Doron Rabinovici: "Die totalitäre Gegenkunst ist als Tatwaffe gegen die freie Kunst und gegen das Leben von Millionen eingesetzt worden."

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Die Kunst, die unter der Kontrolle des nazistischen Regimes entstehen sollte, wurde Teil der Barbarei. Sie hatte Begleitmusik, wenn nicht sogar Taktgeber für Gewalt und Vernichtung zu sein. Die Vision war die Götterdämmerung, die endgültige Schlacht zwischen dem Guten und dem wahrhaft Bösen. Krieg und Massenmord sollten den Weg zum Weltenheil ebnen. Das war der Fluchtpunkt jenes Glaubens, es müsse ein Blutbad geben, damit danach Volk und Heimat bereinigt weiter bestehen können. Es ging um alles oder nichts, bis zu schlechter Letzt alles zum Nichts geworden war. Der Untergang war von Beginn an das Ziel. Die Apokalypse wurde angestrebt.

Die Rede ist dabei nicht nur von jener "Nazikunst", die durch einschlägige Parteisymbole oder Führerkult abgestempelt ist. Nicht jedes Bild, das im Sinne der Reichskulturkammer hervorgebracht werden durfte, war jener eindeutige Schund, auf dem Hakenkreuz, Schwert und Eichenlaub prangten. Die Werke, die von den Machthabern eingefordert wurden, waren nicht der vollkommene Bruch mit allem bisher Gesehenen. Sie bedeuteten nicht jene deutsche Revolution, von der die Diktatur voller Pathos schwärmte. Sie waren eher eine Regression, ein geistiger Rückschlag zur Idealisierung völkischer Ausrichtung. Dieser kulturelle Atavismus hatte jedoch schon lange vorher an Kraft gewonnen.

Zweischneidige Dynamik

Viel von dem, was den monströsen und kalten Schönheitsidealen des Regimes durchaus entsprach, errang nach 1945 in österreichischen Museen, in heimischen Galerien und auf Auktionen noch lange Siege, da war die Wehrmacht längst geschlagen. Manches davon gefällt vielen bis heute. Es wäre vermessen, die künstlerischen Werke von Breker, Eisenmenger oder Thorak, bei denen eine klare ideologische Linie erkannt werden kann, mit anderen gleichzusetzen, die in jener Zeit nicht durch die einschlägigen Stilformen hervorstachen. Aber alles, was im totalitären System sich einfügte, gilt es im Kontext dieser Zeit zu sehen.

Manche werden nun behaupten, das erinnere an die sehr unterschiedlichen Phänomene, die heutzutage leichthin und oft unpassend mit dem Schlagwort Cancel-Culture bedacht werden. Wir kennen die Proteste gegen Künstler – ja, hier passt die männliche Form zumeist –, die einmal oder mehrfach überführt wurden, Machtverhältnisse für Übergriffe ausgenutzt zu haben.

Zu Recht wird zusehends nicht mehr akzeptiert, bei Verbrechen wegzusehen, weil der Täter so ein genialer Meister seines Faches ist. Sicher ist es wichtig, patriarchale Sichtweisen zu thematisieren und andere zu ermöglichen. Zugleich erklingen auf sozialen Medien immer wieder Boykottaufrufe gegen Personen, die durch eine einzige Äußerung in den Verdacht geraten, sie würden Diskriminierung und Hass befördern.

Zuweilen wird sogar gefordert, Anstößiges dürfe nicht mehr ins Museum gehängt werden, etwa die Darstellung kindlicher Erotik bei Schiele. Manche wollen sogar das Werk einer Person, die eine skandalöse, rassistische, nationalistische oder sexistische Meinung vertritt, nicht akzeptieren, nicht würdigen oder mit Preisen bedenken, selbst wenn die Positionen mit dem, was in diesen Arbeiten ausgedrückt wird, wenig zu tun haben.

Keine neuen Begrifflichkeiten

Zu beobachten ist derzeit eine vielfältige, teils widersprüchlich gegenläufige und zweischneidige Dynamik: Während offen rassistische Verschwörungsmythen gesellschaftlich an Macht gewinnen, auf Massendemonstrationen Tausende mit gelben Judensternen durch die Straßen ziehen und das Gedenken an die Opfer der Vernichtung verhöhnen, wird gegen kleinere Unstimmigkeiten im eigenen kritischen Umfeld teils rigider miteinander umgegangen.

Es braucht aber keine neuen Begrifflichkeiten und keine Zensurgesetze, um zu fordern, nazistischen Positionen keine Bühne bieten zu wollen. Eine sogenannte Cancel-Culture ist nicht notwendig, um zu meinen, Arbeiten, die für die nazistische Propaganda entstanden, verdienten es nicht, als reine Kunst im Museum gewürdigt zu werden. Dezidiert falsch wäre es, alles abzulehnen, was aus der Ära des "Dritten Reiches" stammt, denn dann müssten jene, die im Widerspruch zum Regime blieben, unter so ein Kollektivurteil fallen.

Es wäre fatal, die Werke jener, die der nazistischen Ästhetik folgten, mit denjenigen gleichzusetzen, die – wie etwa Josef Hoffmann – sich aus opportunistischen Gründen politisch anpassten. Ganz anders wiederum ist es bei Albert Paris Gütersloh, der zwar früh vom Nationalsozialismus begeistert war, doch dessen Kunst als "entartet" galt. Es gab aber auch solche, die sich nicht anbiederten, sondern nur ihre Arbeiten fortführten – wie etwa Josef Dobrowsky. Sollen nun alle über einen Kamm geschert werden, ohne die Einzelnen in ihrer widersprüchlichen Entwicklung wahrzunehmen? Wäre das nicht die bloße Umkehr nazistischer Logik?

Solidarität

So ein Vorgehen erinnert an manche Forderungen, nun die ganze russische Kunst wegen der Kriegsverbrechen unter Putins Führung abzulehnen. Damit würden wir auch jenen in den Rücken fallen, die den Mut aufbringen, gegen den Kreml ihre Stimme zu erheben. Moderne Kunst braucht im heutigen Russland vielmehr Solidarität, denn sie gilt seit Jahren schon als verwestlicht.

Die Aktionskünstlerin Darja Apachontschitsch geriet wegen Auslandshonoraren unter Druck, und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu emigrieren. Seit Ende 2021 müssen Mitglieder des feministischen Punkkollektivs Pussy Riot sowie der bekannte Moskauer Galerist Marat Gelman deklarieren, "Auslandsagenten" zu sein – sonst drohen Strafzahlungen.

Nicht weniger krude klingen die Parolen der Bewegung BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), die gegen Auftritte aller israelischen Künstlerinnen und Künstler ankämpfen, was insbesondere regierungskritischeren Kreisen schadet, nichts zum Friedensdialog beiträgt und nicht selten den antisemitischen Diskurs bestärkt.

Der leidenschaftliche Wunsch mancher, die Werke einer ganzen Nation unter Bann zu stellen, erinnert an jenen Ungeist, den einige dieser Engagierten zu bekämpfen vorgeben.

Kampf gegen Barbarei

Bei der Frage, wie mit Werken umgegangen werden soll, die sich dem Nazismus andienten, geht es nicht darum, die nazistische Ästhetik vor dem Publikum zu verstecken. Unmöglich wäre es, die Bestände aus dieser Epoche in einer Endlagerstätte zu verstauen, als wäre es radioaktives Material, das für die nächsten Jahrtausende weggesperrt werden muss.

Nein, der Sarkophag hat Risse. Schlimmer noch. Längst geht es nicht mehr nur um die Strahlungen einer kontaminierten Vergangenheit. Die Versatzstücke der faschistischen Genres und Stilelemente finden sich in der Gegenwart wieder – nicht nur im Kino, in der Mode, doch auch in kitschigen Kopien.

Der Aufstieg rechtsextremer Kräfte prägt unsere Gegenwart. Rassistisch autoritäre Bewegungen sind in vielen Ländern im Aufwind. In der Pandemie wird – teils mit alten antisemitischen Klischees – gegen Wissenschaft und Aufklärung gehetzt. Unterdessen sind wir Zeugen eines militärischen Überfalls. Ganze Städte werden niedergemacht. Die Zivilgesellschaft wird zum Ziel des Mordens.

Die kritische Auseinandersetzung mit den Beständen aus der Ära des NS-Regimes ist umso wichtiger. Sie können nicht weggeräumt oder verramscht werden. Sie sind Teil jener Vergangenheit, deren Erinnerung allseits beschworen wird. Der Kampf gegen jene Barbarei, die sich einst dafür rühmte, die Schriften und die Kultur der Feinde auszulöschen, kann nicht gewonnen werden, wenn diese Logik nur widergespiegelt wird.

Anschauungsmaterial

Die Frage ist nicht, ob die Kunst, die jenem Regime sich andiente, angeschaut werden darf, sondern auf welche Art sie vorgeführt wird. Falsch wäre, sie als Kunst unter anderen Kunstrichtungen einzuordnen, etwa zur Provokation oder in geschmäcklerischer Beliebigkeit. Es geht darum, sie als Objekt zur Sensibilisierung und als Anschauungsmaterial zu nutzen.

Dabei wird es wichtig sein, wie die Exponate angeboten werden. Welche Inszenierung wird gewählt, um zu verdeutlichen, woher sie stammen und was ihr eigentlicher Zweck war? Verfehlt wäre, zu glauben, sie seien ohnehin schon zu alt, um Wirkung entfalten zu können. Es ist im Gegenteil eher so, dass jene Generation, die den Nationalsozialismus und den Weltkrieg überstanden hatte, noch wissen konnte, wie verlogen die damaligen Darstellungen gewesen waren.

Sie hatte es am eigenen Leib erfahren, und die Lektion steckte vielen später in den Knochen. Jüngere Generationen stehen unbeleckt vor den Exponaten. Nur anhand dieser Werke kann erklärt werden, wofür sie missbraucht wurden, was faschistische Ästhetik einst war und wo sie heute wieder zu finden ist.

Vollkommene Verneinung

Kunst nazistischer Ausrichtung wurde von Anfang an als totalitäre Gegenkunst, als vollkommene Verneinung dessen, was freie Kunst sein will, entwickelt. Die Kunst als Propaganda sollte keinen Platz mehr lassen für eine Kunst, die das Menschliche zum Ausdruck bringt, denn sie war Teil jener Apparatur, die sich angeschickt hatte, alles Menschliche auszumerzen.

Es geht um Lagerbestände. Um Objekte, die unter der nazistischen Herrschaft in die Museen kamen. Und wer von denen spricht, muss immer auch diejenigen im Blick bewahren, die damals aussortiert wurden – nicht nur die Werke, sondern sogar die Menschen selbst, die zu nichts als Lagerbeständen geworden waren, zu reinen Nummern in den Lagern der Mörder.

Die Lagerbestände dieser Gegenkunst zu präsentieren bedeutet, sie in ihren Kontext zu stellen. Sie ist Beweismittel im Verfahren. Diese Gegenkunst ist als Tatwaffe gegen die freie Kunst und gegen das Leben von Millionen eingesetzt worden. Sie kann allenfalls dafür dienen, Objekt zur Sensibilisierung gegenüber den neuen Gefahren zu sein.

Aber eben deshalb ist es wichtig, sie nicht so aufzufahren, als ginge es um einen Kunstgenuss unter verschiedenen anderen, vielmehr kann mit diesen Exponaten die Funktion dieser Produktionen im totalitären System und angesichts seiner Verbrechen bloßgestellt werden. Diese Einzelstücke können nur noch im Widerspruch zu den Intentionen ihrer Entstehungsbedingungen verstanden werden. (Doron Rabinovici, ALBUM, 27.3.2022)