Bundespräsident Alexander Van der Bellen spricht zu den 40.000 Menschen, die im Ernst Happel Stadion ein Zeichen gegen den Krieg setzen wollten.

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Der ukrainischen Zivilbevölkerung helfen und dabei Spaß haben? Dazu sagten am Samstag in Wien 40.000 Menschen Ja – auch wenn diese Zahl ungefähr den zuletzt gemeldeten Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Österreich entspricht. Beim großangelegten Benefizkonzert "We Stand With Ukraine" zugunsten von Volkshilfe und Nachbar in Not im Wiener Ernst-Happel-Stadion werden zwar blau-gelbe FFP2-Masken verteilt, aber die wenigsten tragen sie – aktuell herrscht keine Masken- oder sonstige Nachweispflicht. An der freien Luft, aber dichtest aneinandergedrängt steht das Publikum stundenlang vor der Bühne.

Menschenmenge sorgt für Lichtermeer.
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"Ich habe ehrlich gesagt schon Angst vor Corona und bin auch einer der wenigen Menschen, die da drin ihre Maske tragen. Ob’s was hilft, weiß ich nicht," sagt Lukas (31), der sich während des Sets von Seiler und Speer eine Pause vor dem Stadion gönnt. "Würde ich mich anstecken, wäre es mir das wert", erzählt Oscar (16), "wir wollen gemeinsam ein Zeichen setzen und einander außerdem endlich mal wieder sehen." Bei Gesprächen mit so jungen Menschen wie Oscar, die pandemiebedingt zwei der normalerweise aufregendsten Jugendjahre großteils zu Hause verbringen mussten, wird klar, wie die Veranstaltung zum Ereignis werden konnte:

Es geht nicht nur darum, Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zu zeigen, man will auch die eigenen Mitbürgerinnen und -bürger wieder sehen, hören und spüren.

Marco Wanda lässt den Krieg ausbuhen.

Viele durchwegs junge Besucherinnen und Besucher hatten ohnehin vor zu spenden. Die sehr moderaten Ticketpreise von 19,91 Euro (symbolisch für das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, 1991) für mehr als zehn Bands und Solokünstlerinnen – darunter namhafte und beliebte Acts wie Yung Hurn, Mavi Phoenix, Mathea, Wanda, Bilderbuch oder Seiler und Speer – ist ein ziemlich guter Deal. "Two birds, one stone", formuliert es Martina (29): "Man merkt aber an den mitfühlenden Reaktionen auf die verschiedenen Ansprachen, dass die meisten nicht nur wegen der Musik da sind. Der Fokus ist die Ukraine."

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Alle geben alles

Innerhalb von 14 Tagen stellten Ewald Tatar, Chef von Barracuda Music (Frequency Festival, Nova Rock) und sein Team nicht nur ein Konzert, sondern ein Festival auf die Beine. Normalerweise wird an Events dieser Größenordnung ein Jahr gearbeitet. Man merkt nicht, dass das hier nicht der Fall war: Die Abläufe funktionieren reibungslos. Moderatorinnen und Moderatoren sprechen immer wieder von einem historischen Ereignis, Vergleiche mit dem Live-Aid-Konzert von 1985 werden gezogen, eine Videobotschaft von dessen Initiator Bob Geldof eingespielt.

Größer sogar als bei so manchem Festival scheint die Motivation der Bands zu sein, die ohne Gage auftreten. Alle geben alles, keine Spur von Halbherzigkeit. Gebuht wird nur, wenn Marco Wanda es verlangt: "Jetzt bitte einmal alle den Krieg ausbuhen", ruft er von der Bühne, und das Publikum leistet Folge.

Erich Fenninger von der Volkshilfe mit dem verständlicherweise etwas müde wirkenden Organisator Ewald Tatar.
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Schwer zu sagen, wessen Performance an diesem Abend die beste war, es wird durchgehend gejubelt. Der einzige Spoken-Word-Artist des Abends, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, kommt vor lauter Applaus fast gar nicht zu Wort. "Jeder Ton, der heute erklingt, macht klar: We stand with Ukraine. Die Freiheit wird sich durchsetzen. Der Frieden wird sich durchsetzen. Die Demokratie wird sich durchsetzen", schafft er dann doch noch gegen 21 Uhr kundzutun.

Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Veranstaltung schon acht Stunden. Den Beginn machte um 13 Uhr die Hardrock-Formation Eazy um die russischstämmige Sängerin Julia Ivanova. Viele Acts sprachen sich in ihren Sets dezidiert gegen den Angriffskrieg aus, Ina Regen präsentierte in diesem Sinne ihren Song Rot mit einer neuen zweiten Strophe. Die meisten Bands setzten auf ihre größten Hits, so auch Bilderbuch, die aber auch ein paar Nummern von ihrem im April erscheinenden Album Gelb ist das Feld austesteten.

Doris Schmidauer und Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
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Emotionale Momente

Für emotionale Momente sorgte die Ansprache von Lina Barinova und Daria Dalichuk vom Hilfsverein Youkraine, die der Opfer des Krieges gedachten und um eine Schweigeminute baten.

Auch Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe, betrat die Bühne und berichtete, was er mit dem Scheck über 810.337 Euro, den ihm Ewald Tatar in die Hand drückte, an Hilfe wird leisten können. Die Spendensumme wird sich erhöhen, da auch Einnahmen aus Gastronomie und Co dazukommen werden.

Mathea.
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Der Abend endet mit einem kleinen Wermutstropfen: Der Ostbahn Kurti, der den krönenden Abschluss hätte bilden sollen, konnte leider nicht auftreten. Er war positiv auf Corona getestet worden. Stattdessen kamen noch mal alle Acts für eine Runde Imagine auf die Bühne. (Amira Ben Saoud, 20.3.2022)