Die Wiedereinführung der Maskenpflicht ist laut Virologinnen und Virologen sinnvoll.

Foto: Getty Images/iStockphoto/nito100

Im Winter Lockdowns und Maßnahmen, im Sommer dann das große Aufatmen – unter diesem Motto schienen die letzten zwei Pandemiejahre zu stehen. Aus epidemiologischer Sicht macht das zumindest bis zu einem gewissen Grad Sinn. In der wärmeren Jahreszeit verbringen wir mehr Zeit draußen, lüften öfter, sind weniger häufig indoor mit vielen anderen Menschen auf engem Raum, sprich: Die Bedingungen für das Virus sind schlechter, es kann sich nicht so schnell und rasch ausbreiten.

Auf ebendiesem Saisonalitätsvorteil scheint man sich von Regierungsseite in der Vergangenheit zu sehr ausgeruht zu haben. Man müsse den Sommer nutzen, um sich auf den Herbst und damit einhergehende Viruswellen vorzubereiten, appellierten Expertinnen und Experten immer wieder.

Anfang März warnte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité: Es werde kein infektionsfreier Sommer. Aus dem NDR-Podcast, in dem der deutsche Virologe über die Entwicklungen der Pandemie informierte, zog er sich kürzlich bis auf weiteres zurück. Er brauche Zeit für die Forschung, sagte er gegenüber der "Zeit".

Auch hierzulande zeigen sich Fachleute besorgt. Wie wirken sich die aktuell geltenden Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen aus? Ein vorsichtige Prognose.

Frage: Wie sieht das Infektionsgeschehen aktuell aus?

Antwort: Noch nie waren die Infektionszahlen so hoch wie in der aktuellen Welle. Das gefährdet zwar nicht – etwa wie bei der Delta-Welle im November 2021 – die Intensivstationen, sondern die Normalstationen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Das Virus macht auch vor Pflegepersonal nicht halt, Spitäler berichten von vielen Corona-bedingten Krankenständen. Weil medizinisches Personal krankheitsbedingt ausfällt, müssen Operationen verschoben werden. Generell sei die Lage in den Krankenhäusern so instabil wie nie, warnte etwa Elisabeth Bräutigam, ärztliche Direktorin im Ordensklinikum Linz, Barmherzige Schwestern (DER STANDARD berichtete).

Frage: Werden die Infektionszahlen weiter steigen?

Antwort: Der Gipfel der Infektionszahlen sei erreicht, glaubt Dorothee von Laer, Virologin von der Med-Uni Innsbruck: "Bei den jüngeren Altersgruppen sinken die Zahlen seit Mitte März, die Maskenpflicht wird diese Trendumkehr beschleunigen." Bei den Älteren und Vulnerablen, die bei Infektion wahrscheinlicher in Krankenhäusern und eventuell sogar auf Intensivstationen landen, sei ein Rückgang der Inzidenzen allerdings noch nicht zu beobachten.

Frage: Sind die aktuell geltenden Maßnahmen aus virologischer Sicht sinnvoll?

Antwort: Grundsätzlich begrüßen Expertinnen und Experten die Wiedereinführung der Maskenpflicht. Als Ganzes seien die Maßnahmen aber zu kurz gedacht, kritisiert etwa Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien (DER STANDARD berichtete). Es brauche ein ganzheitliches und vor allem langfristiges Sicherheitskonzept, um die Omikron-Welle zu verlangsamen und weniger Erkrankte zum selben Zeitpunkt zu haben: "Aufhalten werden wir die Welle ohnehin nicht mehr können."

Vor allem die 3G-Regel mache im Moment keinen Sinn, warnt Virologin von Laer. Auch Geimpfte und Genesene könnten sich mittlerweile wieder mit dem Virus infizieren und es weitergeben, die Impfung liege zu weit zurück, um zuverlässig vor Ansteckung zu schützen. Mit 2G, also Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene, sei die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich Ungeimpfte infizieren und die Krankenhäuser belasten, aber: "1G wäre der Idealfall. Testen ist das Einzige, das Sinn macht – und zwar für alle", findet von Laer.

Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien sieht das ähnlich: "Die Logik fehlt. Einerseits führt man die Maskenpflicht ein, andererseits lockert man die Quarantäneregeln. Ich verstehe schon, dass man nicht auf medizinisches Personal verzichten kann. Aber dass man Menschen, die vielleicht zwar symptomfrei, aber möglicherweise noch ansteckend sind, wieder rausschickt, entzieht sich der Logik. Quarantäne führt man ein, um Infektionsketten zu stoppen." Zudem kritisiert er die mangelnden Sicherheitsmaßnahmen in Schulen: "Es waren oft Kinder, die Omikron in die Familien weitergetragen haben", beobachtet er.

Frage: Braucht es laut Virologinnen und Virologen eine Impfpflicht?

Antwort: Zumindest brauche es eine Alternative, sind sich Fachleute weitestgehend einig. Das Ziel der Impfpflicht wäre eigentlich gut gewesen, findet Virologe Steininger: "Diese Maßnahme wird jetzt zu Grabe getragen, aber nicht durch einen neue ersetzt." Virologin von Laer spricht sich für die Impfpflicht für alle über 60-Jährigen aus. In dieser Zielgruppe seien noch über 15 Prozent nicht geimpft: "Österreich hat mit Deutschland damit europaweit die größte Immunitätslücke bei über 60-Jährigen", erklärt von Laer. Diese Lücke sei der Hauptfaktor für die mögliche Bedrohung des Gesundheitssystems.

Junge Menschen hingegen belasten bei Infektion das Gesundheitssystem nicht so stark – wenn man Long Covid außen vor lässt, denn: "Auch Junge könnten in Zukunft durch Long Covid unser Gesundheitssystem belasten", fügt von Laer hinzu. Dazu fehlen allerdings noch aussagekräftige Daten. Die wenigen Studien zu Long Covid zeichnen allerdings ein dramatisches Bild: Eine Corona-Infektion könne zu Alzheimer-ähnlicher Demenz und Symptomen wie jenen beim Chronischen Fatigue-Syndrom führen.

Frage: Kann man abschätzen, wie sich das Virus weiterentwickeln wird?

Antwort: Expertinnen und Experten sind sich einig, dass das Virus wieder mutieren wird. Jede Vermehrung des Virus bedeutet eine Möglichkeit zur Mutation. Je höher also die Inzidenzen, desto höher das Risiko für neue Varianten. Wie eine neue Variante aussehen wird und welche Charakteristika sie mit sich bringen wird, ist schwer abzuschätzen. Die Impfung werde wohl sehr wahrscheinlich auch bei künftigen Mutationen sehr gut vor schweren Verläufen schützen, sagt von Laer. Momentan kann das Virus die Antikörper umgehen, nicht aber die T-Zellen. Das liegt daran, dass die Antikörper universell sind, die T-Zellen hingegen sind individuell – sie schauen bei allen Menschen ein bisschen anders aus. Es ist für das Virus viel schwieriger, sich so zu verändern, dass es breit alle T-Zellen-Antworten in der Gesellschaft umgehen könnte.

Frage: In manchen Settings, etwa in Clubs, können Betreiberinnen und Betreiber selbst zwischen 3G oder einer Maskenpflicht als Zugangsbeschränkung wählen. Was ist sicherer?

Antwort: Die Maske ist laut Virologinnen und Virologen die zuverlässigere Variante. "Wenn man auf die Maske verzichtet, muss man an anderer Stelle nachschärfen", findet Steininger und plädiert wie auch von Laer für 1G.

Frage: Wie wird der Sommer?

Antwort: Der Vorteil durch die wärmere Jahreszeit werde wohl dieses Jahr nicht so groß sein wie in den letzten beiden Sommern. "Wir werden diesen Sommer wahrscheinlich mehr Virusaktivität haben, weil die Varianten einfach ansteckender sind", sagt von Laer. Hohe Infektionszahlen bedeuten auch ein erhöhtes Risiko für neue Mutationen: "Hohe Inzidenzen sind ein Riesenspielraum für das Virus, um sich zu verändern und weiterzuentwickeln." Auch Steininger ist besorgt, "dass im Sommer wieder eine große politische Party mit Katerstimmung im Herbst gefeiert wird". Man müsse sich schon jetzt auf den Herbst vorbereiten – man denke an Impfungen: Es dauert ein halbes Jahr, bis Geimpfte vollen Schutz aufgebaut haben.

Frage: Was bedeutet das für den Herbst?

Antwort: "Wir werden neue Varianten sehen", ist Steininger sicher. "Wir wissen jedoch nicht, wann das sein wird und welche Charakteristika sie haben werden, aber die nächste Variante kommt bestimmt – und da hilft eine Immunität durch Omikron wahrscheinlich ganz wenig." In einer Sache seien sich alle Expertinnen und Experten einig, wie Virologe Steiniger sagt: "Der Herbst wird intensiv." (Magdalena Pötsch, 26.3.2022)