Bezeichnet sich gern großspurig und selbstironisch als "die gefährlichste Frau der Welt": Selma Selman nimmt ihre Herkunft aus der Roma-Community zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit.

Foto: Almin Zrno

Die gefährlichste Frau der Welt trägt Lederkluft und dunkle Sonnenbrillen, sie schwingt die Axt mit klassenkämpferischer Geste: Nieder mit der Mercedes Matrix, der Benz ist nur so gut wie seine Einzelteile. Was hier als coole Kunst-Performance inszeniert wird, spiegelt eigentlich ein hartes Alltagsgeschäft. Selma Selman ist in einer Roma-Community in Bosnien-Herzegowina aufgewachsen, ihre Familie lebt vom Sammeln und Recyceln von Altmetallen. Die Angehörigen der Roma-Minderheit sind in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens stark von Ausgrenzung und Armut betroffen, informelle Ökonomien stellen für sie oftmals die einzige Lebensgrundlage dar.

Wenn Selman, Jahrgang 1991, festhält, ihre Familie verwandle Metallabfall in eine "wertvolle Ressource des Überlebens", dann deutet sich darin ein zentrales Anliegen ihrer Performances an: Es geht um die Veränderung des Blicks. Neben Autos oder Waschmaschinen werden auch die Logiken der Wertproduktion zertrümmert. Die Künstlerin inszeniert sich dabei als toughe Hau-drauf-Braut, spielt munter mit Klischees und treibt zugleich die eigene Strategie ironisch auf die Spitze. Diese Strategie heißt Selbstermächtigung und Selmans aktuelle Schau im Kunstraum Innsbruck folgerichtig The Most Dangerous Woman in the World.

"Don’t Be Like Me"

Selman nimmt ihre Herkunft zum Ausgangspunkt, um Diskriminierung, Klassenrassismus, aber auch die patriarchalen Strukturen innerhalb der eigenen Community kritisch ins Visier zu nehmen. Wenn Sie sich Seite an Seite mit ihrer Mutter porträtiert, geht es um deren jahrzehntelange Staatenlosigkeit, um arrangierte Ehen und um weibliche Selbstbestimmung.

Don’t Be Like Me ist eines der wenigen Bilder auf Leinwand, meistens dienen der Künstlerin Altmetalle als Malgrund. Auf einem Waschmaschinengehäuse schreibt sie sich neben Leonardo Da Vinci und Nikola Tesla in den Kanon von Kunst und Wissen ein, der ihr systematisch vorenthalten wurde. Oder sie malt We are Intellectuals auf ein altes Autodach. Unter anderem mit dieser Arbeit wird Selman ab Mitte Juni auch bei der Documenta in Kassel vertreten sein.

Lyrik mit Roboterherz

All das wirkt unverhohlen angriffslustig und direkt, die Künstlerin beherrscht aber auch die Kunst der poetischen Zwischentöne. Das zeigt sich besonders schön in ihren Letters to Omer, der Adressat dieser mit systemkritischen Fragen versetzten Liebeslyrik ist ein fiktiver Charakter mit Roboterherz.

Selman selbst versteht sich auch als Aktivistin, in ihrem Heimatdorf hat sie mit Get The Hack To School eine Organisation gegründet, die jungen Romnja die Schulbildung ermöglicht. Zu Hause wird sie deshalb "Tito" genannt. Die Künstlerin quittiert auch das mit Ironie. Und pinselt "Ich will nicht Tito werden, ich will nach L.A." auf eines ihrer Metallbilder. (Ivona Jelcic, 23.3.2022)