Kanzler Karl Nehammer (li.) besuchte Milorad Dodik.

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Bei seinem Besuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo am Freitag hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betont, dass Bosnien-Herzegowina nicht in den Ukraine-Konflikt hineingezogen werden dürfe und dass Österreich, auch durch die Unterstützung der EU-Militärmission Eufor, "Bosnien-Herzegowina auf keinen Fall alleine lassen" werde. Nehammer traf dort das dreiköpfige Staatspräsidium, dem auch der prorussische Nationalist Milorad Dodik von der Republika Srpska angehört. Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist allerdings nach wie vor instabil, weil Dodik und seine Partei SNSD seit Herbst konkrete Gesetze in die Wege geleitet haben, die zur Auflösung gemeinsamer staatlicher Institutionen und in Richtung einer Zerstörung des Staates Bosnien-Herzegowina führen.

Erst diese Woche sagte Dodik dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der ebenfalls in Sarajevo war, dass er diese Gesetze nicht zurücknehmen werde. Mirko Šarović, ein Politiker der Oppositionspartei SDS im Landesteil Republika Srpska, kritisierte Borrell: "Ich bin mir nicht sicher, ob Borrell überhaupt verstanden hat, wohin er gekommen ist, er war in einigen Dingen völlig verwirrt. Er hat einige verfassungsrechtliche Einschränkungen nicht einmal verstanden. Außerdem hat er nicht genug verstanden, dass diejenigen, mit denen er sprach, ihn täuschen würden."

600 Millionen Euro für Dodik

Trotz Dodiks Weigerung, der Verfassung zu folgen und die Gesetze zurücknehmen zu lassen, trotz seiner jahrelangen Sezessionsdrohungen und obwohl er in engem direktem Kontakt mit dem russischen Regime steht, hat die EU bisher keine Strategien entwickelt, um eine Eskalation zu vermeiden, sondern setzt ihre Appeasement-Politik fort. Dodik wurden zuletzt von dem ungarischen EU-Kommissar Olivér Várhelyi immer wieder 600 Millionen Euro angeboten, falls Vertreter der Serben in die Institutionen zurückkehren würden. Várhelyi selbst wurde vom ungarischen Premier Viktor Orbán entsandt, der Dodik und seine Politik unterstützt.

Die EU-Kommission meint auf Anfrage des STANDARD dazu: "Die Kommission hat die Vertreter der Republika Srpska wiederholt aufgefordert, vollständig zu den staatlichen Institutionen zurückzukehren." Man habe Anträge für Investitionspakete für Straßen- und Schienenverbindungen erhalten. "Die Kommission beabsichtigt, die entsprechenden Beitragsvereinbarungen für diese beiden Investitionen im Wert von 600 Millionen Euro erst nach dem Ende der politischen Krise zu unterzeichnen, mit der vollständigen Rückkehr in die staatlichen Institutionen durch Vertreter der Republika Srpska. Ohne voll funktionsfähige staatliche Institutionen (...) wird Bosnien und Herzegowina in den kommenden Jahren wahrscheinlich weniger EU-Mittel anziehen können." Eine Rücknahme der problematischen Gesetze wurde nicht erwähnt. Dodik kooperiert unterdessen weiter mit Russland.

Abkommen zwischen Putin und Dodik

Die russische Botschaft hat erst kürzlich veröffentlicht, dass Putin und Dodik Anfang Dezember ein Abkommen geschlossen haben, das nun schrittweise umgesetzt werden soll. Es besteht im Kontext des Krieges gegen die Ukraine deshalb die Sorge, dass Dodik die Unabhängigkeit des bosnischen Landesteils Republika Srpska ausrufen könnte, wenn ab Mai die ersten Gesetze zur Auflösung der gesamtstaatlichen Institutionen in Kraft treten. Es besteht weiters die Sorge, dass Dodik dann die serbischen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs aufrufen könnte, aus dem Amt zu scheiden und damit das Verfassungsgericht funktionsunfähig zu machen. Es besteht drittens die Sorge, dass der Kreml die Unabhängigkeit der Republika Srpska – analog zu den "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk – anerkennen könnte.

Seit Monaten warnen Sicherheitsexperten davor, dass der Kreml mithilfe von Dodik und seinen Freunden eine weitere Front der Destabilisierung auf dem Balkan eröffnen könnte. Trotz mehrmaliger Anfragen des STANDARD, welchen Inhalts das Abkommen zwischen Dodik und Putin sei, hat das Büro von Dodik bisher keine Antworten darauf gegeben. Auch das russische Außenministerium hat dem STANDARD bisher auf diese Fragen nicht geantwortet, die russische Botschaft in Sarajevo hat den STANDARD in der Causa auf Moskau verwiesen.

Keine Sanktionen gegen Russland

Der russische Botschafter in Sarajevo, Igor Kalabuchow, hat jedoch auf die Frage von Medien reagiert, was der Kreml tun würde, wenn Bosnien-Herzegowina der Nato beitreten würde. "Wenn es sich entscheidet, Mitglied von irgendetwas zu werden, ist das eine interne Angelegenheit. Eine andere Sache aber ist unsere Reaktion", sagte Kalabuchow. Er erklärte, dass Russland am Beispiel der Ukraine gezeigt habe, was zu erwarten sei, und betonte, dass Moskau reagieren werde, wenn es in Bosnien und Herzegowina Drohungen gebe. Dies wurde in Sarajevo wiederum als Drohung verstanden. Bosnien-Herzegowina hat zuletzt – so wie Serbien – die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt. Dieses Verhalten wird von Moskau begrüßt.

Jenseits der problematischen geopolitischen Situation sind die bosnischen Politiker wieder einmal damit beschäftigt worden, über ein Wahlgesetz zu verhandeln. Denn diese Woche kam neuerlich Angelina Eichhorst vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) nach Sarajevo. Bei der Wahlreform geht es einerseits um technische Verbesserungen, um Betrug und Schwindeleien zu verhindern. Zweitens geht es um die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die die Aufhebung der Diskriminierung von Juden, Roma und anderen Minderheiten im passiven Wahlrecht vorsehen.

Lobby aus dem Nachbarland

Allerdings werden beide Themen von einem Anliegen der nationalistisch-kroatischen HDZ überlagert. Denn EU-Vertreter haben sich die Agenda der HDZ zu eigen gemacht, die erreichen möchte, dass künftig ein Vertreter der HDZ als Kroate im Staatspräsidium sitzt und nicht wie bisher der Nichtnationalist Željko Komšić. Dieses Anliegen der HDZ wird von einer Lobby der Schwesterpartei der bosnisch-herzegowinischen HDZ, der HDZ in Kroatien, im EU-Parlament und in anderen EU-Gremien gepusht.

Die Verhandlungen zum Wahlgesetz führen seit Monaten zu Spannungen in Bosnien-Herzegowina, weil die EU-Vertreter ganz offensichtlich die HDZ unterstützen. Bei den Verhandlungen am Donnerstag wurden die nichtnationalistischen Parteien Naša stranka, Sozialdemokraten (SDP) und Demokratska Front (DF) nicht in jenen Raum zu Beratungen geladen, wo die Nationalisten verhandelten. Vertreter kleiner nationalistischer Parteien wie NiP oder SBB wurden hingegen in den Raum gelassen, wo die Vertreter der großen nationalistischen Parteien SNSD, SDA und HDZ miteinander sprachen.

Zirkus in Bosnien

"Niemand hat uns in den großen Raum eingeladen, in dem politische Themen diskutiert wurden", kritisierte etwa Zlatan Begić, ein Vertreter der Demokratska Fronta (DF), das Verhandlungsformat von Eichhorst. Der sozialdemokratische Abgeordnete Vojin Mijatović protestierte gegen die Vorgangsweise der EU mit einem offenen Brief an Eichhorst, in dem er ihr vorwarf, seit Monaten in Bosnien-Herzegowina einen "Zirkus" zu machen und kriminelle ehtnonationalistische Strukturen zu unterstützen.

"Wissen Sie, dass Sie nationalistische Politik in Bosnien und Herzegowina unterstützen, die den Krieg und den Zusammenbruch des unabhängigen Staates befürwortet?", fragte Mijatović in dem Schreiben. Der Politiker betonte, dass Eichhorst in Bosnien-Herzegowina nicht die offizielle europäische Politik vertrete, und kündigte eine Debatte in Brüssel an. "Bis dahin ein Gruß von einem Serben und Bosnier aus Banja Luka, dem dieses Land wichtiger ist als euch die Europäische Union, die ihr leider repräsentiert, zur Schande aller europäischen Werte", so Mijatović. (Adelheid Wölfl, 18.3.2022)