Allzu viele Tränen dürften in Russland am Mittwoch nicht ob der Meldung geflossen sein, dass Anatoli Tschubais seinen hochdotierten Posten im Kreml aufgegeben hat. Und noch weniger darob, dass er das Land verlassen hat.

Kreml-Veteran Anatoli Tschubais soll sich in die Türkei abgesetzt haben.
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Der 66-Jährige, den Gegnerinnen und Gegner seiner Haartracht wegen "roter Teufel" nennen, ist der bisher höchstrangige Politiker im Kreml, der seit Kriegsbeginn vor einem Monat zurückgetreten ist. Dem Vernehmen nach soll Wladimir Putins bisheriger Sonderbeauftragter für Beziehungen zu internationalen Organisationen und Klima-Zar in der Türkei weilen – und nicht an eine Rückkehr denken.

Mit Tschubais verliert Putin den einzigen Marktliberalen, der seit den Wendejahren im Kreml ein- und ausging. Wie kein anderer nämlich kennt der gebürtige Belarusse das politische Geschäft seit dem Ende der Sowjetunion – und kaum jemand sonst vermochte aus den Transformationen, die das Land durchgemacht hat, mehr Profit zu schlagen.

In den letzten Jahren der Sowjetunion war es Michail Gorbatschow, der das junge KPdSU-Mitglied, gleichzeitig ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft, zu fesseln verstand. Im damaligen Leningrad organisierte Tschubais gemeinsam mit seinem Bruder Igor und seinem späteren Intimus Jegor Gaidar Diskussionszirkel zum Thema Perestroika, wie Gorbatschow seine Idee von der "Umgestaltung" nannte.

Stetig bergauf

Mit dem Verkauf von Tulpen finanzierte der findige Ökonom nach der Wende in Leningrad den Wahlkampf von Anatoli Sobtschak – jenem Bürgermeister, in dessen Rathaus zur gleichen Zeit auch ein gewisser Wladimir Putin anheuerte.

Von da an ging es stetig bergauf: 1991 machte Boris Jelzin Tschubais zum allmächtigen – und von vielen bis heute gehassten – Exekutor: Die "Schocktherapie", die Tschubais und Gaidar den maroden Staatsbetrieben verordneten, stürzte Millionen Russinnen und Russen in die Armut und brachte einigen Unternehmern astronomische Vermögen ein.

Der "Papa der Oligarchen", der mit einer Regisseurin verheiratet ist und zwei Kinder aus erster Ehe hat, übte sich selbst aber auch nicht eben in Askese. Putin, dem er 1997 seinen ersten Job im Kreml zugeschanzt haben soll, belohnte seinen Förderer 2008 mit einem lukrativen Posten beim staatlichen Nanotechnologie-Unternehmen Rosnano. Um seine finanzielle Situation wird man sich auch im Exil keine Sorgen machen müssen. (Florian Niederndorfer, 24.3.2022)