Rauch: "Wissenschaftsfeindlichkeit ist in Österreich salonfähig – nicht zuletzt auch befeuert von Regierungen, die die Wissenschaft lächerlich gemacht haben."

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Johannes Rauch trägt fast nie Krawatte, aber immer Maske. Gerade noch hat der neue grüne Gesundheitsminister an der Nationalratssitzung im Großen Redoutensaal der Hofburg teilgenommen, jetzt hat er kurz Zeit für ein Interview.

Danach geht es mit dem Nachtzug nach Vorarlberg, wo er bis vor drei Wochen gelebt hat. Seine weiße FFP2-Maske nimmt er auch während des Gesprächs nicht ab. Erst später, fürs Foto. Seine Tage seien derzeit lang, die Nächte kurz – aber zumindest damit habe er auch gerechnet.

STANDARD: Herr Gesundheitsminister, das hatten Sie sich wohl alles etwas anders vorgestellt ...

Johannes Rauch: Ich hatte eine ungefähre Vorstellung davon, dass der Job nicht leicht wird, und war insofern illusionsfrei. Aber es war dann schon heftig. Gleich am ersten Tag nach der Angelobung kam die Aussetzung der Impfpflicht. Dann das neue Testmanagement, das auch schon angekündigt war, bevor ich gekommen bin. Dann die massiv steigenden Zahlen als Folge der Öffnungen; ich sage es ganz ehrlich: Sie waren am 5. März in dieser Form ein Fehler. Ich hätte das so nicht gemacht.

STANDARD: Sie sind noch keine drei Wochen im Amt, aber bereits an Ihrem eigenen Anspruch gescheitert. Sie wollten Klarheit ins Pandemie-Management bringen und deshalb an den Öffnungsschritten festhalten, jetzt haben Sie die Maskenpflicht reaktiviert. Es gab einen Clinch mit der ÖVP. Und wirklich niemand kennt sich mehr aus, was der Kurs der Regierung sein soll. Was ist denn der Kurs der Regierung?

Rauch: Zum Zeitpunkt der Öffnungen waren die Prognosen andere, weil man dachte, dass die Infektionszahlen schneller sinken. Stimmte nicht. Ich habe letztlich reagieren müssen – mit dem gelindesten Mittel, der Rückkehr der Maskenpflicht. Aber die Öffnungen waren ja schon beschlossen, ich hatte eine Erbschaft zu korrigieren.

STANDARD: Das ist nur der halbe Teil der Wahrheit. Gleichzeitig mit der Verschärfung der Maskenpflicht, die jetzt in allen Innenräumen außer in Schulklassen gilt, haben Sie die Quarantäneregeln gelockert. Wo ist da die Klarheit?

Rauch: Die Quarantänelockerung war eine Reaktion auf Treffen, die ich mit Vertretern von Spitälern, Alten- und Pflegeheimen hatte. Von dort kam die Botschaft, dass die Personalsituation dermaßen prekär ist, dass Dienste nicht mehr besetzt werden können – auch weil Leute, die positiv getestet sind, aber keinerlei Symptome haben, nicht arbeiten dürfen. Das können sie jetzt – unter strengen Auflagen– mit entsprechender Schutzausrüstung.

STANDARD: Über all das gab es harte Verhandlungen mit Ihrem Koalitionspartner. Wo vertritt die ÖVP eine andere Meinung als Sie?

Rauch: Die Zugänge waren unterschiedlich, keine Frage. Umstritten war in der ÖVP ja sogar, ob es die Maskenpflicht überhaupt wieder braucht. Grundsätzlich gilt aber, dass bei Verordnungen in der Koalition Einvernehmen herzustellen ist. Das ist auch gut so. Würde die ÖVP Verordnungen erlassen, ohne uns Grüne zu fragen, da würden wir uns anschauen.

STANDARD: Aber noch einmal: Was ist die gemeinsame große Linie der Regierung im Corona-Management?

Rauch: Es gibt jetzt Einigkeit über die Maskenpflicht indoor und die Quarantäneregeln.

STANDARD: Fast 450.000 Menschen im Land sind aktiv infiziert. Kann man es nicht einfach klar aussprechen: Österreich wird gerade durchseucht. Die Maskenpflicht wird daran auch nicht mehr viel ändern.

Rauch: Ich weise es aufs Schärfste zurück, dass die österreichische Regierung eine Durchseuchungsstrategie gewählt hat. Das Virus hat sich schneller und dramatischer verändert, als wir unsere Maßnahmen anpassen konnten. Ja, Pandemiemanagement ist oft träge, aber ich kann auch nicht so tun, als hätte ich ein Schnellboot, wenn ich einen Tanker zu steuern habe.

STANDARD: Wann werden Sie einen konkreten Fahrplan für den Herbst vorlegen?

Rauch: Den müssen wir rasch vorbereiten, und wir haben auch schon begonnen. Wir werden uns auch anschauen müssen, wo in den zwei Jahren Pandemie Fehler gemacht wurden. Es ist schwer zu erklären, warum man monatelang beim Einkaufen im Supermarkt Maske tragen musste und im Handel nicht. Völlig unverständlich sind auch die unterschiedlichen Detailregelungen in den Bundesländern. Für den Herbst will ich mit den Gesundheitslandesräten an mehr Klarheit, Gemeinsamkeit und Stringenz arbeiten. Wir leben derzeit im Schönwetter-Föderalismus. Wenn die Sonne scheint, waren es die Länder; wenn es regnet, ist der Gesundheitsminister schuld.

Gesundheitsminister Rauch: "Für den Herbst will ich mit den Gesundheitslandesräten an mehr Klarheit, Gemeinsamkeit und Stringenz arbeiten."
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STANDARD: Die Wiener Stadtregierung will Ihre Quarantänelockerung nun aus Vorsicht erst gar nicht umsetzen. Vorgesehen wäre, dass Infizierte, die seit mindestens zwei Tagen keine Symptome haben, arbeiten und einkaufen dürfen, nicht aber in ein Lokal. Wie soll das kontrolliert werden?

Rauch: Ich muss in die Menschen Vertrauen haben, und der überwiegende Teil wird sich daran halten.

STANDARD: Das Drängen auf Eigenverantwortung und die stete Lockerung der Quarantäne legen nahe, dass die Regierung immer mehr in die Richtung geht, Covid wie viele andere Krankheiten zu behandeln – etwa einen grippalen Infekt.

Rauch: Nein, das Virus und die Erkrankung haben sich verändert. In frühen Phasen der Pandemie war Covid viel bedrohlicher, und wir hatten kaum Mittel in der Hand. Da ist ein höherer Anteil der Erkrankten auf der Intensivstation gelandet, und es ist eine hohe Anzahl an Menschen verstorben. Das hat sich mit den Mutationen verändert. Der Virologe Christian Drosten und andere sagen: Wir sind auf dem Weg von der Pandemie in einen endemischen Zustand. Wann das genau passiert, wissen wir aber nicht. Bis dahin gilt: Vorsicht. Ich würde noch nicht so weit gehen, zu sagen, dass Covid bis zum Herbst eine normale Grippe ist. Wir werden unterschiedliche Szenarien vorbereiten. Klar ist, dass in die Bewertung künftig auch mehr die Belastung des Gesundheitspersonals einfließen muss.

STANDARD: Die Belastung ist auch deshalb groß, weil Personal fehlt. Wie wollen Sie das ändern? Soll Gesundheitspersonal mehr verdienen?

Rauch: Mein Ziel für die Pflegereform ist bessere Bezahlung. Einen ersten Teil der Reform will ich noch heuer umsetzen. Man muss aber überhaupt schauen, wie man Menschen für diese Berufe findet. Vielleicht können wir jetzt Geflüchtete aus der Ukraine für Pflegeberufe rekrutieren. Derzeit leiden wir darunter, dass Österreich als Zuwanderungsland sukzessive unattraktiv gemacht wurde. Nach dem Motto: Alles, was von draußen kommt, ist böse. Wir müssen eine neue Willkommenskultur etablieren, die sagt: Wir brauchen euch – nicht nur als Pflegepersonal, sondern insgesamt am Arbeitsmarkt. Es braucht eine neue Haltung – und ein Bündel an Maßnahmen, das ich jetzt verhandeln werde.

STANDARD: Das wird mit der ÖVP wohl komplexer als eine Maskenverordnung.

Rauch: Ich habe eine klare Position – und ja, die wird auch zu Widersprüchen beim Koalitionspartner führen.

STANDARD: Ganz anderes Thema: Finden Sie es eigentlich angebracht, wenn Kassenärzte Globuli, Schüßlersalze oder Bachblüten empfehlen?

Rauch: Um es vorsichtig zu formulieren: Ich habe eine sehr kritische Haltung zur Verschreibung von Präparaten, deren Wirkung nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist.

STANDARD: Die Ärztekammer vergibt Homöopathie-Diplome. Halten Sie das für richtig?

Rauch: Ich werde mit der Ärztekammer über mehrere Dinge zu sprechen haben – auch das wird irgendwann ein Thema sein müssen.

STANDARD: Bei der Wiener Ärztekammerwahl feierte die Impfskeptikerpartei MFG gerade einen ziemlichen Erfolg. Erschreckt Sie das?

Rauch: Das hat mich eigentlich gar nicht gewundert. Die Pandemie bringt Dinge ans Tageslicht, die hierzulande eine lange Geschichte haben. Wissenschaftsfeindlichkeit ist in Österreich salonfähig – nicht zuletzt auch befeuert von Regierungen, die die Wissenschaft lächerlich gemacht haben. In dem Segment der Impfgegner findet man aber oft auch noch ganz andere Motive im Hintergrund: Da wird das staatliche Gewaltmonopol oder sogar das ganze demokratische System infrage gestellt.

STANDARD: Das Hin und Her im Corona Management war da auch nicht vertrauensbildend. Haben Sie Angst vor einer Entdemokratisierung der Gesellschaft durch die Pandemie?

Rauch: Absolut, es ist leider eine falsche Gewissheit, wenn wir glauben, dass Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unverrückbar sind. Als Politik müssen wir wieder lernen, uns dem Diskurs und Kritik – auch in aller Härte – zu stellen. Wenn wir das nicht tun, wird die Gesellschaft, wie wir sie kennen, irgendwann nicht mehr existenzfähig sein.

STANDARD: Zu dem Thema sollten wir irgendwann ein eigenes Interview führen. Wie lange haben Sie denn vor, Minister zu bleiben?

Rauch: Bis zum Ende der Legislaturperiode. (Katharina Mittelstaedt, 26.3.2022)