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Peter Handke legt dieses Frühjahr bei Jung und Jung noch einen Band mit Aufzeichnungen vor.

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Martin Walser muss der Welt als Autor nichts mehr beweisen.

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Es wird ein Frühjahr der dicken Bücher. Bei Karl Ove Knausgård, Sibylle Berg, Uwe Tellkamp und Gerhard Roth spielt sich in den nächsten Wochen unter 500 Seiten gar nichts ab. Zwei ganz Große machen dieses Spiel aber nicht mehr mit. Sowohl Peter Handke (79) als auch Martin Walser (gerade 95 Jahre alt geworden) legen dieser Tage schmale Bände vor: gewohnt großzügig bedruckte 72 Seiten sind es bei Handke, bei Walser trügerische 144. Tatsächlich stehen auf jeder Seite nur wenige Zeilen, manche füllen Illustrationen. Wie das so ist, wenn mehr Leben hinter als vor einem liegt, beschäftigen beide Autoren Alter und Vergangenheit. Rahmen dafür ist in Handkes Zwiegespräch ein, wie der Titel schon verrät, Plaudern.

Treue Leser von Handkes Büchern kennen die Partisanen in den Wäldern, die Abwehrkämpfer, die Onkel, anhand deren der Autor sich bisher der Kriege der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts annahm. In Zwiegespräch kommt es zu einem Gegenschuss zur Perspektive der wehrhaften Kärntner Slowenen. Die Mitläufer sind nun Handkes Thema, jene "Großväter, welche zu der Zeit, da unser Land ,Ostmark‘ geheißen hat, nicht bloß Bürger des Dritten Reiches waren, sondern darüber hinaus, und nicht bloß bis zu dessen Ende (…) durch nichts zu beirrende Herolde".

Selbstgezimmerte Lügen der Enkel

Weniger ihnen gilt aber das Grollen des Dichters als den Enkeln und deren "Großväterverklärungsgeschichte", deren selbstgezimmerten Lügen über "meinen Großvater, den einzelnen, der anders war als die andern". Das sei nicht ohne Selbstzweck: Das von den Enkeln den Opas angedichtete "Heldentum" übertrügen sie als "Unschuld" auf sich selbst.

Eine größere Geschichtsdiskussion wird daraus jedoch nicht. Es geht dem Band nicht um Politik, sondern allgemein um Großväter. Bloß sind jene im 20. Jahrhundert eben kaum vom Krieg zu trennen. So ruft Handke auch die Generation auf, die im ersten Krieg in den Schützengräben am Isonzo kämpfte, ehe sie im nächsten die "Hofsöhne" verlor. Schmerz und Verlust münden in stille Gewalt.

Zarter wird der Ton in den lose gefügten Redebeiträgen um Großväter, die mit Kindern spielen und sich dabei aber anders drehen als jene Kinder, eine andere Freude markieren. Es geht um Großväter, die den Nachgeborenen im eigenen Haus lästig werden, und solche, die nach dem Tod der Frau mit anderen, einsamen "Damen" das "Liebhaberspiel" (Hausreparaturen und Gartenarbeiten inklusive) eingehen, bis sie dann "mutterseelenallein" erneut überbleiben. Solche Schlaglichter fügen sich locker. Das liest sich melancholischer als die letzten Bücher. Trifft den Autor allmählich das eigene Altern? Hoffnung gibt es: "Übermut, ansteckender, der Hundertjährigen."

Hitler in Wollstrumpfhosen

Das klingt fast, als habe Handke es auf Martin Walser gemünzt. 2018 ist dessen letzter Roman erschienen, seither publizierte er Notizen, Stenogramme, "Äußerungen". Nun versammelt Das Traumbuch Schlaferlebnisse aus 25 Jahren. Von Adolf Hitler in Wollstrumpfhosen, Pete Sampras und Jürgen Habermas handeln sie ebenso wie von Thomas Mann.

In einer Szene unterliegt der Träumende gar Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki in einem "Gefecht mit Stöcken". Die Uraufführung eines Stückes floppt wiederum, weil er als Darsteller seinen Einsatz verpasst. Ein andermal greift der Kritiker Joachim Kaiser nach Walsers Geschlecht, und der fürchtet, "er wird es mir übel nehmen, wenn ich seine (...) Wünsche zurückweise". Immer wieder kommt der Traum-Walser schlecht vorbereitet zu Lesungen, versäumt den Zug, steckt im Taxi fest.

Verklärung der Nacht

Eine Déformation professionnelle, ganz klar, möchte man rufen. Von Traumdeutung hält Walser trotzdem nichts: "Meine Träume müssen nicht nach den billigsten Schlüsseln übersetzt werden, sie sind mir lieb und wert, so wie sie vorkommen." Stattdessen breitet er Theorien zur Mechanik des Träumens aus, etwa zur Dramaturgie sexueller Träume: "Der Traum holt sich also, wenn er es braucht, die Geschlechtsszene direkt." "Je länger ein Datum sich hält im Gedächtnis, desto mächtiger wird es im Traum", erklärt Walser Träume vom elterlichen Gasthof in Wasserburg. Ob Träume als Impulsgeber für Romane taugen? "Bei Tageslicht dann doch nicht." (Michael Wurmitzer, 27.3.2022)