Die beiden Angeklagten umrahmen die hart arbeitenden Pressefotografinnen, Vorsitzenden Andreas Hautz und Beisitzerin Alexandra Skrdla.

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Wien – "Wir sind eine rechtliche Instanz, keine moralische", beruhigt Andreas Hautz, Vorsitzender des Prozesse gegen Julian und Nathalie, 20 beziehungsweise 19 Jahre alt, das 52-jährige Opfer des Raubüberfalls, den das Duo begangen haben soll. Der Grund für die Kalmierung liegt im pikanten Hintergrund das Falles: Der Zahnarzt hatte die damals 18-jährige Zweitangeklagte auf einer Internetplattform kennengelernt und ihr Geld für geschlechtliche Handlungen geboten.

Am zweiten Verhandlungstag wird zunächst der Erstangeklagte einvernommen, der sich in Untersuchungshaft befindet und zum ersten Termin wegen einer Covid-19-Infektion nicht erscheinen konnte. Der von Norman Hofstätter verteidigte Lehrling bekennt sich vollinhaltlich schuldig und erzählt, wie er am 6. September vom Unbescholtenen zum bewaffneten Räuber wurde.

Mehr von Mittäterin erhofft

"Ich kenne Nathalie seit circa sechs Jahren", beginnt Julian. Es sei eine Freundschaft gewesen, er habe sich dann aber doch etwas mehr erhofft. Bei einem Treffen habe er dann ein ein Foto des Zahnarztes gesehen, der nackt mit Geldscheinen in der Hand vor einem Spiegel posierte. Nathalie verriet ihm dann, dass sie mit dem 52-Jährigen einschlägige Fotos ausgetauscht habe und dafür einen 500-Euro-Gutschein eines großen US-amerikanischen Versandhändlers erhalten habe. Nun plante sie, sich wegen ihrer Schulden mit dem "Sugardaddy" zu treffen und zu prostituieren.

1.800 oder 1.900 Euro habe der Mediziner für eine Ménage-à-trois mit ihr und einer Freundin geboten, verriet ihm die Zweitangeklagte noch, sagt Julian. "Ich war ziemlich empört", erinnert sich der Erstangeklagte. Später ergänzt er: "Mit den Gefühlen habe ich durchgedreht, weil ich nicht wollte, dass sie ihren Körper an einen älteren Mann verkauft!" Daher habe er vorgeschlagen, dem Opfer kein sexuelles Vergnügen zu bereiten, sondern ihn auszurauben. "Wie hat die Zweitangeklagte reagiert?", will der Vorsitzende wissen. "Sie hat nicht gleich Ja gesagt, aber auch nicht Nein."

Simpler Tatplan

Das Paar schmiedete einen Tatplan: Nathalie sollte mit dem Opfer auf das Zimmer gehen, ihn dazu bringen, dass er duscht, dann dem wartenden Julian die Zimmernummer schreiben und ihm die Tür öffnen. Die Zweitangeklagte habe auch gewusst, dass er zur Drohung einen Teleskopschlagstock mitnehmen werde, er habe ihr die Waffe sogar gezeigt. Vereinbart war auch, dass die Beute geteilt werde.

Zunächst lief alles wie gedacht: Nathalie verlangte vom Opfer 1.000 Euro für Oralverkehr, der zahlte zunächst 800 Euro und begab sich dann ins Badezimmer. Julian bestätigt, dass die Zweitangeklagte ihm zunächst die Tür öffnete, aber vorschlug, mit den 800 Euro einfach zu verschwinden. "Wir brauchen mehr Geld", habe er erwidert. "Eine ziemlich dumme Entscheidung", gibt er zu.

Er stürmte also ins Bad, wo der 52-Jährige gerade aus der Dusche stieg, und forderte Geld. Die Forderung unterstrich er mit einem angedeuteten Hieb mit seiner Waffe. Das Opfer holte die Scheine aus seiner Hose im Schlafzimmer, dann forderte Julian auch noch das Mobiltelefon ein. "Er hat gesagt, ich soll es vor dem Hoteleingang liegen lassen, offenbar dachte er, ich will verhindern, dass er die Polizei ruft", sagt der Erstangeklagte. Der Hintergrund sei aber ein anderer gewesen: "Auf dem Telefon waren ja die Bilder von Nathalie."

2.200 Euro Beute

Insgesamt kassierte das Duo 2.200 Euro, Julian behauptet aber, dass ihm von seinem Anteil eigentlich nichts blieb. Denn ein oder zwei Monate nach dem Coup habe Nathalie ihn kontaktiert und eröffnet, dass sie 1.000 Euro für eine Abtreibung benötigen würde. Er habe gezahlt, nun kommt er zum Schluss: "Wirklich viel habe ich von dem Geld nicht gehabt."

Die Zweitangeklagte bestreitet diese Geschichte – ihre Großmutter habe ihr das Geld für den Schwangerschaftsabbruch gegeben. Gleichzeitig gesteht sie ein, das Gericht am ersten Verhandlungstag belogen zu haben. Damals hatte sie noch behauptet, sie sei bei der Tat betrunken gewesen. Auch dass sie nur 800 Euro erhalten habe, relativiert sie nun: "Ich kann mich nicht mehr erinnern." Nicht mehr ausschließen will sie plötzlich auch, dass sie von der verwendeten Tatwaffe bereits im Vorfeld wusste.

Zeugen ist Angelegenheit unangenehm

Dem Zeugen ist seine Aussage merklich unangenehm. "Ich habe schon alles bei der Polizei gesagt", versucht er abzukürzen. "Das entbindet Sie leider nicht davon, es auch dem Gericht nochmals zu erzählen", bedauert Hautz. "Es war gedacht, dass ich sie längerfristig finanziell unterstütze", sagt der Zahnarzt. "Es war ein erstmaliger Versuch." Vor Gericht bleibt er zunächst aber dabei, dass Nathalie bei dem verhängnisvollen Treffen noch einkaufen gehen wollte – was nur bedingt glaubwürdig ist, da die Überwachungsaufnahmen zeigen, dass die beiden den Raum erst um 20.49 Uhr betreten. Schließlich bestätigt er doch die Darstellung der Zweitangeklagten.

Er verteidigt die beiden unbescholtenen Angeklagten sogar: "Ich bin auch niemandem böse, es ist halt passiert", sagt er, und: "Es hätte viel mehr passieren können, die große kriminelle Energie konnte ich nicht erkennen." Das Opfer hätte den Vorfall auch gar nicht angezeigt, allerdings war einem Hotelmitarbeiter der wartende Julian auf den Überwachungsmonitoren schon verdächtig vorgekommen, als der Täter und die Täterin dann flüchteten, alarmierte er die Polizei.

Vorerst gestundete Geldforderung

Beide Angeklagten nutzen die Gelegenheit, um sich beim Opfer zu entschuldigen. Dessen Privatbeteiligtenvertreter Markus Dörfler fordert zwar 2.500 Euro als Schadenswiedergutmachung, erklärt aber gleich dazu: "Sollten Sie Ihr Leben in den Griff bekommen, werden wir die Summe nicht einfordern." Die von Nathalie angebotenen 800 Euro in bar lehnt Dörfler daher dankend ab. "Ich glaube, Bonnie und Clyde werden Sie nicht werden", gibt er eine günstige Zukunftsprognose ab.

Lange benötigt der Senat nicht, um zu einem Urteil zu kommen. Julian wird wegen schweren Raubes und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu 18 Monaten Haft verurteilt, die drei Monate unbedingt davon hat er bereits in der Untersuchungshaft verbüßt, er kann also nach Hause gehen. Nathalie, die auf freiem Fuß geblieben war, erhält für ihre Beitragstäterschaft und den Betrug – sie hatte die 800 Euro entgegengenommen, ohne an Fellatio zu denken – 16 Monate bedingt.

Zusätzlich wird für beide Bewährungshilfe angeordnet, Nathalie muss zudem eine Psychotherapie machen, und dem Privatbeteiligtenanspruch wird stattgegeben. Beide nehmen das Urteil dankend an, da die Staatsanwältin aber keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung vorerst nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 24.3.2022)