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Proteste für eine "freie (West-)Sahara" gab es in Spanien schon seit Jahren. Die Regierung in Madrid will das Problem um ihre Ex-Kolonie nun beenden.

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Madrid hat im Konflikt um die seit 1975 von Marokko besetzte ehemalige spanische Kolonie Westsahara eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. In einem Brief an den marokkanischen König Mohamed VI. schreibt der sozialistische spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez nunmehr: "Spanien betrachtet die von Marokko 2007 präsentierte Autonomie-Initiative als die seriöseste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage zur Lösung des Streits."

Das von der marokkanischen Regierung in Rabat der Presse zugänglich gemachte Dokument bedeutet eine Abkehr von der bisherigen spanischen Doktrin, die besagte, dass der Konflikt im Rahmen der Uno gelöst werden müsse.

Die Uno strebt seit 1991, als ein Waffenstillstand zwischen der Befreiungsbewegung Polisario und Marokko in Kraft getreten ist, eine Volksabstimmung über den Landstrich an. Diese scheiterte an der Frage, wer abstimmungsberechtigt sei. Seit November 2020 kommt es gar immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen entlang des über 2000 Kilometer langen, von Marokko errichteten Sandwalls, der die besetzten Gebiete entlang der Atlantikküste von den befreiten Zonen im Landesinneren trennt.

Nach Trump auch Biden

Sánchez, der demnächst in Rabat erwartet wird, schließt sich mit seinem Brief der Linie an, die der damalige US-Präsident Donald Trump vorgab: Er erkannte die Hoheit Marokkos über die Gebiete an. Rabat nahm im Gegenzug vollständige Beziehungen zu Israel auf. Der neue US-Präsident Joe Biden hält an dieser Linie weitgehend fest.

Für die Uno ist die Westsahara ein "nicht entkolonialisiertes Gebiet". Madrid ist somit völkerrechtlich weiterhin kolonialer Verwalter.

"Die Position der spanischen Regierung steht im völligen Widerspruch zur internationalen Legitimität", heißt es in einem Kommuniqué der Polisario. Die Befreiungsbewegung unterhält in den sahrauischen Flüchtlingscamps in Südwestalgerien eine Exilregierung. Mehr als 170.000 Flüchtlinge leben in diesen Lagern seit den 1970er-Jahren.

Auch Algerien reagierte umgehend. Die algerische Regierung zog ihren Botschafter in Madrid zu Beratungen ab. Diplomatische Quellen in Algier sprechen vom "zweiten großen Verrat Spaniens an den Sahrauis". Der erste war, als Madrid die Kolonie kurz vor dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 an Marokko und Mauretanien übergab; der zweite jetzt mit Sánchez’ Brief. Madrid behauptet, Algier sei im Vorfeld vom Inhalt des Schreibens informiert gewesen. Algier dementiert.

Riskantes Spiel

Spanien pokert hoch. Denn Algerien ist der Hauptlieferant von Erdgas (2021: 47 Prozent), und eine Lieferbeschränkung könnte im gegenwärtigen Konflikt mit dem anderen großen Gaslieferanten Europas, Russland, schwere Folgen haben.

Wegen des Westsahara-Konflikts funktioniert seit Herbst 2021 nur noch eine Pipeline aus Algerien. Eine zweite durch Marokko wurde von Algerien nach mehreren Angriffen marokkanischer Drohnen in der Wüste zwischen den sahrauischen Camps und dem Sandwall stillgelegt.

Rabats Druck auf Madrid

Ungeachtet der Proteste Algiers erklärte der spanische Außenminister José Manuel Albares: "Heute beginnen wir eine neue Phase unserer Beziehungen mit Marokko und beenden eine Krise mit einem strategischen Partner." Die Krise, von der Albares spricht, begann im vergangenen Jahr, als Madrid Polisario-Führer Brahim Ghali erlaubte, nach Spanien einzureisen, um sich gegen Covid-19 behandeln zu lassen. Marokko zog die Botschafterin ab; doch seit dieser Woche ist sie zurück.

Die ganze Zeit über übte Rabat Druck auf Madrid aus. Die marokkanischen Grenzer erlaubten immer wieder Massenanstürme auf die Grenzen, die die beiden nordafrikanischen Exklaven Spaniens Ceuta und Melilla von Marokko trennen. Zuletzt schafften es diesen Monat rund 850 Menschen, den Grenzzaun in Melilla zu überwinden. Im Mai 2021 überwanden Tausende schwimmend die Grenzanlagen in Ceuta. (Reiner Wandler aus Madrid, 22.3.2022)