Dunkle Zeiten nicht nur für die Klima- und Polarforschung.

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Vom Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland ist nicht zuletzt auch die Klimawissenschaft stark betroffen. Viele Forschungseinrichtungen haben ihre Zusammenarbeit mit russischen Universitäten und Institutionen bereits auf Eis gelegt, nun muss auch das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) seine Kooperationsprojekte unterbrechen. Der Boykott trifft die vom AWI betriebenen Forschungen hart, vor allem bei den Langzeitprojekten. "Wir müssen leider die Beobachtungsreihen aussetzen", sagte AWI-Direktorin Antje Boetius. Klima- und Umweltdaten seien kritisch für die gesamte Menschheit, für sie sei eine internationale Zusammenarbeit wichtig.

Im Permafrost in Sibirien wollen die Forschenden durch Langzeitmessungen herausfinden, wie schnell der Boden auftaut. "Dort müssten jetzt eigentlich Geräte ausgetauscht werden. Das ist gestoppt." Boetius selbst wollte in einigen Wochen nach Nowosibirsk reisen, auch das ist abgesagt. Dabei sei gerade die sibirische Arktis mit ihren Hitzewellen im Sommer die Region, wo hingeschaut werden müsste, so die Forscherin.

Kein Verbot des gemeinsamen Denkens

Doch nicht alle Projekte wurden gestrichen: Im Austausch mit dem deutschen Forschungsministerium und dem Auswärtigen Amt seien Regeln zur weiteren Zusammenarbeit mit der russischen Seite getroffen worden, sagte Boetius. Entlang dieser Regelungen dürften einzelne Projekte fortgesetzt werden. Auch Publikationen unter russischer Beteiligung können veröffentlicht werden.

"Ein Verbot des gemeinsamen Denkens auf Basis einer nationalen Zugehörigkeit kennt die Wissenschaft nicht", betonte Boetius. "Der Boykott richtet sich gegen das Regime und seine Institutionen, nicht gegen die Zivilgesellschaft und damit auch nicht gegen russische Forschende."

Zu einigen russischen Kolleginnen und Kollegen bestehe zudem der Kontakt seit Jahrzehnten, auf gemeinsamen Expeditionen seien auch Freundschaften entstanden. Allerdings werde unter Wissenschaftern auch diskutiert, ob nicht eine klare Haltung von russischen Forschenden eingefordert werden sollte. "Ich bin da vorsichtig, auch wegen unserer Geschichte", stellt Boetius klar. "Wo Menschen erhebliche Repressalien drohen, wenn sie sich gegen ihre Regierung stellen, ist es schwierig, von Einzelnen zu verlangen, sich zu positionieren."

Auf der Erde und im All

Nicht allein in der Polar- und Klimaforschung war Russland bisher ein wichtiger Partner, auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen und vor allem in der Raumfahrt sorgen Krieg und Sanktionen für Verunsicherung und Stillstand. Während die europäische Raumfahrtorganisation Esa das gemeinsame Marsprojekt Exomars mit Roskosmos offiziell gestoppt hat, will sie auf der Internationalen Raumstation ISS weiter zusammenarbeiten. Die Situation sei stabil und sicher, ein Ende der Kooperation sei nicht wünschenswert und auch nicht ohne große Probleme machbar, sagte zuletzt Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher. Auch die wissenschaftliche Arbeit werde derzeit fortgesetzt.

Ein anderes Forschungsprojekt, das Natur und Raumfahrt miteinander verbindet, musste allerdings unterbrochen werden: Das deutsch-russische Forschungsprojekt "Icarus" zur Tierbeobachtung aus dem All erhält keine Daten von der Raumstation ISS mehr. Sie gehe auch nicht davon aus, dass es künftig noch einmal Daten bekommen werde, sagte Uschi Müller, Projektkoordinatorin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz.

Wechselseitige Beziehungspause

Die Datenübertragung von der ISS zu den Konstanzer Forschern wurde demnach bereits Anfang März gekappt. Am 3. März hatte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine laufende Kooperationen mit Russland für beendet erklärt. Die russische Seite kündigte die Zusammenarbeit mit dem DLR daraufhin ebenfalls auf.

Das Projekt "Icarus" stehe deshalb aber nicht vor dem kompletten Aus, sagte Müller. Es würden Konzepte entwickelt, wie etwa ein deutscher Kleinsatellit die Daten der Tiere empfangen könnte. Bis eine neue Lösung gefunden ist, wollen die Forscher einen Teil der Daten händisch auslesen – etwa, wenn Vögel zu ihrem Nest zurückkehren.

Für "Icarus" (International Cooperation for Animal Research Using Space) wurden tausende Tiere mit kleinsten Sendern versehen, die ihre Daten bei deren Überflug an die ISS schicken. Damit untersuchen die Forscher etwa das Zugverhalten von Vögeln. Zu den untersuchten Arten zählten Kuckucke und Küstenseeschwalben. (red, APA, 22.3.2021)