Um nicht weiter den russischen Krieg zu finanzieren, müsse der Westen auf russische Öl- und Gasimporte komplett verzichten.

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Welche Sanktionen braucht es, damit Russland im Krieg gegen die Ukraine einlenkt? Eine drastische Antwort verteidigte der Militärexperte Gustav Gressel am Dienstag in der "ZiB 2": Er fordert einen vollkommenen Stopp der russischen Gas- und Ölimporte in den Westen. "Wenn ich Russland möglichst früh in einen Ermattungsfrieden zwingen will, muss ich nicht nur die militärischen Kosten in der Ukraine hochschrauben, sondern vor allen Dingen die wirtschaftlichen Kosten in Russland schnell und sehr stark hochtreiben", sagte der Politikwissenschafter vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin.

Die russische Kriegsführung in dieser Form gehe nämlich nicht ewig. Ein Krieg in dieser Intensität sei "kein Dauerzustand wie das Verhandeln eines iranischen Atomwaffenprogramms". Deshalb sei es bei den Sanktionen derzeit so: "desto härter, desto schneller, desto besser, desto höher die Wahrscheinlichkeit, unmittelbare Wirkung zu erzeugen". Über deren Nachhaltigkeit müsse man erst in zweiter Linie verhandeln. Nur so schaffe man einen "kompletten finanziellen Absturz" Russlands, eine "Hyperinflation" und "leere Kriegskassen", die auch die Bevölkerung stärker am Krieg zweifeln lassen würde.

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Bis Ende Sommer oder Herbst sei ein solches Vorgehen machbar und bis dahin könne auch ein "Erschöpfungsfriede" erreicht werden, sagte Gressel. Falls nicht, müsse man dann seine Strategie ändern.

"Wirkliche Offensive" Russlands im April

Außerdem analysierte Gressel die derzeitige Lage im Krieg: Derzeit sei Russland im Krieg gegen die Ukraine in einer "operativen Pause", es finde aber nicht "der große Wendepunkt" statt. Eine solche Pause sei notwendig nachdem man sich mit einem Angriff "überdehnt" habe oder hohe Verluste einbüßen musste – etwa für Nachschublieferungen. Mitte oder Ende April könne es zu einer "wirklichen Offensive" Russlands kommen, nachdem neue Truppen aus Russland angekommen sein könnten.

Eine Einnahme der ukrainischen Hauptstadt Kiew hält Gressel für schwierig. Auch durch die geografische Lage würde eine solche Aktion "viel mehr Kräfte verschlingen". Er vergleicht ein solches Vorhaben mit der Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im zweiten Weltkrieg – "Das hat ja auch lange gedauert".

Putins Atomwaffendrohungen: "Psychologisches Spiel"

Die Drohungen Putins mit einem Einsatz von Nuklearwaffen sei eher als "psychologisches Spiel mit unseren Ängsten" zu werten, sagte Gressel. Es sei unwahrscheinlich, dass die 30 Nato-Staaten Russland angreifen – also eine existenzielle Bedrohung aus russischer Sicht drohe. Der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow hatte am Dienstag angegeben, dass Russland Atomwaffen nur dann einsetzen würde, wenn es seine Existenz gefährdet sieht.

Die Debatte mache aber die Öffentlichkeit im Westen nervös, sie sei die "letzte Waffe" im psychologischen Kampf um die öffentliche Meinung außerhalb Russlands. Wahrscheinlicher sei ein Einsatz chemischer Waffen. Dieser sei schwerer rückverfolgbar und würde Putin Zeit bringen. Bewusste Bombardements ziviler Ziele finden bereits statt, "um den Gegnern vor Augen zu führen, du kannst deine Bevölkerung nicht schützen". Das scheint aber nach hinten zu losgehen und viele Ukrainer sagen, "jetzt erst recht" und würden zu den Waffen greifen. (lalo, 22.3.2022)