Foto: Riedler

Die Glühbirnen hängen nackt von der Decke. Verführerisch funkeln sie in bunten Farben, doch Stimmung kommt keine auf. Der Klub, in dem der Wiener Fotograf Reiner Riedler das Glühbirnenbild aufgenommen hat, ist gähnend leer.

Während andere Künstler und Künstlerinnen im ersten Lockdown Däumchen drehten, zog Riedler durch die Nachtlokale der Stadt und hielt die geschlossenen Eingangstüren, die herumliegenden Kabel oder die vertrocknenden Monstera-Pflanzen mit seiner Kamera fest. Aus Sehnsuchtsorten, die einst in den Club-Bildern eines Wolfgang Tillmans oder Hedi Slimanes noch von Begehren und Ekstase erzählten, sind Orte des Stillstands geworden. Riedlers in Buchform in der Fotohof-Edition erschienene Fotografien durchziehen dagegen eine tiefgreifende Leere und Tristesse.

Aus Riedlers Pandemiestrecke

In der von Westlicht ausgerichteten Werkschau zu Reiner Riedler sind die verwaisten Club-Bilder auf der Empore des Fotomuseums in der Westbahnstraße zu sehen. Als ob sie einen Kontrapunkt zur übrigen Ausstellung bilden würden. Tun sie auch, wenngleich sie von den gleichen Themen erzählen, die Riedler bereits seit den Anfängen seiner Karriere in den 1990ern beackert: vom Verlangen, in einen anderen Aggregatzustand oder vielleicht sogar in ein anderes Leben zu switchen, und der nicht immer vorteilhaften Figur, die Menschen dabei machen.

Huch, was macht Superman auf dem Roten Platz? Ein Foto von Reiner Riedler.
Foto: Riedler

This side of paradise heißt die Schau im Westlicht, genau so wie eine bisher unveröffentlichte Serie, mit der der Fotograf vor über 20 Jahren begann und die wohl noch lange zu keinem Abschluss kommen wird. In ihr betätigt sich der viele Jahre als Fotojournalist arbeitende Riedler als eine Art Elizabeth T. Spira der heimischen Fotografie: Da macht ein Nackter auf der Donauinsel einen Kopfstand oder zeigt ein Bodybuilder vor dem Wettkampf in der Lugner-City seine Muskeln. Selten werden die Porträtierten dabei vorgeführt, die Sympathien für das Streben nach der eigenen Gartenlaube ist dagegen deutlich spürbar.

Der gern als "Chronist der Sehnsüchte" apostrophierte Fotograf ist keiner, der es besser wüsste, und unterscheidet sich damit auch deutlich von jemandem wie der amerikanischen Fotografin Lisette Model, der es in ihren einflussreichen Bildern aus der New Yorker Upperclass seinerzeit weniger um ein Abbild als um eine Karikatur der von ihr Abgelichteten ging. Riedlers Sache sind nicht die Freizeitzerstreuungen der Schönen und Reichen, sondern der Alltagseskapismus von Hinz und Kunz. So machte er sich in der vielbeachteten Serie Fake Holidays auf in die Urlaubsparadiese alltäglicher Leute. Er entdeckte im chinesischen Shenzhen Brautpaare, die sich zwischen Cheops-Pyramide und Eiffelturm ablichten lassen, oder Menschen, die in einem Themenpark in Florida der täglichen Kreuzigung Christi beiwohnen.

In einer Hotelanlage im türkischen Antalya schwebt der Animateur als Superman über den Roten Platz, im deutschen Bottrop vergnügt man sich in einer Indoor-Skihalle. Als sei die Wahl der Motive dabei nicht pittoresk genug, sind die Bilder der Serie in leuchtend satten Farben gehalten. In den wunderbaren, vor knapp zwanzig Jahren entstandenen Bildern über russische Wanderzirkusse ergibt das einen merkwürdigen Kontrast zu der Tristesse der umliegenden Plattensiedlungen oder der abgestellten Wohnwägen.

Riedlers Zirkus-Serie aus 2014


Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zerfiel auch der russische Nationalzirkus. Als sich Riedler 2004 an die Spuren der übrig gebliebenen Kompagnien heftete, fing er nur mehr den matten Widerschein eines einstmals stolzen Gewerbes ein. Vom Überlebenskampf im Niedergang, dem Stolz im Verfall erzählen viele Bilder Riedlers.

Immer wieder machte sich der Fotograf auf in die Länder des ehemaligen Ostblocks, sei es am Anfang seiner Karriere in Form von Reportagereisen nach Albanien oder nach Bosnien, sei es zwischen 1999 und 2003 in mehreren Reisen in die Ukraine. Die Bilder der Krim, die Aufnahmen der Badenden in Charkiw oder jene der Bergwerke im Osten sieht man ob der jüngsten Ereignisse in einem ganz neuen Licht. Nach der Eröffnung der Ausstellung wurden sie übrigens versteigert und spielten mehr als 42.000 für die Ukrainehilfe der Caritas ein.
(Stephan Hilpold, 24.3.2022)