Die künstliche Intelligenz Watson von IBM gibt Antworten auf an sie gestellte Fragen. Das Programm kann auch in Roboter integriert werden.

Foto: APA / AFP / Lluis Gene

Als Kurt Drexler noch Berater bei den IT-Konzernen IBM und SAP war, machte er eine Erfahrung: Die Welt der digitalen Transformation interessiert zwar alle, "aber beraten haben wir nur die Großen". Mit Konzernen und Großbetrieben verständigte man sich im Expertensprech über die nächsten Schritte, optimierte "business cases" mit "cloud computing" oder "two-sided platforms" und setzte "advanced VR projects" oder social media projects" für die "customer experience" auf.

"Was wir nicht taten, war Kleinunternehmen zu beraten", sagt Drexler. "Das hatte so gut wie niemand am Radar." Ein Manko. Denn gerade Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) oder kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) hätten in der digitalen Transformation Beratung und Coaching oft bitter nötig.

Als Drexler das Studium Digital Business an der Fachhochschule der Wiener Wirtschaftskammer aufnahm, fand er seine Berufserfahrung in vielen Studien bestätigt. "Kleinunternehmer einen in Bezug auf digitale Transformation drei Dinge: Sie haben dafür meist keine Zeit, kein Geld und keinen Plan."

Lücke schließen

An der FH Wien der WKW waren sich Leitung, Lehrende und Studierende rasch einig, dass diese Lücke geschlossen werden sollte. Ein Projekt später, das auf Anhieb von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördert wurde, hatte Drexler als Projektleiter mit seinen Kolleginnen und Kollegen "Heinrich" geschaffen: ein Expertensystem, das vom Ansatz her wohl "Watson" von IBM ähnelt.

Heinrich ist zwar noch kleiner, übersichtlicher und prototypenhafter als der auf medizinische Diagnosen spezialisierte Watson. Doch in Bezug auf "digitale Transformation" hat Heinrich schon die Fähigkeiten eines virtuellen Konsulenten: Er kann nach ausführlicher Anamnese jedem Kleinunternehmer bereits eine Diagnose darüber geben, wo er in der Digitalisierung seines Geschäftes steht, und ihm auf die Sprünge helfen, um nächste Schritte umzusetzen.

Maßgeschneiderte Empfehlungen

"Wir haben dafür einen Fragebogen entwickelt, der im Hintergrund nach einem eigens entwickelten Algorithmus ausgewertet wird", sagt Drexler. "Daraus leiten sich dann maßgeschneiderte Empfehlungen ab."

Heinrichs Expertenwissen wurde dabei genau auf die Bedürfnisse und Erwartungen von Kleinunternehmern abgestimmt. Dafür setzte sich das Projektteam zu Beginn mit Betreibern von Yoga-Studios und Fitnesscentern auseinander, aber auch mit Fleischhauern, IT-Beratern oder Lokalbesitzern.

Die Experteninterviews ergaben dann, wo der Schuh am meisten drückt. Daraus wurden die ersten 40 Themenbereiche herausdestilliert, die nun jedem EPU und KMU in einem "Wiki" als eine Art Werkzeugkoffer für die digitale Transformation zur Verfügung stehen. Was Heinrich dabei auszeichnet: Er spricht kein Expertensprech. "Wir haben versucht, Ratschläge und Empfehlungen so allgemeinverständlich wie nur möglich zu halten", sagt Drexler.

Breite Themenpalette

Heinrichs Themenpalette ist dabei groß. Er erklärt etwa, wie man IT-Kosten berechnet oder Open-Source-Produkte nutzt, Blogs zur Werbung einsetzt oder Anbieter für bargeldloses Zahlen auswählt. Erklärt wird, wie die Digitalisierung des Controllings oder der Warenwirtschaft funktionieren kann, damit man auch als EPU ohne viel Aufwand seine Budgetzahlen oder den Produktlagerstand auf Knopfdruck abrufen kann.

Dazu gibt Heinrich Anregungen für die Erstellung von Homepages, Online-Werbung oder E-Mail-Marketing – oder wie auch Kleinunternehmen Drohnen oder 3D-Apps einsetzen können, um Produkte und Dienstleistungen am Handy des Kunden virtuell erlebbar zu machen.

Die Themenpalette von Heinrich ist jedenfalls groß und soll noch größer werden. In Zukunft sollen auch Erfolgsstorys ihren Platz in Heinrichs Methodenkoffer finden.

Projektziel, so gibt sich Drexler ehrgeizig, wäre, aus Heinrich ein Spin-off-Unternehmen der FH Wien zu machen, mit dem EPUs und KMUs individuell beraten werden können – von der strategischen Positionierung eines angepassten Geschäftsmodells bis hin zur Entwicklung von digitalen Roadmaps. Ob daraus was wird, wird sich weisen. Drexler: "Man muss davon auch leben können." (Norbert Regitnig-Tillian, 29.3.2022)