Neben modernisierten Räumlichkeiten entsteht im Parlamentsgebäude in Wien auch eine Einheit für Demokratiebildung.

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Das Vertrauen in demokratische Institutionen sinkt weltweit. Auch in Österreich hat es 2021 einen neuen Tiefpunkt erreicht, das zeigt der seit 2018 jährlich erstellte Demokratiemonitor des Sora-Instituts. Gleichzeitig bekommen Verschwörungstheorien immer mehr Zuspruch. Alarmierende Signale, die den Ruf, die Demokratie zu stärken, lauter werden lassen.

Bildung spielt dabei eine wichtige Rolle. "Es gibt viele dieser Feuerwehraufgaben. Da gibt es irgendwo ein Problem – sei es, dass Geflüchtete nach Österreich kommen, oder Verschwörungstheorien im Kontext der Pandemie. Dann soll Demokratiebildung das richten", sagt Dirk Lange, Professor für Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Wien und Leiter des Demokratiezentrums Wien.

Bei Demokratiebildung gehe es aber um etwas anderes, sehr Zentrales. Eine Demokratie brauche eine selbstbewusste und kritikfähige Bürgerschaft, die nicht einfach nur mitmache. Das Fundament dafür wird in der Schule gelegt. Dort können politische Kompetenzen gestärkt und demokratisches Denken und Handeln entwickelt werden, ergänzt er. "Im Grunde müssen wir die Demokratie nicht an die Schüler heranbringen, das demokratische Denken ist schon da, wir müssen es nur entdecken und entwickeln."

Demokratie werde alltäglich gelernt, indem man sich mit politischen Phänomenen auseinandersetzt. Es sei keine fixe Ordnung, die unterrichtet werden könnte. "Wir leben politisch in Aushandlungsprozessen und in Konflikten, in denen das Demokratische eine von mehreren Optionen ist, die eine Demokratie notwendigerweise stärken sollten", sagt Lange.

Orientierung geben

Demokratiebildung werde aber zu leicht als Erziehung über die demokratische Ordnung verstanden. Das sei aber nur ein Moment von Demokratiebildung. "Der andere große Bereich ist nicht die demokratische Ordnung, sondern das Demokratische. Darum geht es eigentlich in der Demokratiebildung. Das Demokratische als Orientierung zu entwickeln und für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit zu erproben, um Standpunkte und Positionierungen in Konflikten zu finden." Der dritte Bereich wäre die Demokratisierung, also auch die Bestrebung, sich demokratiepolitisch zu positionieren und sich auch für demokratieorientierte Veränderung einzusetzen, ergänzt er.

Im österreichischen Bildungssystem sei politische Bildung bzw. Demokratiebildung eher schwach verankert. Es gibt kein eigenes Unterrichtsfach, wohl aber den Grundsatz zur politischen Bildung, der in allen Unterrichtsfächern eine Wirkung haben sollte. Verbindliche Vorgaben, in welchem Ausmaß politische Bildung erfolgen soll, fehlen. "Das ist tatsächlich dem Zufall und den jeweiligen Lehrerinnen überlassen." Hier sei Österreich eine Ausnahme.

Politische Erwachsenenbildung

"Aus dieser schwachen Verankerung im österreichischen Bildungssystem ergibt sich ein massives Defizit an politischer Bildung", sagt Rahel Baumgartner. Sie ist Geschäftsführerin der österreichischen Gesellschaft für politische Bildung (ÖGPB) in Wien. Der gemeinnützige Verein wurde 1977 gegründet und fördert die politische Erwachsenenbildung. "Politische Erwachsenenbildung ist in Österreich sehr stark parteipolitische Bildung." Die im Parlament vertretenen Parteien bekommen entsprechend zum Wahlergebnis staatliche Unterstützung für ihre Parteiakademien. "Demokratiebildung müsste aber auch außerhalb der Parteiakademien stärker unterstützt werden", sagt sie. Denn oft fehle es am grundlegenden Bewusstsein, dass man sich permanent in politischen Zusammenhängen bewegt.

Auch Lange sieht hier Entwicklungsmöglichkeiten. Die Gruppe der Nichtwähler werde in der Finanzierungsstruktur liegengelassen, dabei würden gerade sie Aufmerksamkeit brauchen. Eine Möglichkeit bietet der Wiedereinzug ins umgebaute Parlamentsgebäude. Dort wird eine große Einheit für Demokratiebildung entstehen, die den Anspruch hat, für ganz Österreich Angebote bereitzustellen. "Das ist europaweit beispielhaft", ergänzt er. (Gudrun Ostermann, 31.3.2022)