihre Knochen weiterreichte und sie mit Farbpigmenten versah. Diese Behandlung wurde jedoch nicht allen Toten zuteil. Und weshalb manche mehrmals bestattet wurden und andere nicht, ist wie vieles andere noch ein Geheimnis. (Julia Sica, 19.3.2022)