RV3FF bekommt keine Antwort. Egal wie ausdauernd Funkamateur Andrej in einem der Wohnblocks am östlichen Stadtrand von Moskau sein Rufzeichen RV3FF ins Mikrofon buchstabiert: Es antwortet kaum jemand. Auch bei anderen russischen "Callsigns" wie R3EG, R7DIT, RZ5D, RZ3B hört es sich ähnlich an.

EA4HIH funkt wegen der technischen Reichweite gerne von spanischen Berggipfeln aus.
Foto: Reiner Wandler

Eigentlich müssten alle diese Funkerinnen und Funker so viel Zuspruch bekommen, dass es ihnen im Stimmengewirr schwerfiele, jemanden herauszupicken, um den Kontakt zu bestätigen. Denn es ist der große Tag der Russischen Amateurfunkverbands Sojus Radioljubitelej Rossii. Wie immer trägt dieser rund um den Frühlingsbeginn seinen internationalen Funkwettbewerb aus – und neben dem des US-Verbands ARRL ist dieser einer der beliebtesten weltweit. Bisher.

Boykott russischer Amateurfunker

Jeder Funkkontakt mit einem Teilnehmer weltweit zählt – und ein Gespräch mit einer russischen Station multipliziert das Ergebnis sogar. Alte Hasen versuchen deshalb so viele russische Provinzen – Oblast – zu kontaktieren wie nur möglich. Für andere wiederum ist Dabeisein alles. Oder, besser gesagt: Dabeisein war alles. Denn seit der Invasion der Ukraine durch die russische Armee macht die Parole vom "Boykott" die Runde in der internationalen Funkergemeinde. Der russische Wettbewerb wurde daher über Nacht zur Geisterveranstaltung.

Nicht nur der Boykott hat die Amateurfunk-Landschaft dieser Tage verändert. Die ukrainischen Stationen sind ganz aus dem Äther verschwunden. Mit der Ausrufung des Kriegsrechts durch die Regierung in Kiew wurde die private Nutzung von Funkgeräten vollständig untersagt. Wenn überhaupt noch eine Station aus der Ukraine zu hören ist, dann aus den abtrünnigen, prorussischen Gebieten Donezk und Luhansk. Manche von ihnen haben kurzerhand ein Rufzeichen erfunden, das mit D1 oder D0 beginnt, als lebten sie in einer international anerkannten Republik – doch anerkannt hat sie nur Russland.

Gegen den Verhaltenskodex

Plötzlich hält etwas Einzug im Äther, was dort eigentlich – so der Verhaltenskodex der rund 2,8 Millionen Amateurfunker weltweit – ebenso wie Religion nichts verloren hat: Politik. Auf den einschlägigen Internetseiten, auf denen Kontakte eingetragen werden können, samt Rufzeichen des Gegenübers und der verwendeten Funkfrequenz, tauchen seit Kriegsbeginn immer mehr Nachrichten wie "Russland mordet" oder "Stop War" auf.

UW8SM aus der Ukraine bestätigt einen Funkkontakt mit EA4HIH in Spanien vier Tage vor Kriegsbeginn.
Foto: Reiner Wandler

So manche russische Funkstation beschwert sich, dass ihre Unterhaltung gezielt mit Geräuschen durch andere Funkamateure gestört werde. "Neonazi verbreitet Lärm", lautet einer dieser Einträge.

In den Foren und Whatsapp-Gruppen, in denen sich Funkamateure herumtreiben, wird das Thema Boykott heftig diskutiert. Die "Callsign Database" qrz.com – eine private Website aus den USA, auf der sich Funkamateure weltweit wie in einer Art Telefonbuch mit ihrem Rufzeichen eintragen und grundlegende Informationen wie Standort, Gerätschaft und Antennen posten – löschte zu Kriegsbeginn alle Einträge aus Russland. Es gab Proteste im Forum, die Entscheidung wurde nur einen Tag später rückgängig gemacht.

Weiße Flecken auf der Funker-Landkarte

Die wichtigste Fachzeitschrift, "CQ" aus den USA, lädt fürs kommende Wochenende zu ihrem beliebten Wettbewerb. Ziel: so viele unterschiedliche Länder wie möglich zu kontaktieren. Nur: Russland, Belarus und die selbsternannten Donbass-"Republiken" Donezk und Luhansk zählen dieses Mal nicht.

Arthur Konze betreibt den Youtube-Kanal "Funkwelle".
Funkwelle

Auf Youtube gibt es derweil deutliche Stimmen gegen jedweden Boykott. "Natürlich solltet ihr auch weiterhin (mit) Stationen aus Russland arbeiten", erklärt etwa Arthur Konze vom beliebten deutschen Kanal "Funkwelle". Er gibt zu bedenken, dass der "einzelne Funkamateur nicht wirklich etwas dafür kann". Amateurfunk diene von jeher der "Völkerverständigung", mahnt er angesichts einer Spaltung, wie es sie so in diesem wohl ältesten internationalen sozialen Netzwerk nie gab. Nicht einmal in den Jahren des Kalten Krieges. (Reiner Wandler, 23.3.2022)