Zuletzt hatte es im Osten des Südkontinents um bis zu 40 Grad Celsius mehr als sonst üblich.

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Während es bei uns auf der Nordhalbkugel gerade Frühling wurde, ging im Süden der Sommer zu Ende. In der Antarktis geschah das mit einer Reihe von spektakulären Temperaturrekorden, die für einige Aufregung unter Klimafachleuten und in den Medien sorgten: So kletterte die Temperatur am kältesten Ort der Erde, der russischen Forschungsstation Wostok, am Freitag auf minus 17,7 Grad Celsius.

Das klingt immer noch nach großer Kälte. Allein: Die durchschnittliche Höchsttemperatur, die seit 65 Jahren gemessen wird, liegt dort im März bei minus 53 Grad Celsius. Auch die Concordia-Forschungsstation in der Ostantarktis, die von Frankreich und Italien betrieben wird und etwa 500 Kilometer von Wostok entfernt ist, erreichte mit minus 12,2 Grad Celsius den höchsten Temperaturwert.

Am Sonntag lagen die Temperaturen in der östlichen Antarktis immer noch viel zu hoch und um rund 30 Grad Celsius über dem Normalwert. Doch das außergewöhnliche Phänomen ist örtlich begrenzt: Am Südpol beispielsweise, knapp 1.300 Kilometer von Wostok entfernt, wurden am Sonntag ziemlich "normale" minus 59,5 Grad Celsius gemessen.

Besondere Bedingungen

Die extrem hohen Temperaturen in der Ostantarktis sind nicht zuletzt deshalb besonders bemerkenswert, da der März den Herbstanfang markiert. Eigentlich würde man sie für den antarktischen "Hochsommer" im Dezember oder Jänner erwarten. Dieses Ereignis sei völlig beispiellos und habe unsere Erwartungen an das antarktische Klimasystem auf den Kopf gestellt, sagte Jonathan Wille, Klimaforscher an der Universität Grenoble Alpes in Frankreich. Er verglich in der "Washington Post" das Ereignis mit der Hitzewelle, die im Juni des Vorjahrs dem Nordosten Nordamerikas Temperaturen von über 40 Grad Celsius bescherte.

Das Auftreten der außergewöhnlichen antarktischen Wärmeperiode, die diese Woche voraussichtlich wieder enden wird, war mehreren Faktoren geschuldet: einem Sturm, der vor einer Woche die Ostantarktis mit extrem viel Feuchtigkeit erreichte, die sich über das Innere des Kontinents ausbreitete, und einem nachziehenden Hochdrucksystem, das ein Entweichen der Feuchtigkeit verhinderte. Diese wasserreichen Wolken strahlten Wärme auf die Oberfläche ab, was zu den außergewöhnlichen Temperaturen führte.

Diese Animation zeigt den Sturm, der die Antarktis mit viel Feuchtigkeit erreichte in Form einer türkisen Welle, die von Australien aus nach Süden vordringt und die östliche Antarktis blau einfärbt.

Unklare Zusammenhänge

Das Extremereignis wirft zumindest zwei Fragen auf: Ist es auf die vom Menschen verursachte Erderwärmung zurückzuführen? Und hat es Auswirkungen auf die Gletscher in der Ostantarktis? Die Antworten von Jonathan Wille fallen in beiden Punkten differenziert aus: In diesem Gebiet der Antarktis komme es kaum zu Gletscherschmelzen. Und der Klimawandel habe vermutlich dazu beigetragen, die Voraussetzungen für ein solches Ereignis zu schaffen. Aber kausale Zusammenhänge herzustellen sei schwierig.

Auch für andere befragte Fachleute wie Linda Keller und Matt Lazzara (University of Wisconsin) ist unklar, ob es sich um einen neuen Trend handelt oder nur um eine einmalige Ausnahmesituation. Tatsächlich sind massive Temperaturschwankungen in der Antarktis keine Seltenheit. So wurde am Südpol von April bis September 2021 gerade erst die kälteste Periode seit Messbeginn verzeichnet – mit einer Durchschnittstemperatur von frostigen minus 61 Grad.

Meereis erreichte Minimalwert

Dass sich der Klimawandel aber längst auch in der Antarktis zeigt, ist freilich unübersehbar: Ende Februar etwa schrumpfte das Meereis um die Antarktis erstmals seit 43 Jahren Satellitenbeobachtung auf eine Ausdehnung von unter zwei Millionen Quadratkilometern. Und das, obwohl es nach dem antarktischen Winter mit den extrem tiefen Temperaturen und fast 19 Millionen Quadratkilometern Maximalfläche besonders ausgedehnt gewesen war.

Die Entwicklung des antarktischen Meereis seit September 2021 bis zum absoluten Minimum Ende Februar 2022.
Grafik: National Snow and Ice Data Center

Die verhältnismäßig warmen Meerestemperaturen drohen zudem, den Thwaites-Gletscher in der Westantarktis langfristig zu destabilisieren, der auch als Doomsday- oder Weltuntergangsgletscher bekannt und in etwa doppelt so groß wie Österreich ist. Er fungiert nämlich als eine Art Bremsklotz für das Westantarktische Eisschild und trägt jetzt schon vier Prozent zum jährlichen Anstieg des globalen Meeresspiegels bei. Bremst der Thwaites-Gletscher künftig einmal nicht mehr, könnte das sehr, sehr viel mehr werden. (tasch, 22.3.2022)