Ergänzend zu unserer Reihe "Geradegerückt" werden wir nun auch nach vor rücken. In der Spin-off-Reihe "Vorgerückt" stellen wir vergessene, kaum gewürdigte und (noch) zu unbekannte, aber beeindruckende Lebensgeschichten vor, die deutliche Spuren hinterlassen haben.


Als im Jahr 1969 der Preis für den "Man of the year" – also den Mann des Jahres – in Computerwissenschaften zum ersten Mal von der Data Processing Management Association vergeben wurde, ging dieser an: eine Frau, die Informatikerin Grace Hopper. Nicht ungewöhnlich, waren es doch vor allem Frauen, die lange Zeit in diesem Bereich tätig waren. Und dennoch gehören Frauen wie Grace Hopper nicht zu den ersten Namen, die man in der Hall of Fame der Computerpioniere finden kann. Dabei gilt sie als Erfinderin der Programmiersprachen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Flotillenadmiralin Grace Hopper.

Den Preis als "Man of the Year" bekam Hopper also nicht von ungefähr, sie war eine der prägenden Persönlichkeiten der Computerwissenschaften jener Zeit. Geboren als Grace Murray 1906 in New York City, arbeitete sie zunächst als Lehrerin, bevor sie an der Universität von Yale ihren Abschluss in Mathematik und Physik machte. Im Zweiten Weltkrieg wollte Hopper unbedingt in die US-Navy eintreten. Mit 34 Jahren hielt man sie dort aber für zu alt und zu schmächtig für den Kampfeinsatz, deswegen blieb sie in der Reserve und landete in einem von der Marine finanzierten Programm an der Harvard-Universität. Dort arbeitete sie mit dem Mark 1 – dem ersten funktionierenden elektromechanischen Computer der USA, der auch als Automatic Sequence Controlled Calculator, kurz ASCC, bekannt ist.

Computing in Frauenhand

Zu jener Zeit war das "Computing", also das Rechnen und mit den ersten Computern auch das Coden, fest in Frauenhand. Der Krieg und der zunächst als langweilige, weil eintönige Aufgabe geltende Job führten zu dieser Entwicklung. Das wird sich in den 1980er-Jahren radikal verändern, als die Computerwissenschaft zu einer Männerdomäne wird. Doch ohne Frauen wie Grace Hopper und viele ihrer Kolleginnen würden wir heute wohl kaum so mit Computern arbeiten, wie wir es tun. Hopper wird ein Zitat zugeschrieben, das ihre ganze Karriere als Informatikerin besonders gut zusammenfasst: "Der gefährlichste Satz in jeder Sprache ist: Das haben wir immer schon so gemacht."

Ihre Faszination für Computer wird Hopper zeitlebens nicht verlieren. Der Mark 1 war für sie eine aufregende Maschine – die sie zerlegen und verstehen wollte. Hopper war die erst dritte Person, die für diesen Rechner Programme entwickelte – unter anderem Codes, mit denen die Marine im Zweiten Weltkrieg ballistische Berechnungen durchführen konnte. Auch an der Programmierung der Nachfolgemodelle Mark II und Mark III wird Hopper wesentlich beteiligt sein. Bis Ende der 1940er-Jahre blieb sie als Reservistin in Harvard, dann nahm sie einen Job bei der Eckert-Mauchly Computer Corporation an.

"Ich war die Erste"

Schon von Anfang an war Hopper davon überzeugt, dass Computer auch einer breiteren Masse zugänglich sein könnten, wenn sie benutzerfreundlicher und in der Programmierung einfacher werden. In ihrem neuen Job war sie an der Entwicklung des Univac I beteiligt, des ersten kommerziellen Computers, der in den USA hergestellt wurde. Hopper erfand dort den ersten Code in englischer Sprache. Bis dahin wurden binäre Codes verwendet, also eine lange Reihe von 1 und 0. In einem Interview im Jahr 1986 frage Late-Night-Talker David Letterman Grace Hopper, woher sie denn damals so viel über Computer wusste. Ihre Antwort: "Ich wusste nichts. Ich war die Erste."

Grace Murray Hopper vor dem Univac im Jahr 1960.
Foto: Smithsonian Institution

Hoppers Idee: Es braucht einen "Übersetzer", der menschliche Sprache in Computercode übertragen kann. Ihre Vorgesetzten ließen sie mit ihrer Idee abblitzen, doch Hopper bewies wie so oft in ihrer Karriere, dass sie sich erstens nicht einschüchtern ließ und zweitens recht behalten sollte. 1952 präsentierte sie unter dem Namen "Die Erziehung eines Computers" eine Arbeit zu dem ersten Compiler – also genau so einem Übersetzungsprogramm, das englischen Quelltext in eine computergerechte Maschinensprache umwandelte.

Die Geburtsstunde moderner Programmiersprachen

Es sollte der erste Schritt für Generationen ganz neuer Programmiersprachen werden – und damit für benutzerfreundlichere Computer. Für Hopper war eben früh klar, Computer sollten nicht nur für militärische Zwecke genutzt werden können, sondern auch für kommerzielle oder für kaufmännische. Für den Univac I entwickelte Hopper dann die erste Computersprache, 1955 wurde FLOW-MATIC vorgestellt. Diese konnte knapp 30 Befehle auf Englisch verstehen – wie "compare" oder "replace". Und nicht nur das – sie verstand auch einige Befehle auf Deutsch oder Französisch. Endgültig berühmt wurde Hopper mit der Programmiersprache COBOL (Common Business-Oriented Language), die für kaufmännische Datenverarbeitung eingesetzt werden konnte.

Amazing Grace

Hoppers Vermächtnis ist aber nicht nur das einer hervorragenden Informatikern – ihre Kollegen und Kolleginnen sollen sie "Amazing Grace", also "Großartige Grace", genannt haben. Auch wenn sie den Begriff nicht erfunden hat: Dass wir heute noch von einem "Bug" sprechen, wenn es um Fehler in der Software geht, verdanken wir ziemlich sicher auch Grace Hopper. Jedenfalls hat sie einen echten "Bug", also ein Insekt, in dem Fall eine Motte, aus dem Mark II gefischt, der Probleme verursacht hatte. Sie pickte die Motte mit Tixo in ihre Aufzeichnungen und schrieb dazu: "First actual case of bug being found." – "Erster Fall eines entdeckten Bugs."

Der legendäre Logbuch-Eintrag vom 9. September 1947 – mit eingeklebter toter Motte.
Foto: Naval Surface Warfare Center

Jahre nachdem sie aus der Navy ausgetreten war, berief man sie wieder in den aktiven Dienst – sie war damals 61 Jahre als. Der Grund: Es gab Computerprobleme, für die man "Amazing Grace" brauchte. Mit knapp 80 Jahren schickte die Navy ihre älteste amtierende Offizierin, die es bis zur Flotillenadmiralin geschafft hatte, in den Ruhestand. Kurz vor ihrem Tod 1992 erhielt sie als erste Frau die National Medal of Technology and Innovation. Insgesamt hat Grace Hopper in ihrer Karriere rund 90 Preise und Auszeichnungen erhalten, davon über 40 Ehrendoktorwürden. Und eben die Ehrung als "Man of the Year". (Daniela Rom, 1.4.2022)