Künftige Generationen, die auf den Flugverkehr des Jahres 2022 zurückblicken, werden sich vielleicht in eine ferne, längst vergangene Zeit versetzt fühlen, meint man bei den Crystal Cabin Awards (CCA): Denn dann, in einer nicht näher definierten Zukunft, würden etwa emissionsfreie Antriebssysteme die Norm sein. Zudem hätte sich das Flugerlebnis radikal verändert.

Kreative Spielwiese

Wie radikal, das soll anhand der Einreichungen bei dem jährlich stattfindenden Wettbewerb gezeigt werden. Die CCA, eine Initiative des Clusters Hamburg Aviation, sehen sich als eine kreative Spielwiese, auf der Designer, Ingenieure und Visionäre zusammenkommen, um die Zukunft des Flugreisens zu gestalten.

Im Jahr 2022 gehe es nicht nur um Qualität, sagen die Veranstalter: "Wie die Auswahlliste zeigt, arbeiten Hersteller, Hochschulen und Einzelpersonen auf der ganzen Welt kontinuierlich an Innovationen, um die Umweltauswirkungen der Luftfahrt zu verringern und gleichzeitig neue Lösungen anzubieten, die den Fluggesellschaften mehr Flexibilität bei der Konfiguration der Flugzeugkabine für ihre Kunden ermöglichen", liest man.

Das Designbüro Teague wurde in Zusammenarbeit mit dem Luft- und Raumfahrtunternehmen Nordam für das Kabinendesign von Elevate nominiert. Die Kabinenmöbel werden nicht am Boden befestigt, sondern sind mit der Seitenwand und dem Gang verbunden.
Foto: Teague/Nordam

Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf dem Innenraum des Fliegers: Innovatoren in der Luftfahrtindustrie suchen ständig nach neuen Wegen, um den begrenzten Raum in Flugzeugkabinen zu nutzen. Besonders deutlich wird dies bei Konzepten wie Elevate, einem Beitrag von Teague und Nordam, die gemeinsam an einer Strategie für "schwebende Möbel" gearbeitet haben, die den Komfort von Großraumflugzeugen in die Business Class von Single-Aisle-Flugzeugen bringen sollen.

Der nicht zurückklappbare Business-Class-Sitz Airlounge von Collins Aerospace. Der ursprünglich von der Designagentur Priestman Goode konzipierte Sitz wird in Zusammenarbeit mit der finnischen Fluggesellschaft Finnair und dem Designunternehmen Tangerine hergestellt.
Foto: Collins Aerospace/Finnair/Priestman Goode/Tangerine

Collins Aerospace hat in Zusammenarbeit mit Priestman Goode und Tangerine das neue Business-Class-Angebot von Finnair, Airlounge, entwickelt. Dieses Design verzichtet auf einige Traditionen – zum Beispiel das Zurücklehnen der Sitze –, während es andere aufgreift, um ein "organisches, kokonartiges Gefühl zu vermitteln", wie es heißt.

Neue Sitze

Auf der diesjährigen Auswahlliste finden sich auch mehrere Beiträge, die einen neuen Ansatz für die Kabinenausstattung verfolgen. Viele konzentrieren sich auf faltbare, rekonfigurierbare Elemente.

Bei den Crystal Cabin Awards gibt es auch eine Kategorie für Hochschulstudenten. Der Student der Hochschule Reutlingen, Jiayi Yu, reichte einen schwenkbaren Flugzeugsitz mit dem Namen Shift Cabin Interior ein.
Foto: Jiayi Yu/Hochschule Reutingen

Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag des Studenten Jiayi Yu von der Hochschule Reutlingen. Die Studie Shift Cabin Interior ermöglicht es, die Sitze in verschiedenen Positionen zum Arbeiten oder Entspannen zu konfigurieren, sowohl entlang der Sitzachse als auch zur Seite. Sie bietet den Fluggesellschaften aber auch eine verlockende Perspektive: mehr Sitze auf demselben Platz in der Business Class unterzubringen.

Das Unternehmen MMillenniumm wiederum beschreibt sein experimentelles Sitzkonzept Airsleeper als eine Flugzeugsitzarchitektur, die den verfügbaren Platz auf neue Weise nutzt. Jedem Passagier steht ein Sitz zur Verfügung, der zu einem flachen Bett zusammengeklappt werden kann.

Airsleeper wurde entwickelt, um die vorhandene Flugzeugkabine durch die Schaffung von zwei Sitzreihen zu optimieren.
Foto: MMillenniumm

NeXtGC des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt erinnert an traditionelle Sitzkonzepte für Zugabteile und will der "6er-Gruppe" eine neue Wendung geben. Die Designer haben ein modulares Konzept entwickelt, bei dem zwei sich gegenüberliegende Dreiersitzreihen an der Seitenwand und am Boden sowie an einem Schienensystem im Deckenbereich befestigt werden, sodass der Raum, der normalerweise für Gepäckfächer reserviert ist, frei wird. Unter den Sitzen befinden sich Stauräume für einen schnelleren Ein- und Ausstieg der Passagiere. Zusätzlich soll es mögliche sein, die Sitze in einen Schlafbereich umzuwandeln.

Lehren aus der Pandemie

Mit der Pandemie hat die Sorge der Branche um über die Luft übertragene Krankheitserreger an Bedeutung gewonnen. Mehrere Hersteller haben an Ideen gearbeitet, um die Ausbreitung des Coronavirus – und jeder anderen Infektionskrankheit – in Flugzeugen zu minimieren. Airshield von Pexco Aerospace in Zusammenarbeit mit Teague will die bestehende Infrastruktur in der Kabine nutzen, um das Risiko einer Ansteckung durch den Sitznachbarn zu senken. Zu diesem Zwecke soll ein speziell entwickelter Luftstrom zwischen den Passagierräumen geleitet werden.

Das Reinluftsystem Vientum von Weigele Aerospace überträgt Techniken, die sich schon in Schulklassen bewährt haben, in die Flugzeugkabine, um die Verbreitung von Krankheitserregern wie Sars-CoV-2 zu unterdrücken.

Safety First

Zum Thema Sicherheit hat Safran Cabin einen feuerfesten Container eingereicht, der im Falle eines Brandes der Flugbesatzung zusätzliche Zeit für eine sichere Landung geben soll. Andere Sicherheitssysteme beschäftigen sich mit der Verbesserung bestehender Systeme, um zum Beispiel den CO2-Fußabdruck eines Flugzeugs zu verringern. So behauptet Caeli Nova, dass sein Cordillera-Notfall-Sauerstoffversorgungssystem, wenn es weltweit eingesetzt wird, jährlich 1,2 Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen könnte, indem es Flugzeugen ermöglicht, nach einem Dekompressionsereignis in größeren Höhen zu fliegen.

Die Lehren aus der Pandemie spiegeln sich auch in den Nominierungen wider. Pexco Aerospace ist in Zusammenarbeit mit Teague für sein Airshield-Konzept nominiert, das die Luftströmung in Flugzeugen verbessern soll.
Foto: Pexco Aerospace/Teague

Der Vorschlag der Gentex Corporation für ein biometrisches Iris-Scanning-System zielt auf "digitale und physische" Sicherheit ab. Man stellt sich ein flugzeugweites System vor, mit dem beispielsweise die Besatzung beim Betreten des Cockpits authentifiziert werden kann oder das in ein Gerät an der Rückenlehne integriert werden kann, um die Medien- oder Einkaufsangebote für die Passagiere zu personalisieren.

In-Flight-Entertainment und Geräuschunterdrückung

Apropos digitale Angebote an Bord: Auch dazu gibt es einige Ideen. Krisshop on Krisworld verkörpert zum Beispiel so einen neuartigen Ansatz von Singapore Airlines, Airfree und Thales. Es wird als das "weltweit erste E-Shopping-Erlebnis an Bord eines In-Flight-Entertainment-Systems angepriesen" und soll es Passagieren ermöglichen, in einem digitalen Katalog zu stöbern, in Echtzeit mit einer Kreditkarte einzukaufen und den Lieferort zu bestimmen. Der kann entweder entlang der Reiseroute liegen oder zu Hause.

Aer Q hat Aerena vorgestellt, eine Plattform, die Fluggesellschaften dabei helfen soll, schnell und kostengünstig Onboard-Apps anzupassen, um das digitale Erlebnis ihrer Kunden zu personalisieren und gleichzeitig die Entwicklungskosten zu senken.

Zum Thema Geräuschunterdrückung hat sich ACM Aircraft Cabin Modification etwas überlegt: Myzone setzt auf aktive Geräuschunterdrückung in der Kopfstütze und darüber hinaus. Das System ist mit allen Flugzeugsitzen kompatibel und kann laut den Entwicklern auch Fensterscheiben und andere Kabinenelemente als Lautsprecher nutzen, wodurch eine Reduzierung des Fluglärms um drei Dezibel erreicht werden soll. Immerhin. (red, 25.3.2022)