Soll vom niederländischen Büchertisch verschwinden: Rosemary Sullivans Buch über Anne Frank steht anhaltend in der Kritik.

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Ein umstrittenes Buch über den angeblichen Verräter des jüdischen Mädchens Anne Frank in Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs ist in den Niederlanden wieder aus dem Handel genommen worden. "Das Buch ist ab sofort nicht mehr verfügbar", erklärte dazu der Verlag Ambo Anthos. Er verwies auf einen am Vortag veröffentlichten Expertenbericht, der die dem Buch zugrunde liegende Untersuchung scharf kritisiert.

Das Buch und die Untersuchung hatten im Jänner in den Niederlanden und darüber hinaus für großes Aufsehen gesorgt. Demnach sei das Versteck der durch ihr Tagebuch weltbekannt gewordenen Anne Frank möglicherweise von einem jüdischen Notar an die Nationalsozialisten verraten worden, der durch seine Tat die eigene Familie zu retten hoffte.

Die kanadische Autorin Rosemary Sullivan dokumentierte in dem Buch "Der Verrat an Anne Frank" die Ermittlungen eines Teams rund um einen ehemaligen FBI-Agenten. Laut dem am Dienstag vorgelegten Expertenbericht basierte die Untersuchung jedoch lediglich auf Spekulationen und womöglich irrigen Interpretationen. Niederländische Historiker und Vertreter der jüdischen Gemeinden des Landes hatten die Ergebnisse der Untersuchung umgehend als "spekulativ" und "sensationalistisch" zurückgewiesen.

Verschobene Auflagen

Das Verlagshaus Ambo Anthos, welches das Buch in den Niederlanden verlegt, hatte sich bereits dafür entschuldigt, keine kritischere Haltung eingenommen zu haben, und die Veröffentlichung weiterer Auflagen verschoben. "Wir möchten uns noch einmal aufrichtig bei denjenigen entschuldigen, die sich durch den Inhalt des Buches beleidigt gefühlt haben", erklärte das Unternehmen nun. Buchhändler seien dazu aufgerufen, vorrätige Exemplare zurückzuschicken. Der US-Verlag Harper Collins hat den internationalen Verkauf des Buchs laut US-Medien bisher noch nicht gestoppt.

Die deutsche Familie Frank war vor den Nazis in die Niederlande geflohen. Ab Juli 1942 lebten die Franks zusammen mit anderen Untergetauchten in einem Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht, bis sie 1944 entdeckt und deportiert wurden. Anne und ihre Schwester Margot starben 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen, ihre Mutter Edith starb in Auschwitz. Nur Annes Vater Otto überlebte und veröffentlichte nach dem Krieg das Tagebuch seiner Tochter.

Auf Deutsch sollte das Buch eigentlich diese Woche erscheinen. Im Februar hatte Harper Collins aber angekündigt, man arbeite an einer "korrigierten, ergänzten und kommentierten deutschsprachigen Ausgabe". In einem Gespräch mit dem "Spiegel" vor einem Monat distanziert sich zudem der im Buch unter "Fachliche Mitarbeit/Durchsicht" angeführte Historiker Dieter Pohl, Professor für Zeitgeschichte an der Universität in Klagenfurt. Er habe dem Verlag nie zugesagt, die den Verrat betreffenden Teile des Buches zu begutachten, dafür sei er kein Experte. Er habe nur "Teile des Buches begutachtet, in denen es allgemein um die NS-Besatzung und historische Hintergründe ging". Eine Anfrage des STANDARD zum Erscheinen des Buches auf Deutsch blieb bisher unbeantwortet. Auf der Verlagswebsite ist der Titel nicht mehr auffindbar, bei Onlinehändlern nicht erhältlich. (APA, red, 23.3.2022)