Den Informationskrieg im Westen hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj längst gewonnen. Im Westen wird der ehemalige TV-Komiker, der bis heute in Kiew ausharrt, als "Churchill in Fleecejacke" gefeiert. Umgeben ist er von seinen Vertrauten, die ihm zuarbeiten.

Andrij Jermak
Vom Filmproduzenten zu Selenskyjs Bürochef

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Graue Eminenz Andrij Jermak
Foto: Reuters / Ukraine's Presidential Press Service

Wenn die Auftritte Wolodymyr Selenskyjs mitsamt seinen in sonorem Timbre gehaltenen Appellen an den Westen als filmreif gelten, ist das weniger dem Zufall geschuldet als einem Mann, der vor seinem Job als Chef der ukrainischen Präsidentschaftskanzlei Blockbuster wie Rule of Battle und The Line für den osteuropäischen Kinomarkt produziert hat.

Am Filmset war es auch, dass Jermak (50) und Selenskyj Freundschaft schlossen. Die Benefits folgten auf dem Fuß – und gestalteten sich durchaus wechselseitig. Erst verhalf der gelernte Urheberrechtsanwalt dem politisch unerfahrenen Schauspieler 2019 zum überraschenden Wahlsieg, dann stieg er als dessen Bürochef zur grauen Eminenz der Kiewer Politszene auf. Heute gilt der Sohn eines Ukrainers und einer Russin als – zumindest – zweitwichtigster Mann der Ukraine.

Als Donald Trump vor der US-Präsidentschaftswahl Selenskyj gegen Joe Bidens Sohn Hunter aufzuhetzen versuchte, war er es, der das Telefon abhob. Heute feilscht Jermak, dem gute Kontakte nach Moskau nachgesagt werden, mit Russland um ein Ende des Krieges.


Mychajlo Podoljak
Kiews Mann für Krisen aller Art

Ex-Journalist Mychajlo Podoljak
Foto: EPA / Sergei Kholodilin / BelTA / HO

Die Handykamera im Selfie-Modus, das Haar strubbelig, die Kleidung olivgrün: Mychajlo Podoljak twittert ebenso wie sein Chef Selenskyj ganz in der Manier hemdsärmeliger Kriegsberichterstatter.

Podoljak, der in den 1990er-Jahren in Minsk Medizin studiert und danach als Journalist bei mehreren regimekritischen belarussischen Zeitungen gearbeitet hat, weiß genau, was er tut. Der 50-Jährige gilt als Mastermind der Heldensaga rund um den im Westen gefeierten ukrainischen Präsidenten. Als Berater von Selenskyj-Bürochef Andrij Jermak wandert alles, was vom Kiewer Präsidentenpalast aus in die Welt gesendet wird, durch seine Hände. Auch bei den Verhandlungen mit Moskau sitzt Podoljak mit am Tisch.

Erst am Mittwoch richtete Podoljak, der vor zwei Jahren als Experte für Krisenkommunikation in Selenskyjs Kanzlei anheuerte, einen dramatischen Appell an den Westen: Der "Augen unserer toten Kinder wegen" solle dieser der Ukraine besser heute als morgen Flugabwehrraketen und Marschflugkörper schicken, schrieb er.


Olexij Resnikow
Vom Song Contest an die Front

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Armeeminister Olexij Resnikow
Foto: Reuters / Peter Nicholls

Was wie aus einer anderen Welt erscheint, ist tatsächlich gerade einmal fünf Jahre her: 2017 organisierte der Mann, der heute an vorderster politischer Front die Verteidigung der Ukraine orchestriert, den Eurovision Song Contest in Kiew. Von Love, Peace and Happiness ist im Arbeitsalltag von Olexij Resnikow freilich nichts mehr zu spüren.

Seit einem halben Jahr Verteidigungsminister, hat der 55-Jährige in seiner politischen Laufbahn stets einen Riecher dafür bewiesen, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein: Immer, wenn sich das junge Land an einer Weggabelung befand, war Resnikow nicht weit.

Als einstiger Soldat bei der Sowjet-Luftwaffe fremdelt der Jurist auch nicht mit dem Tarnlook, der jüngst zum Markenzeichen der Kiewer Führung wurde. 2004 vertrat der Lemberger als Anwalt den prowestlichen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Juschtschenko, später engagierte er sich gegen dessen moskauhörigen Nachfolger Wiktor Janukowytsch. 2014 wurde Resnikow Stadtrat in Kiew, Selenskyj bestellte ihn schließlich zum Unterhändler im Donbass-Konflikt.


Iryna Wereschtschuk
Militärische Falkin mit PR-Gespür

Vizepremier Iryna Wereschtschuk
Foto: Imago / Ukrinform / Yuliia Ovsyannikova

Aufwendig inszenieren muss Iryna Wereschtschuk, die einzige Frau im inneren Kreis rund um Wolodymyr Selenskyj, ihr martialisches Image nicht. Immerhin verfügt die 42-Jährige über mehr militärische Erfahrung als die meisten Männer dort: Fünf Jahre lang diente sie in der ukrainischen Armee, zuletzt im Rang einer Offizierin. Wie ihre männlichen Kollegen versteht auch Wereschtschuk, seit November 2021 Vizepremierministerin und Ministerin für die Wiedereingliederung besetzter Gebiete, das Spiel auf der PR-Klaviatur meisterhaft.

Nach ihrem Jus-Studium und einem Abschluss an der Lemberger Militärakademie begab sie sich für einige Jahre in die Untiefen der ukrainischen Lokalpolitik und wurde Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt Rawa-Ruska an der Grenze zu Polen.

Ihre einst öffentlich bekundete Bewunderung für Wladimir Putin hat Wereschtschuk längst abgelegt. Heute markiert sie öffentlichkeitswirksam die Falkin: Ihre Statements in den sozialen Medien schließt sie gerne mit der Formel "Tod den Feinden, es lebe die Ukraine!".


Olexij Arestowitsch
Das Orakel, dem die Ukrainer vertrauen

Cheforakel Olexij Arestowitsch
Foto: Imago / Ukrinform / Evgen Kotenko

Vor drei Jahren, als noch kaum ein General oder hochrangiger Politiker in Kiew mit einer russischen Invasion rechnete, übte sich ausgerechnet ein junger Militäranalyst als Orakel: Russland werde in die Ukraine einmarschieren, Kiew umzingeln, einen Landkorridor von der Krim bis zum Donbass erobern und Städte in Schutt und Asche legen.

Tragischerweise sollte Olexij Arestowitsch recht behalten. Der 46-Jährige, der seit 2020 als Berater des Präsidenten dient, ist diesem einer der wichtigsten Lautsprecher im In- und Ausland. Journalisten hängen an den Lippen des studierten Armeedolmetschers und passionierten Theaterschauspielers, wenn er seine täglichen Briefings zur Lage on the ground gibt. Auch bei den – gescheiterten – Minsker Gesprächen zur Beilegung des Donbass-Kriegs war Arestowitsch dabei, einige Monate lang hatte er davor auch an der Front gedient.

Am Mittwoch hat er sich erneut zu Wort gemeldet: Russlands "aktiver" Angriffskrieg könnte schon Ende April zu Ende gehen, sagte Arestowitsch voraus. Zu hoffen ist, dass er diesmal wieder recht behält. (Florian Niederndorfer, 27.3.2022)