Tina nahm Ende Februar ihr Schülervisum entgegen.

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Wien – Das Bundesverwaltungsgericht hat die 2021 erfolgte Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina nach Georgien als unverhältnismäßig eingestuft. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legt dagegen nun Rechtsmittel ein und geht in Revision, wie die APA erfuhr. Die Behörde stützt sich dabei unter anderem auf eine Einschätzung des Europarechtlers Walter Obexer. Er sieht die Gefahr, dass mit entsprechenden Urteilen ein Bleiberecht durch rechtswidriges Verhalten erzwungen werden könne.

Rückblick

Das georgische Mädchen war zwölfjährig mit seiner jüngeren Schwester und der Mutter nach diversen ablehnenden Bescheiden im Jänner 2021 außer Landes gebracht worden. Der Familie war davor medial sowie seitens der Opposition und NGOs einiges an Unterstützung zuteilgeworden. Auch Mitschüler ihres Gymnasiums im ersten Wiener Gemeindebezirk machten sich lautstark für die Georgierinnen stark, konnten die Abschiebung aber trotz einer Sitzblockade nicht verhindern.

Mittlerweile ist Tina mittels eines Schülervisums wieder in Österreich. Ihre Schwester und ihre Mutter leben dagegen weiter in ihrem Herkunftsland. Hoffnung für die Familie keimt nun auf, weil das Bundesverwaltungsgericht einer Beschwerde stattgegeben hat, die sich zwar nicht auf die Asylbescheide, aber auf die Abschiebung bezog.

BVwG-Urteil

Das BVwG verweist in seinem Urteil darauf, dass die in Wien geborene Tina bis zu ihrer Abschiebung mehr als zehn Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht und somit "ihre grundsätzliche Sozialisierung" hier erfahren habe. Es sei daher von einem "sehr ausgeprägten Bezug" zu Österreich auszugehen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Abschiebung auch nicht mehr in einem "anpassungsfähigen Alter" befunden. Vielmehr sei von einer "bereits starken Verwurzelung" in Österreich auszugehen und davon, dass nur ein geringer Bezug zu Georgien bestehe. Der Vollzug der Abschiebung erwies sich für das BVwG ohne erneute Abwägung des Kindeswohls als "unverhältnismäßig".

Revision

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sieht das anders, betont die mehrfache Prüfung des Kindeswohls im Zuge des Verfahrens und bezieht sich auch auf einen Rat Obwexers: "Eine solche Rechtsprechung würde für Asylwerber mit Kindern die Möglichkeit schaffen, durch rechtswidriges Verhalten ein Bleiberecht in Österreich zu erzwingen." Tatsächlich gab es alleine zwischen der letzten rechtskräftigen (negativen) Entscheidung im September 2019 und der Außerlandesbringung vier gescheiterte Versuche, weil sich die Familie entzog.

Obexer schließt daraus, dass Asylwerber mit Kindern sich gemäß dem Spruch des Gerichts in Österreich nur so lange aufhalten müssten, bis ein gut integriertes Kind das Alter von zwölf Jahren erreicht hat: "Diese Vorgabe resultiert jedoch weder aus dem Unionsrecht noch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention."

Die vom Bundesverwaltungsgericht abgeleiteten Regeln, wonach Kinder bis zu zwölf Jahren grundsätzlich anpassungsfähig seien, danach hingegen nicht mehr, seien nicht überzeugend, findet Obwexer: Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg sei stets eine Einzelfallbewertung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Falles vorzunehmen.

Klar sei, dass ein rechtswidriges Verhalten eines Elternteils einem minderjährigen Kind nicht vorgeworfen werden dürfe. Sehr wohl sei aber dieses Verhalten in die Gesamtabwägung der Interessen einzubeziehen und könne negative Folgen für das Kind nach sich ziehen, betont der Europarechtler. Das entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. An diesen geht nun auch die Revision des Bundesamts. (APA, red, 23.3.2022)