Seit sie in Pension ist, gehe sie fast jeden Tag eine Stunde da hinaus in die Bucht, sagt die Purbäckerin. Sie sitzt auf einer Bank, den Blick stur hinaus auf den See, dort rüber, zu den Vögeln. Es ist so wenig Wasser im See, dass in der Bucht kleine Inseln aus dem Wasser ragen, wo man vergangenes Jahr den Baggeraushub von der Fahrrinne des Kanals für die Segler deponiert hat. Wenn einer der Vögel die Haxerln unter Wasser ausstreckt, ist der Bauch im Freien. "So wenig Wasser wie heuer war noch nie", sagt die Purbäckerin. "Nicht, dass ich mich erinnern könnt." Anfang des Jahres, bei starkem Westwind, war nicht nur die Purbacher Bucht, sondern fast das ganze Seeufer zwischen Mörbisch und Neusiedl ohne Wasser.

Jeden Tag, wenn es das Wetter erlaubt, spaziert sie in die Bucht. So wenig Wasser hat auch sie noch nie erlebt.
Foto: Guido Gluschitsch

"Mein Onkel ist Fischer", erzählt ein junger Mann von der Seeverwaltung in Mörbisch, "und schon lange nicht mehr hinausgefahren." Mit dem Feuerwehrboot ginge es noch. Aber die Segler würden heuer ein Problem bekommen. Ein halber Meter Wasser fehle, da kämen manche Boote halt nicht mehr aus dem Hafen. Sogar die Radlfähre fahre nur mehr mit halb so viel Gästen wie bisher, erzählt eine Frau, eben weil so wenig Wasser im See sei. "Wir fahren. Wir sind immer gefahren, und wir werden auch heuer fahren", sagt der Juniorchef der Drescher Line in Mörbisch.

Perspektivenwechsel

Er hat keine rechte Freud, wenn man ihn auf den Pegel des Sees anredet. "Verschreck mir nicht die Kundschaft", mahnt er. "Wenn du schreibst, dass wir nicht mehr normal fahren, dann kommen die Gäst nicht mehr." Nach zwei Jahren Pandemie brauche er nicht noch eine schlechte Saison, nur weil die Zeitungsleut übertreiben würden. Dass die Fähren nicht immer voll seien, habe andere Gründe als den Pegelstand. Gerade erst sei der Winter zu Ende, es war kalt und windig, da sind halt weniger Gäste. Und was noch dazukomme: "Zwei Tag Regen im April, und der Pegel ist wieder in Ordnung."

Jetzt muss man dann am Neusiedler See schon in die Boote runtersteigen. Rund ein halber Meter Wasser fehlt, sagt man am See. Wenn nicht bald Regen kommt, wird sich auch das Runtersteigen für Yachtbesitzer gar nicht mehr lohnen, weil ihre Boote dann ohnedies nicht mehr durch das zu seichte Wasser fahren können.
Foto: Guido Gluschitsch

"Das Jahr 2022 verläuft bisher am Neusiedler See viel zu trocken – statt der üblichen 80 Liter pro Quadratmeter sind bis heute nur 47 Liter gefallen", erklärt Marcus Wadsak, Leiter der ORF-Wetterredaktion, Meteorologe, Klima- und Neusiedler-See-Experte. Die zu trockene Zeit dauere jetzt genau ein Jahr an. "Seit März 2021 regnet es zu wenig – vergangenes Jahr sind nur 545 statt der üblichen 666 Liter gefallen. Die letzte richtig nasse Phase war hier im Oktober 2020", sagt Wadsak und findet eine weitere Besonderheit.

1,5 Mio. Euro wird die Errichtung des Kanals für die Wasserzuleitung auf österreichischer Seite kosten.


Die Temperatur liegt heuer bisher um 2,6 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel – das ist irre viel", erklärt er. Die vergangenen zehn Jahre waren zu warm. "Das letzte unterdurchschnittliche haben wir 2010 erlebt – mit einer Abweichung von –0,3 Grad Celsius." Es seien die hohen Temperaturen, die Hitzewellen im Sommer, die zusammen mit der Trockenheit zu einem historischen Tiefstand des Neusiedler Sees geführt haben, sagt der Meteorologe. "So seicht wie derzeit war er um diese Jahreszeit noch nie seit Messbeginn – und wir messen seit 1965." Prognosen darüber, wie sich die Situation entwickeln wird, seien auch für ihn schwierig.

Wie eine Brückenlandschaft wirken die Stege in Rust.
Foto: Guido Gluschitsch

"Wir hatten jetzt drei trockene Jahre mit niedrigem Pegel – das ist für mich derzeit noch kein signifikanter Trend", sagt Wadsak. Man müsse noch weiter beobachten, messen. "Es ist richtig, dass es in der Natur eines Steppensees liegt, gelegentlich auszutrocknen. Mir persönlich ist nur ein solches Ereignis bekannt – es dauerte von 1864 bis 1870 –, damals war allerdings nicht nur das Wetter allein schuld, sondern auch das Eingreifen des Menschen an den Zu- und Abflüssen. Das könnte ein guter Hinweise darauf sein, dass wir uns mit Eingriffen doch besser zurückhalten sollten." Und da hakt Christian Sailer ein, der sagt: "Man kann den See nicht mehr sich selbst überlassen." Das würden Studien belegen.

Zwegen der Sicherheit, müsst man die Rollläden nicht mehr runter ziehen.
Foto: Guido Gluschitsch

Sailer ist Leiter des Hauptreferats Wasserwirtschaft im Land Burgenland – und als solcher für den Neusiedler See zuständig; also in Landesbelangen. Denn der See selbst ist ja zum größten Teil im Besitz der Familie Esterházy. Und die wollte vor 1900 statt eines Sees lieber Ackerland und errichtete den Einser-Kanal, mit dem das Seewasser bis zur Donau abgeleitet werden kann. Durch die Entwässerung über den Kanal, die Grundwasserstandsregulierung, die Feldbrunnen und die Vorflutgräben, die den ganzen Seewinkel durchziehen, sind bis heute der See und die Salzlacken gefährdet.

Die Fähren in Mörbisch schauen aus, wie tiefergelegt.
Foto: Guido Gluschitsch

Mit mehren Maßnahmen möchte man nun den See erhalten – und zwar als Lebens- und Naturraum, wie Sailer betont, nicht um den Schiffsverkehr aufrechterhalten zu können. Durch die landeseigene Seemanagement GmbH soll im Oktober damit begonnen werden, den See auszubaggern. Sie wird auch für die Bewirtschaftung des Schilfes zuständig sein. Andernfalls bilden sich im Altschilfbereich Seen mit klarem Wasser, wie man das schon in Mörbisch sehe. Und dann ist da noch die künstliche Wasserzuleitung.

Donau-Wasser

"Aus der Moson-Donau in Ungarn könnten jedes Jahr 30 Millionen Kubikmeter Wasser in den See geleitet werden", sagt der Experte. "Das ist in etwa gleich viel, wie aus der Wulka zufließt." Noch hapert es an der Finanzierung auf ungarischer Seite, aber im April sollen weitere Gespräche stattfinden. "Das Projekt wird genau monitort", verspricht Sailer. So könnte der Wasserspiegel am See nachhaltig um zehn bis zwölf Zentimeter gehoben werden. Mehr wäre nicht gut, weil sonst nach Starkregenereignissen Seewasser über den Einser-Kanal abgeleitet werden müsste, wodurch die Salzkonzentration sinke.

Und noch einmal Mörbisch. Den Seefestspielen tut ein niedriger Wasserpegel keinen Abbruch.
Foto: Guido Gluschitsch

"Zehn Zentimeter sind nicht viel", sagt ein Yachtbesitzer in Purbach. "Da werde ich mich wohl damit abfinden müssen, kein Boot mehr, sondern eine Immobilie direkt im Wasser zu haben." Trockener Humor also. (Guido Gluschitsch, 26.3.2022)