Queen Charlotte aus "Bridgerton" ist süchtig nach Gossip von Lady Whistledown. Das Publikum auch.


Foto: Netflix

Simone Ashley und Jonathan Bailey am Schuss.

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Hochwohlgeborene Leserschaft! Der Heiratsmarkt am Grosvenor Square ist seit Freitag wieder eröffnet, das große Turteln in der Netflix-Serie "Bridgerton" geht weiter. Wir erwarten: zwei oder mehr miteinander ringende und einander am Ende eng umschlingende Menschen, die ein nach Licht und Liebe hungerndes Publikum mit Kitsch, Klatsch und Körperkontakten beglücken. Ein Erfolgsmodell, das polarisiert. Fest steht nur: Man kann nicht nicht "Bridgerton" schauen. Oder doch?

Pro
von Doris Priesching

Als Bridgerton 2020 startete, war ich fassungslos. Frauen, deren alleiniger Zweck es ist, sich hübsch rauszuputzen, um am Heiratsmarkt Chancen zu haben? Männer, die als Herren der Schöpfung antanzen, geboren, Verantwortung zu übernehmen, für Hab und Gut und zuletzt für die hinter ihnen hertrippelnden Schnattergänse? Verrat am Feminismus! Ich schob die Begeisterung auf Weihnachten, den Lockdown, der Herzen und Hirne des Publikums weich gemacht haben musste. Meine feministische Welt war damals noch in Ordnung.

Zwei Jahre später bestimmt die Pandemie noch immer unser Leben. Jedes Mal, wenn ich dachte, jetzt haben wir es überstanden ("Omikron ist der Gamechanger." Haha), geschah das exakte Gegenteil. Nichts wurde besser. Winter, kalt, grau, eintönig, infektiös. Was für eine Mischung!

Und jetzt ist da wieder Bridgerton, die zweite Staffel. Ich habe alle Folgen gesehen und nehme alles zurück. Das ist: ein Kunstwerk. Diese Farben, die fantastischen Kostüme, die Wahnsinnsausstattung! Die Gärten! Die Bälle! Dazu spritzig-witzige Dialoge und amüsante Wendungen. Der diverse Cast! Der Sex! Hier stimmt alles, und ich kann ich mich nicht sattsehen. Und das Schönste, Pandemie hin oder her: Bridgerton hat seine Lektion gelernt und spielt in der zweiten Staffel beim Thema Geschlechtergerechtigkeit elegant mit. Ein Beispiel: Eloise Bridgerton – man kann nicht über Bridgerton schreiben, ohne Eloise zu erwähnen – geht mit Penelope ins Museum und lässt sich über Jean-François Lagrenées Badende Venus und Nymphen aus: "Like all of these paintings, it was done by a man, who sees women as nothing but decorative objects." In ihrem Zimmer hängt ein Porträt von Mary Wollstonecraft, Schriftstellerin, Frauenrechtlerin, Mutter von Mary Shelley. So lieb und so richtig!

Natürlich ist das kein feministisches Manifest, aber die Serie öffnet Räume für Diversität und Neuinterpretation von Geschichte und erreichte ein Millionenpublikum. Und am allerwichtigsten: Es gibt sie noch, die leichten Dinge, die man nicht ernst nehmen muss. Bridgerton hat davon viel zu bieten. Die Zeiten sind zu ernst, als dass wir nicht hin und wieder kindisch sein dürften.

Kontra
von Nana Siebert

Wenn Sie dem aufgeregten Geschnatter im Freundeskreis folgen, dann beschleicht Sie bei der Erwähnung von Bridgerton fast so was wie Fomo, die "fear of missing out" – also die Angst, etwas zu verpassen? Gemach! Ehe Sie ein Netflix-Abo abschließen und über acht neuen Folgen Bridgerton exakt 464 Minuten Ihrer Lebenszeit verschwenden, gibt es hier einen wertvollen Tipp: Googeln Sie das schriftstellerische Œuvre der amerikanischen Autorin Julia Quinn, Verfasserin der achtteiligen Bridgerton-Buchreihe. Wer sich die Umschläge von Werken wie Mein wildes, ungezähmtes Herz oder Wie verführt man einen Lord anschaut, hat die Ästhetik der Serie erfasst: Herz, Schmerz, Drama und ganz viel Romantik.

Auf dieser groschenromanigen Kitschspur wandeln eine Reihe von heiratsfähigen Frauen der britischen High Society durch die aufwendig-schrillen Kulissen von Luftschlössern, allen voran die liebliche Edwina Sharma (Charithra Chandran), die erst kürzlich von Bombay nach London gekommen ist. Das – natürlich naive – Geschöpf weckt das Interesse von Anthony, Vizegraf von Bridgerton (Jonathan Bailey), der eine "pflichtbewusste, halbwegs intelligente und erträgliche Frau mit gebärfähigen Hüften" sucht. Doch da wäre auch noch Edwinas ältere, schlagfertige Schwester Kate (Sex Education-Star Simone Ashley), die von dem arroganten Adligen zunächst rein gar nichts hält. Sie ahnen es? Tja. Sie liegen goldrichtig.

Genau das ist auch der Grund, warum Bridgerton trotz aller softpornösen Vibes (huch!), aufwendiger Ausstattung und löblicher Diversität beim Cast am Ende einfach nur furchtbar uninteressant bleibt: Jede Wendung ist erwartbar, es folgt trotz der gezwungen zeitgeistigen Inszenierung alles einem Grobschablonismus – ein Gegenwartsdiskurs in kalkuliert überzeichneter Kulisse. Es geht um weibliche Selbstbestimmung, wehrhafte Frauen, die die Zukunft, die Männer ihnen ausgesucht haben, nicht akzeptieren, um die Anleitung zur Masturbation und die Entdeckung der Körperlichkeit. Wäre Bridgerton eine Nachspeise, dann wabberte sie in grellem Rosa, schmeckte pickig-süß und wäre bereits nach zwei Löffeln ungenießbar. So ist sie es eben nach einer Folge. (25.3.2022)