Im Gastblog berichten Lehrkräfte, wie sie mit dem Thema Krieg im Unterricht umgehen.

Zwei Jahre lang haben wir mit unseren Schülerinnen und Schülern versucht die Pandemie zu thematisieren. Wir haben Kinder und Jugendliche erlebt, die nichts lieber wollten, als endlich wieder in der Schule sein zu können. Keine Coronatests, keine Masken, kein Distancelearning und keine Quarantäne. Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, aber wir haben uns damit arrangiert. Nichts wird so sein wie früher. Die Pandemie hat uns alle verändert. Unsere Sehnsucht nach Ruhe ist groß.

Und jetzt herrscht dieser verdammte, so unnötige Krieg. Wie spricht man mit Kindern und Jugendlichen über den Krieg? Wie geht man dieses Thema an, im Bewusstsein, dass es in vielen Klassen Schülerinnen und Schüler gibt, die im Unterschied zu uns wissen, wie sich Krieg anfühlt? Drei Lehrkräfte haben ihre Erfahrungen und ihre Zugänge zu diesem heiklem Thema aufgeschrieben. Tausend Dank dafür!

Wie wird der Krieg in der Schule thematisiert?
Foto: APA/AFP/INA FASSBENDER

Wie beeinflusst das Thema Ukraine derzeit den Unterricht?

Lorena*: Meine Schülerinnen und Schüler hängen fast ständig in den sozialen Medien, vor allem auf TikTok, ab und werden somit täglich mit Bildern aus dem Kriegsgebiet konfrontiert. Das löst Sorgen und Ängste aus, die wir in den Unterrichtsstunden thematisieren. Auch Begriffe wie "Atomkrieg" oder "Dritter Weltkrieg" kommen häufig vor.

Lotta*: Ich stelle mir folgende Frage ganz oft: Ist der Stoff, den ich gerade unterrichten sollte, wirklich wichtiger, als das Ukraine-Thema zu besprechen? Ich komme mir etwas albern vor, eine Stunde über Musicals zu machen, wenn wir eigentlich viel wichtigere Fragen diskutieren könnten. Dazu kommt, dass es auch mir scherfällt mich auf das Unterrichten zu konzentrieren. Die aktuellen Nachrichten lese und höre ich schon beim Frühstück. Es lässt mich nicht kalt, Emotionen kochen hoch. Dann stehe ich in der Klasse und muss meine Schülerinnen und Schüler durch den Tag führen, schließlich bin ich Lehrerin und damit so etwas wie eine Autoritätsperson. In den nächsten Tagen soll ein aus der Ukraine geflüchtetes Mädchen zu uns in die zweite Klasse kommen. Die Schülerinnen und Schüler habe ich darauf vorbereitet. Jetzt hoffe ich auf ihre Empathie und auch auf ihr Fingerspitzengefühl. Ich bin mir sicher, dass das Mädchen nicht die Einzige sein wird, die zu uns an die Schule kommen wird. Es werden mehr werden. Da bin ich mir sicher.

Anna*: Der Ukraine-Krieg ist allgegenwärtig. An dem Tag, als wir erfahren haben, dass Krieg in Europa herrscht, waren die Schülerinnen und Schüler wie gelähmt. In jedem Unterrichtsfach, sogar in den Pausen, sind die sie zu uns gekommen und haben gefragt, was das für sie bedeuten würde. Viele Eltern meiner Schülerinnen und Schüler und einige Kinder haben Kriege miterlebt. Durch die Bilder, die auf Social Media gleich zu Beginn kursiert sind, waren sie sehr verunsichert. Eine Schülerin hat mich gefragt, ob sie jetzt wieder flüchten müsse. Ein TikTok-Video, in dem behauptet wird, Putin würde den 10.Bezirk angreifen, geht viral.

Die Stimmung bei den Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften war in den ersten Tagen sehr bedrückt und wir haben viel darüber gesprochen. Da uns immer wieder aufgefallen ist, dass einige Schülerinnen und Schüler den Krieg verherrlichen beziehungsweise behaupten, dass dies gar kein Krieg wäre, haben wir bemerkt, dass wir unbedingt zum Thema Fake News Unterrichtseinheiten gestalten müssen. Das Projektthema stand schon seit September fest, jedoch haben wir den Projekttag auf eine Projektwoche ausgedehnt, um uns ausgiebig mit dem Thema Fake News zu beschäftigen, um den Schülerinnen und Schüler Werkzeuge mitgeben zu können, die sie beim "Entlarven" dieser unterstützen.

Wie wird der Krieg mit den Schülerinnen und Schülern behandelt?

Lorena*: Ich versuche einerseits ihre Ängste und Sorgen wahrzunehmen, allerdings auch möglichst sachlich zu argumentieren, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Leider gibt es eine Klasse, bei der diese Diskussion besonders schwierig ist. Es gibt zwei Schüler, die Putin und seine Taten verherrlichen. Da fällt es mir besonders schwer, sachlich zu bleiben. In diesem Fall biete ich den Schülerinnen und Schülern Quellen an, wo sie sich - meiner Meinung nach - möglichst objektiv informieren können.

Lotta*: Man geht eine Gratwanderung. Ich möchte den Kinder die Ernsthaftigkeit der Lage näherbringen. Auch damit sie verstehen, warum die Frage zu wem man hält, völlig unpassend ist. Ich rede mit ihnen sehr ehrlich über fast alles, möchte ihnen aber nicht Angst machen. Pressevideos von Explosionen und anderen Horrorszenarien zeige ich den Schülerinnen und Schülern bewusst nicht. Mit Hilfe von Landkarten versuche ich die Situation zu verbildlichen. Wo ist die Ukraine? Wie groß ist sie? Wenn Schülerinnen und Schüler mir Fragen stellen, dann antworte ich ehrlich und so informiert wie möglich.

Aber auch ich habe Fragen an die Kinder. In den ersten paar Tagen des Krieges hat dieser Austausch die gesamte Unterrichtsstunde in Anspruch genommen. Mir war es ein großes Anliegen, dass die Schülerinnen und Schüler auch über die geschichtlichen und geografischen Hintergründe viel Information bekommen. Und wir haben über Österreichs Position gesprochen. Was die Neutralität in diesem Zusammenhang bedeutet und wie es mit den militärischen Kapazitäten aussieht.

Anna*: In der Projektwoche ging es um grafische Manipulationen, dem Analysieren von Quelle und Kontext, statistische Kennwerte und journalistisches Arbeiten. Wir haben einige Videos, die wir vorbereitet hatten, analysiert. Die Schülerinnen und Schüler konnten in dieser Woche auch Videos, die sie in ihren Social-Media-Kanälen gesehen haben, mit der Klasse teilen und wir haben sie gemeinsam aufgearbeitet. Gleichzeitig haben wir versucht, glaubwürdige Berichte zu lesen und haben mit den Schülerinnen und Schüler darüber diskutiert.

Das Thema ist für alle sehr belastend. Als Lehrerin versuche ich, das Thema zu behandeln, aber nicht den kompletten Unterricht und jede Pause damit zu verbringen.

Bei einigen Schülerinnen und Schülern hatte ich das Gefühl, dass diese retraumatisiert wurden. Panikattacken häufen sich wieder. Wir bemühen uns dennoch um ein großes Maß an Offenheit, wollen aber trotzdem auch Raum und Zeit für andere Themen schaffen, die den Schülerinnen und Schülern ein Anliegen sind.

Eine Begebenheit, die verdeutlicht, wie komplex die gesamte Situation ist, aus Annas* Klasse: Eine ukrainische Schülerin ist zu uns in die Schule gekommen. An dem Tag, als sie ankam, war meine Klasse ganz aufgeregt. In der großen Pause sind sie zu ihr gestürmt und haben sie ausgefragt: "Wie alt bist du? Wo hast du gewohnt? Wie geht es dir? Wie geht es deiner Familie? Erzähl uns, wie ist es bei dir zuhause?"

Ich habe das Verhalten mitbekommen und meine Schülerinnen und Schüler sofort gebeten in die Klasse zu kommen. Dort angekommen, habe ich lang und breit erklärt, warum man das nicht tun sollte. Dass ich es großartig fände, dass sie so viel Interesse zeigen, aber dass dieses Verhalten auch bei dem Mädchen etwas auslösen könnte und vielleicht möchte sie das gar nicht. Als ich dann gefragt habe, ob sie das nachvollziehen können und wie sie sich fühlen, antwortete einer meiner Schüler, der selbst geflüchtet ist: "Ich habe das gemacht, weil ich mir damals gewünscht hätte, dass andere Kinder zu mir kommen und mich ausfragen. Ich wollte ihr zeigen, dass wir da sind und dass wir uns interessieren für sie. Bei mir hat das damals niemand gemacht und das fand ich blöd." (Schulgschichtn, 28.3.2022)

Lorena (29) ist seit zwei Jahren Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lotta (28) ist seit fünf Jahren Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Anna (25) ist seit zwei Jahren Lehrerin an einer MIttelschule in Wien.

*Namen geändert (Name der Redaktion bekannt)

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