Die Politikwissenschafterin Alice Vadrot kritisiert in ihrem Gastblog, dass die Verhandlungen zum Meeresschutz keine signifikanten Entscheidungen gebracht haben, sieht aber wichtige Schritte gesetzt.

Nach einer Covid-19-bedingten zweijährigen Pause haben sich Anfang März mehr als 70 Staaten wieder an den Verhandlungstisch im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York begeben. Ihr Ziel war es, die Weichen für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität in der Hohen See zu stellen. Immerhin machen die Gebiete außerhalb nationalstaatlicher Souveränität etwa 64 Prozent der Oberfläche und circa 95 Prozent des Gesamtvolumens der Ozeane aus. Und sie beheimaten einen beträchtlichen Anteil an marinen Ökosystemen kommerziell genutzter Arten sowie kaum beforschter Meereslebewesen, deren ökonomische und geopolitische Bedeutung stetig zunimmt, die allerdings kaum geschützt werden.

Neue Nutzungsformen mariner Ökosysteme und Ressourcen in der Hohen See – etwa der Tiefseebergbau, Offshore-Windparks oder die Inwertsetzung genetischer Ressourcen, mariner Organismen und biologischer Substanzen – erhöhen den Druck auf Staaten, sich auf verbindliche Regeln zu einigen, um die nachhaltige und gerechte Nutzung, aber auch den Erhalt der marinen Biodiversität für zukünftige Generationen zu sichern.

Darstellung unterschiedlicher Methoden der Datenerfassung, die während des Census of Marine Life, eines internationalen Projekts von Meeresbiologinnen und Meeresbiologen zur Erforschung der Ozeane im Jahr 2000 bis 2010, verwendet wurden.
Foto: Census of Marine Life, E. Paul Oberlander, Woods Hole Oceanographic Institution

Zurück am Verhandlungstisch

Die Erwartungen an diese vierte Verhandlungsrunde waren groß. Nicht zuletzt da die Generalversammlung der Vereinten Nationen ihr Mandat für nur vier zwischenstaatliche Konferenzen erteilt hatte, sind viele Beobachtende davon ausgegangen, dass sich die Regierungsvertretungen einvernehmlich einigen werden. Konkret hätte nach den zwei Wochen ein Vertragstext auf dem Verhandlungstisch liegen müssen, frei von Klammern, Optionen und Streichungen. Aber weit gefehlt. In vielen Bereichen fehlt ein Konsens.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive hatte diese vierte Verhandlungsrunde daher vor allem Symbolcharakter. Sie steht exemplarisch für die hochkomplexen und konflikthaften Prozesse, die mit dem Schutz der marinen Biodiversität in der Hochsee verbunden sind, aber auch für die Schwierigkeiten, Umweltdiplomatie während der Covid-19-Pandemie erfolgreich umzusetzen.

Nach zweieinhalb Jahren Verhandlungspause war es unbedingt notwendig, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sobald es die Situation im UN-Hauptgebäude zulassen würde. Absichten, das Abkommen digital zu verhandeln, wurden mit dem Argument fehlender Legitimation und Sicherheit (Sichtwort Cyber-Security) gar nicht erst umgesetzt. Und so traf sich zwar ein Großteil der Verhandelnden fast monatlich in virtuellen Räumen, um sich informell über verschiedene Themen des Abkommens auszutauschen, ohne jedoch die Möglichkeit gehabt zu haben, die Ergebnisse in den formalen Verhandlungsprozess einzuspeisen. Was von dieser neuen Art digitaler Diplomatie blieb, war das Gefühl, sich angenähert und zusätzliche Zeit für die Auseinandersetzung mit den komplexen und divergierenden Interessen gewonnen zu haben.

Blick in den Verhandlungsraum.
Foto: IISD/ENB | Francis Dejon https://enb.iisd.org/marine-biodiversity-beyond-national-jurisdiction-bbnj-igc4-8Mar2022

Was wird verhandelt?

Und die Interessen sind in der Tat komplex. Das neue rechtlich-bindende Abkommen umfasst vier Verhandlungspakete, die einerseits auf den Schutz der marinen Biodiversität abzielen und andererseits den gerechten Umgang mit deren Nutzung und Erforschung regeln sollen. Die technische und rechtliche Umsetzung von Meeresschutzgebieten und von Umweltverträglichkeitsprüfungen ist vor allem angesichts einer fehlenden internationalen Instanz, die entsprechende Entscheidungsprozesse überwachen und umsetzen könnte, herausfordernd. Brisanter jedoch ist die Frage nach der Nutzung mariner genetischer Ressourcen.

Es ist beispielsweise noch immer völlig unklar, was genau geregelt werden soll. In den Verhandlungen kam dies dadurch zum Ausdruck, dass zwei unterschiedliche Formulierungen vorgebracht und von Akteuren mit jeweils unterschiedlichen Interessen unterstützt wurden. Während EU-Staaten, die USA, Großbritannien, die Schweiz, Kanada und andere Industrienationen das Abkommen auf das Sammeln genetischer Ressourcen ("collection of marine genetic resources") beschränken möchten, zieht eine Reihe an Entwicklungsstaaten die Terminologie "access to marine genetic resources" vor und betont damit gleichsam, dass es aufwendiger Forschungsinfrastruktur bedarf, um überhaupt Zugang zu diesen Ressourcen zu erhalten.

Als Grundvoraussetzung für die Entwicklung chemischer, pharmazeutischer oder kosmetischer Produkte, von denen man sich jene großen Gewinne erhofft, die aus Sicht vieler Entwicklungsländer fair verteilt werden müssen, braucht es neben Forschungsschiffen auch eine ganze Reihe an Technologien zur Erfassung und Analyse der genetischen Eigenschaften von Lebewesen.

Forschung über die marine Biodiversität ist allerdings, wie wir in unseren bibliometrischen Analysen zeigen konnten, ungleich zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens verteilt. Dies beschränkt Entwicklungsländer nicht nur in den Möglichkeiten, marine Biodiversität zu nutzen, sondern bringt das Problem mit sich, dass in vielen Regionen kaum Kapazitäten vorhanden sind, um sich an Schutzmaßnahmen – wie etwa der Verwaltung von Meeresschutzgebieten – adäquat beteiligen zu können.

Globale Verteilung wissenschaftlicher Publikationen zu mariner Biodiversität von 1990 bis 2018.
Foto: TScienceDirect, Marine Policy, 124 (2), 104318, Tolchko und Vadrot 2021: The usual suspects? Distribution of collaboration capital in marine biodiversity research, © Elsevier (2021)

In die nächste Runde

Den entsprechenden Forderungen nach Kapazitätsaufbau und dem Transfer von Meerestechnik wollen viele Industrienationen zwar freiwillig nachkommen, eine Liste konkreter Aktivitäten im Verhandlungstext soll aber möglichst verhindert werden. Ähnlich verhält es sich mit Forderungen nach einem monetären Vorteilsausgleich für die Nutzung mariner genetischer Ressourcen aus der Hohen See, die vor allem jene Staaten, die Meeresforschung betreiben, ablehnen. Gründe, warum sich die G77, ein Zusammenschluss aus Staaten, die überwiegend zum globalen Süden zählen, bereits in den ersten Verhandlungsrunden dafür aussprachen, das Prinzip des "gemeinsamen Erbes der Menschheit" als Prinzip im Text zu verankern. Ähnlich wie beim Abbau mineralischer Ressourcen am Meeresboden, könnte dieses Prinzip ein starkes Symbol für eine gerechte Verteilung von Meeresressourcen sein.

Und um Symbolkraft ging es auch in der vierten Verhandlungsrunde. Als klar wurde, dass nichtstaatliche Akteure Covid-19-bedingt im letzten Moment keinen Zugang zu den Verhandlungen vor Ort erhalten würden, war vielen Beobachtern klar, dass unter diesen Bedingungen die Zukunft der marinen Biodiversität in der Hohen See unter keinen Umständen abschließend verhandelt werden kann. Eine fünfte Verhandlungsrunde, die für den August 2022 anberaumt wird, kommt also vielen entgegen. (Alice Vadrot, 23.3.2022)